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Finanzjahr 2016
"Die Krise ist noch da"

Der Finanzwissenschaftler Max Otte hat die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank erneut kritisiert. Er sagte im DLF, die negativen Zinsen, die die EZB von den Banken fordere, träfen vor allem Sparer und damit die Mittelschicht. Allerdings sei infolge der niedrigen Zinsen die Baufinanzierung günstig.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Ökonom Max Otte
    Der Ökonom Max Otte (dpa / picture-alliance / Erwin Elsner)
    Otte warnte aber in diesem Zusammenhang vor steigenden Immobilienpreisen. In Großstädten würden mittlerweile absurde Preise bezahlt. "Wir sind jetzt seit einigen Jahren schon in einer Phase rapide steigender Häuser- und Baupreise zumindest in den guten Lagen", sagte Otte.
    Otte betonte, aus der Finanzkrise sei man nie so richtig rausgekommen. "Wir haben 2008 die Krise durch eine Geldpolitik der offenen Schleusen weiter erstickt beziehungsweise unterdrückt, und das merken wir jetzt", kritisiert er. Die Eurokrise habe man versucht, mit der Geldpolitik zu ersticken, was auf Dauer aber nicht funktioniere. "Und jetzt so langsam bröckeln diese Verfahren beziehungsweise reißen diese Notmaßnahmen, und jetzt merken wir, dass doch die Krise noch da ist."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Wirtschaft und die Eurozone, ein eher gemischtes Jahr 2016. Der Arbeitsmarkt in Deutschland hat sich beispielsweise recht stabil weiterentwickelt, auch das Wachstum hat bescheiden, aber stetig Kurs gehalten. Aber was ist mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, mit der Null-Zins-Politik, mit den milliardenschweren Anleihekäufen in diesem Jahr? Was ist mit den Krisen der Banken? Die Deutsche Bank wird genannt, die Commerzbank, vor allem aber auch ganz aktuell die Krise der italienischen Banken.
    Und was ist mit der europäischen Währung, mit dem Euro – so schwach wie fast noch nie, 2016? Wie viel Vermögen, wie viele private Sparguthaben hat diese Entwicklung zunichtegemacht? Unser Thema nun mit dem Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte. Er hat im Jahr 2006, zwei Jahre vor der Finanzkrise, vor dem großen Crash gewarnt. Guten Morgen!
    "Eurokrise - eigentlich eine Wettbewerbsfähigkeitskrise der Südländer"
    Max Otte: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Otte, sind wir nie so richtig rausgekommen aus dieser Krise?
    Otte: Das trifft ganz gut. Wir sind wirklich nie so richtig rausgekommen. Wir haben 2008 die Krise durch eine Geldpolitik der offenen Schleusen weiter erstickt beziehungsweise unterdrückt, und das merken wir jetzt. Und dann ging es halt 2010 in Europa los mit der sogenannten Eurokrise, die eigentlich eine Wettbewerbsfähigkeitskrise ist der Südländer. Und auch das haben wir in der Geldpolitik zu ersticken versucht, und das funktioniert auf Dauer nicht. Und jetzt so langsam bröckeln diese Verfahren beziehungsweise reißen diese Notmaßnahmen, und jetzt merken wir, dass doch die Krise noch da ist.
    "Den Deutschen geht es nicht so gut, wie sie glauben"
    Müller: Sie sagen, jetzt merken wir das langsam. Dennoch würden ja die meisten – die meisten Deutschen, ist jetzt nicht verifiziert –, sagen, uns geht es gut. Warum merken wir es nicht wirklich?
    Otte: Den Deutschen geht es subjektiv gesehen einigermaßen gut, wobei, wenn ich wieder sehe, was das durchschnittliche Rentenniveau ist nach einem vollen Arbeitsleben, bei 1.060 Euro, auf dem Land okay, in der Stadt sehr bedenklich. Den Deutschen geht es nicht so gut, wie sie glauben. Sie verkonsumieren ihre Zukunft. Sie haben weniger Vermögen als zum Beispiel die Italiener oder viele andere Länder in Europa. Wir konsumieren, die Industrie läuft, aber wirklich gut, gemessen an dem, was wir produzieren, geht es uns nicht.
    Müller: Was meinen Sie damit, man verkonsumiert die Zukunft? Sind wir zu verschwenderisch?
    "Wir verpassen vielleicht schon den Anschluss an die Zukunft"
    Otte: Ja, unsere – wir sparen ja auch eine ganze Menge. Wir haben über fünf Billionen in Geldvermögen liegen, also sprich Tagesgelder, Sparkonten, Lebensversicherung, aber unser Kapital fließt sehr stark ins Ausland ab, das ist die Spiegelseite der Exportüberschüsse, wir exportieren Kapital, das Kapital wird woanders investiert, in Deutschland wird nicht mehr wirklich groß in Infrastruktur investiert, zum Teil schon, aber das, was gespart wird, fließt im Moment auch ab.
    Müller: Und deswegen hat es mittel- und langfristig keinen Wert.
    Otte: Richtig. Deswegen verpassen wir vielleicht die eine oder andere Investition. Ja, Automobilzulieferbetriebe, viele andere Betriebe laufen, das brummt. Wir sind wettbewerbsfähig, auch durch die Hartz-4-Reformen, aber wir verpassen vielleicht schon den Anschluss an die Zukunft. Und die Geldpolitik ist sicherlich ein Aspekt, wo wir auch dann von dem sogenannten Uns-geht-es-gut doch vielleicht, sagen wir mal, genauer hinschauen und da das eine oder andere an Einbußen hinnehmen, denn negative Nullzinsen treffen natürlich vor allem die Sparer, und das ist die Mittelschicht.
    Müller: Ja, Sie sagen das, und das wird auch immer wieder von den Kritikern ja in die Diskussion gebracht, also dass das Sparvermögen und Guthaben vernichtet werden aufgrund der fehlenden Zinsen oder der Nullzinsen in Europa. Die Amerikaner haben ja jetzt im zweiten Schritt ein bisschen gegengesteuert, vielleicht kommt das ja auch nach Europa. Aber auf der anderen Seite sind viele ja froh, dass sie beispielsweise für Kredite, auch Investitionskredite, aber auch für die Baufinanzierung beispielsweise einfach nicht mehr so viel Geld bezahlen müssen, dass das alles ganz günstig ist. Warum hat das keinen positiven Effekt.
    "Die Baufinanzierung ist das Einzige, wo die Mittelschicht profitiert"
    Otte: Also die Baufinanzierung ist mit das Einzige, wo die Mittelschicht durchaus auch profitiert, aber auch Sinn macht, jetzt bei diesen Häuserpreisen neu zu bauen. Wir haben eine Menge Häuser im Lande, also ich weiß, in ländlichen Regionen sind die Baukosten zum Teil um 30, 40 Prozent gestiegen in den letzten paar Jahren. Das ist auch die Frage, ob also das Haus die Investition ist, die man glaubt, denn wenn viel gebaut wird, dann werden in fünf Jahren andere Häuser gebaut, das Haus ist ja auch zu einem relativ schnelllebigen Objekt geworden zum Teil. Also auch da muss man aufpassen, ob das auf Dauer so gut ist für die Vermögensbildung, das muss man sich im Einzelfall sehr gut anschauen. Wir sind jetzt seit einigen Jahren schon in einer Phase rapide steigender Häuser- und Baupreise zumindest in den guten Lagen. Auf dem Land, gerade da, wo die Leute wegziehen, da ist dann auch keine Entwicklung auf dem Immobilienmarkt. Also, das muss man auch differenziert sehen.
    Müller: Das hört sich so an, Herr Otte, als würden Sie jetzt direkt oder indirekt vor einer Immobilienblase warnen?
    Otte: Na ja, so weit sind wir außer in den Großstädten noch nicht, aber in den Großstädten werden wirklich zum Teil absurde Preise gezahlt, da wird das 40-fache der Miete bezahlt, das ist zu teuer. Die Leute wissen eben nicht mehr, wohin mit ihrem Geld, beziehungsweise wissen, dass es auf dem Konto weniger wird und nicht mehr, und dann wird eben auch in Immobilien investiert. Das am liebsten gekaufte Produkt sind derzeit offene Immobilienfonds, und da wäre ich als Investor sehr vorsichtig, denn diese offenen Fonds, die Gesellschafter werden mit Geld zugeschüttet, und dann müssen sie es natürlich investieren, dann kaufen sie unter Umständen teure Objekte, und das kann nicht gut sein für die Rendite der einzelnen Fonds-Investoren.
    "Das ist Staatssozialismus, das ist Zwangswirtschaft"
    Müller: Reden wir noch einmal über Geldpolitik, über die Politik der Europäischen Zentralbank, ebenfalls äußerst umstritten die milliardenschweren Anleihekäufe in diesem Jahr, die werden fortgesetzt bis 2017, 2018, das hat Mario Draghi schon angekündigt, in einer unfassbaren Dimension. Es waren 80 Milliarden, es soll jetzt, glaube ich, gedrosselt werden auf 60 Milliarden pro Monat, wo Staatspapiere angekauft werden, indirekte Staatsfinanzierung, sagen die großen Kritiker. Wie gefährlich ist das wirklich?
    Otte: Es werden ja nicht nur Staatspapiere angekauft. Die Europäische Zentralbank kauft ja mittlerweile sogar Unternehmensanleihen. Wenn ich meine Professoren in Köln in den Achtzigern gefragt hätte, ist so was möglich, dann hätten sie gesagt, nein, das ist nicht möglich, oder sie hätten gesagt, das ist Staatssozialismus, das ist ein Systembruch, das ist Zwangswirtschaft. Das sind ganz massive, nicht systemkonforme Eingriffe, die wir hier betreiben, in der Hoffnung, wir können die Eurozone in gewisser Weise retten, also den Zusammenhalt der Eurozone, des Euro retten. Das ist ja der Sinn dieser ganzen Sache, und man merkt, dass auch diese brachiale Methode so langsam an ihre Grenzen gerät. Wir sehen in Italien Banken wanken, wir sehen, dass die Target-Salden, also die Kredite, die die Europäische Zentralbank an die Südländer gibt, wieder steigen. Die sind nach der ersten Draghi-Rede 2012 massiv gesunken, und so langsam steigt das wieder, also die Stresssymptome im Euro-System, die steigen wieder.
    "Es ist in gewisser Weise verbranntes Geld"
    Müller: Ja. Und wenn diese Milliardeninvestitionen so weiter gehen, kommen die irgendwann positiv, in Anführung, so formuliere ich das jetzt mal, kommen die zurück, können die jemals zurückkommen?
    Otte: Nein, das können sie nicht. Es sind ja auch keine Investitionen, sondern es sind quasi – es ist der Aufkauf zum Teil fauler Kredite, zum Teil guter Anleihen natürlich größtenteils. Diese Anleihen lagern dann bei der Europäischen Zentralbank und das kann letztlich nicht mehr zurückgezahlt werden. Dazu wäre ein Wachstum notwendig, das wir schlichtweg nicht haben.
    Müller: Dann ist es verbranntes Geld?
    Otte: Es ist in gewisser Weise verbranntes Geld, aber es führt natürlich dazu, dass diese Konstruktion Euro noch eine Weile hält, dass die deutschen Firmen weiter exportieren können. Also es erhält zumindest Arbeitsplätze für den Moment, aber es verhindert natürlich eine grundlegende Reform.
    "Das Ausland ist in Deutschland auf einer Einkaufstour"
    Müller: Die Währungssituation der Euro, sehr schwach, also wer beispielsweise sich entschieden hat in diesen Weihnachtsfeiertagen in den USA Urlaub zu machen, der merkt eindeutig, wie schwach der Euro ist seit vielen, vielen Jahren, auf einem Tiefpunkt. Ist das gut, auf der anderen Seite, dass der Euro schwach ist.
    Otte: Am Besten wäre, wir hätten ein stabiles Weltwährungssystem, dass die Währungen nicht so schwanken, denn schwankende und frei floatende Währungen, die wir im Prinzip seit 1971 haben, aber dann verstärkt erst seit 1978, die führen natürlich zu Unsicherheit, die Firmen müssen sich absichern und so weiter. Also, am Besten wäre es, wir hätten das Weltwährungssystem, wie von Bretton Woods, oder ein zweites Bretton Woods, wo wir die Weltwährung einigermaßen fixieren, mit Anpassungsmöglichkeiten, also nicht ganz starr fixieren. Nun haben wir das nicht.
    Also ein schwacher Euro hat, wie alles in der Wirtschaft, meistens seine positiven und negativen Seiten. Gut ist das für den Export, vor allem für die Länder Südeuropas, aber natürlich auch für Deutschland. Schlecht ist es letztlich für unsere Industrie in dem Sinne, dass also immer mehr Besitzanteile europäischer Unternehmen, auch deutscher Unternehmen ins Ausland wandern. Das Ausland ist in Deutschland auf einer Einkaufstour und kauft ein Unternehmen nach dem anderen, ob das die Chinesen sind, aber vor allem die Amerikaner. Also ich denke, das ist nicht nur positiv zu sehen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Interview der Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Er ist auch Leiter des Instituts für Vermögensentwicklung in Köln. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben, und ich wünsche Ihnen alles Gute und schon jetzt einen guten Rutsch!
    Otte: Guten Rutsch, guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.