Bernhard Kempen: Deutschland eilt von Jahr zu Jahr zu neuen Studienrekorden. Mehr als 2,8 Millionen Studierende gibt es inzwischen. Und Prognosen zufolge ist auch ein Ende des Booms noch lange nicht in Sicht. Die Hochschulfinanzierung wird daher ein politischer Dauerbrenner bleiben. Bund und Länder haben gemeinsam Sonderprogramme wie zum Beispiel den Hochschulpakt aufgelegt, um den Studierendenaufwuchs abzufedern. Per Grundgesetzänderung wurden dem Bund inzwischen wieder Gestaltungs- und Finanzierungsmöglichkeiten in der Hochschulpolitik eröffnet, die er nach der Föderalismusreform des Jahres 2006 nicht mehr hatte. Doch das Instrumentarium liegt brach. Während sich CDU/CSU und SPD nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen zaghaft einer möglichen Neuauflage der GroKo annähern, herrscht weiter Unklarheit, obwohl die Probleme keinerlei Aufschub dulden. Wie sich das Studium in Zeiten stetiger Studierendenrekorde anfühlt, dafür hat sich Afanasia Zwick für Campus & Karriere an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main umgehört, wo derzeit rund 45.000 Studierende eingeschrieben sind.
Studium an einer Universität, die wächst und wächst
Stimmungsbild vom Campus der Goethe-Uni in Frankfurt am Main
Stimmungsbild vom Campus der Goethe-Uni in Frankfurt am Main
(Lautsprecheransage): "Nächste Station: Uni-Campus/Westend" "Hier quetschen sich alle rein. Es ist schon sehr voll, immer." "Lesende Studierende sieht man, das mache ich auch selbst." "Also mit Karteikarten unter anderem, weil man gar nicht so viel Platz hat." "Zum Anfang des Semesters ist es noch rappelvoll, weil jeder noch motiviert ist. Also, da bricht die U-Bahn aus allen Nähten. Man sieht einfach immer die ganzen Massen, die hier rausströmen und wird da so ein bisschen mitgezogen." "Überall, am ganzen Campus, sind immer Baustellen. Viele Gebäude, die neu hochgezogen werden." "An sich finde ich es nicht schlecht, wenn der Campus wächst. Ich find’s gut." "Viele Nebenveranstaltungen, wo auch immer viel los ist. Viele Zelte, die auch immer irgendwo stehen, oder Transport-LKWs, die eigentlich immer hier lang fahren. Das stört mich schon." "Nichtsdestotrotz merkt man es gar nicht so sehr, dass wir hier, ich glaube, 45.000 Studierende haben. Das merkt man vor allem im Sommer, und da find ich’s eigentlich ganz schön, wenn hier auf der Wiese alles voll mit Picknickdecken ist." "Im Hörsaal, wenn alle gleichzeitig rein- und rausgehen, da ist es natürlich schon ziemlich voll." "Gerade in den ersten Wochen denkt man, dass man hier untergeht, in der Fülle von den Studenten." "In Bildungswissenschaften war es teilweise so voll, dass die Leute aus der Tür rausstehen mussten, und sich vor der Tür immer weiter angesammelt haben. Die meisten sind irgendwann gegangen. Der Rest ist dann halt irgendwo stehengeblieben und hat nichts mitbekommen. Und dann wurde halt beschlossen, die Vorlesung aufzuzeichnen. Und seitdem ist nur noch die Hälfte von den Leuten da, und dann geht’s eigentlich." "Vor der Klausurenphase, in der Bibliothek, ist es auch immer voll." "Man kriegt keine Plätze mehr, wenn man zu spät kommt. Also, man muss halt früh genug aufstehen und als Erster hier sein, und alle warten schon in Schlangen vor der Tür." "Da musste ich neulich auch anderthalb Monate auf ein Buch warten. Das war ständig ausgeliehen. Und das ist dann nervig." "Schließfächer. Da sucht man dann sein letztes offenes, wo man seine Sachen dann einschließen kann." "Das ist mega voll."
Kempen: Ein Studium ist begehrt, aber die Bedingungen sind alles andere als ideal. Wie geht es also künftig weiter mit Bildung und Forschung? Was muss der Bund, und was müssen die Länder machen? Darüber spreche ich mit Frau Dr. Eva-Maria Stange, Staatsministerin für Kunst und Wissenschaft im Freistaat Sachsen. Guten Tag, Frau Stange!
Eva-Maria Stange: Guten Tag, Herr Kempen!
Kempen: Frau Stange, tun wir genug? Wir haben 2,8 Millionen Studierende, wir haben im Jahr 2016 wieder insgesamt 3,5 Prozent mehr ausgegeben für Bildung. Und trotzdem wird immer wieder gesagt: Das ist zu wenig. Ist es zu wenig?
Stange: Also, zum Einen: Ja, wir tun sehr, sehr viel mittlerweile, für Hochschulen, für die Forschung, und – seit der Hochschulpakt 2007 auf den Weg gebracht wurde – sind die Studierendenzahlen in den letzten Jahren gewachsen. Für ein ostdeutsches Land wie Sachsen, kann ich sagen, war der Hochschulpakt die Rettung gewesen. In einer demografischen Zeit, wo die Studierendenzahlen eigentlich hätten zurückgehen müssen, haben wir es geschafft, bis heute, so viele Studierende zu haben, wie noch nie. Das heißt natürlich auch, dass wir mehr Geld in das System hineingeben müssen. Und wir wissen, dass … sicher kann es immer mehr sein. Wir haben ja gerade von den Studierenden gehört, es wird gebaut und gebaut. Das trifft auch für Sachsen zu. Es ist durch den Hochschulpakt sehr viel Geld für die Hochschullehre, für wissenschaftliche Mitarbeiter eingesetzt worden. Ich glaube, was wir vor allen Dingen jetzt brauchen, ist Nachhaltigkeit. Also, momentan arbeiten wir noch im Projektstatus, wenn ich mal so sagen darf, mit dem Hochschulpakt. Wir brauchen jetzt Nachhaltigkeit. Wir haben viele Studierende. Und die müssen auch auf Dauer gute Studierendenbedingungen vorfinden.
"Wir brauchen vor allen Dingen auf Dauer bessere Bedingungen"
Kempen: Wenn wir genau hinschauen, dann müssen wir ja doch beobachten: Eigentlich kriegen wir es nicht richtig hin. Auch in Sachsen scheint es ja so zu sein, dass das Niveau, das Bildungsniveau, nicht gerade im Steigen, sondern vorsichtig gesagt, eher im Sinken ist. Hängt das nicht auch zusammen mit der Ausfinanzierung des Bildungssystems?
Stange: Ich weiß nicht, Herr Kempen, wo Sie gerade die Fakten hernehmen, für das Absinken des Bildungsniveaus. Also, die Zahlen sagen etwas anderes. Und wir haben zum Beispiel, um mal die Betreuungsrelation zu nehmen, bei den Universitäten auch dank des Hochschulpaktes es erreicht, dass die Betreuungsrelation von 2005 bis 2016 sogar besser geworden ist, trotz steigender Studierendenzahlen, weil es uns eben gelungen ist, die Mittel, die wir vom Bund bekommen haben, und unsere eigenen Mittel, so einzusetzen, dass wir auch in die Qualität der Hochschulen investieren. Auch unsere Absolventenstudien zeigen, dass wir mit unseren Studienergebnissen uns sehen lassen können. Und wenn ich an die Exzellenzinitiative im Bereich der Wissenschaft denke, denn das sind ja auch diejenigen, die vorher studiert haben, dann müssen wir uns da nicht verstecken. Aber ich will nicht verhehlen, wir brauchen, und deswegen betone ich das nochmal, wir brauchen nicht nur einen Schub, sondern wir brauchen vor allen Dingen auf Dauer bessere Bedingungen an den Hochschulen. Und das ist es, worüber wir jetzt auch mit dem Bund reden müssen.
"Wir brauchen zunehmend auch Anstrengungen des Bundes"
Kempen: Gucken Sie dann auf den Bund, oder müssen Sie nicht besser in die eigenen Kassen gucken?
Stange: Beides. Also, die Finanzierung von Lehre an den Hochschulen und Wissenschaft ist Aufgabe zuallererst der Länder, vollkommen klar. Wir werden auch in Zukunft den größten Brocken zu tragen haben, was die Grundfinanzierung der Hochschulen angeht. Was wir aber – ich denke, Sie haben es vorhin schon in Ihrer Anmoderation gesagt – jetzt nutzen sollten, ist die neue Möglichkeit, die das Grundgesetz uns gibt, dass der Bund sich auch an dieser gemeinsamen Aufgabe beteiligt. Denn es ist ja nicht nur für Sachsen von Bedeutung, dass wir viele Studierende haben. Wir haben zum Beispiel mittlerweile über 25 Prozent unserer Studierenden, die aus anderen Bundesländern kommen. Wir sind ein sogenanntes Importland, das heißt, es kommen mehr zu uns, als weggehen, von den Hochschulzugangsberechtigten. Und die bleiben auch nicht alle in Sachsen. Die gehen natürlich nach Bayern, nach Baden-Württemberg oder auch ins Ausland. Und das heißt, das ist eine Aufgabe, die für Deutschland insgesamt von Interesse ist, dass wir gutqualifizierte junge Menschen haben. Und deswegen brauchen wir sowohl Anstrengungen des Landes, aber zunehmend auch Anstrengungen des Bundes für die Zukunft.
Kempen: Der Bund sagt nun: Ja gut, wir haben ja viel getan. Wir haben den Ländern die BAföG-Lasten von den Schultern genommen. Nun war es aber so, dass sich viele Länder in die Büsche geschlagen haben und die freiwerdenden Mittel eben nicht den Hochschulen zur Verfügung gestellt haben, sondern für ganz andere Projekte verwandt haben. Wie will denn Sachsen damit umgehen?
"Wir sind auch immer Einzelkämpfer als Wissenschaftsminister"
Stange: Also wir haben es geschafft, dass die BAföG-Mittel, die für die Hochschulen da sind – wir haben ja immer das Schüler-BAföG und das Studierenden-BAföG – das Studierenden-BAföG ist komplett für die Hochschulen und für die Hochschulmedizin gebunden. Jetzt sogar gebunden durch unsere langfristige Hochschulentwicklungsplanung bis 2025. Das sind 54 Millionen Euro, die ich zusätzlich in den Hochschulen einsetzen kann. Und das Geld setzen wir zum Beispiel ein, um auch Beschäftigungsverhältnisse in den Hochschulen besser zu gestalten, auch vor allen Dingen die befristeten Beschäftigungsverhältnisse besser zu gestalten. Aber auch, um zum Beispiel Entspannung in der Unimedizin zu schaffen, in der Medizinausbildung. Auch dafür ist das Geld eingesetzt worden. Ja, ich weiß, es gibt Kolleginnen und Kollegen, die das mit ihren Finanzministerien in ihren Regierungen nicht erreichen konnten. Wir sind da ja auch immer Einzelkämpfer als Wissenschaftsminister. Bei uns ist es gelungen, im Land. Und ich bin da sehr froh drüber.
Kempen: Sind Studiengebühren für Sie eine Option?
Stange: Die sind keine Option. Weil, ich hab mich über Jahre gegen Studiengebühren ausgesprochen, weil wir den jungen Menschen die Möglichkeit geben müssen, unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern ein Studium aufzunehmen, wenn sie die Voraussetzungen dafür haben. Wir haben das in Sachsen durchgängig auch einhalten können. Es gibt keine Studiengebühren, zumindest nicht für das normale Grundstudium. Und ich halte das für wichtig. Ich selbst hätte zum Beispiel nie studieren können, wenn es Studiengebühren gegeben hätte, weil, meine Eltern hätten das nie finanzieren können. Und ich sehe, wie schwer es heute vielen Studierenden fällt, für den Lebensunterhalt gleichzeitig zu sorgen und zu studieren. Und von daher sind für mich Studiengebühren überhaupt keine Option, um die Finanzierung der Hochschulen zu sichern.