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Finanzkrise
Wie die Bankenrettung auf der Gesellschaft lastet

Er war einer der wenigen, die die Finanzkrise haben kommen sehen: Der Ökonom Michael Hudson warnt nun erneut vor den Folgen der ungezügelten Finanzwirtschaft. Die grundlegenden Probleme unseres Wirtschaftssystems müssten dringend gelöst werden.

Von Caspar Dohmen |
    Die Warenterminbörse New York Mercantile Exchange (Nymex) in New York City.
    Die Warenterminbörse New York Mercantile Exchange (Nymex) in New York City. (imago/UPI Photo)
    Michael Hudson wirkt fassungslos, wenn er darüber sinniert, wie wenig heute das ökonomische Einmaleins Allgemeingut ist und wie wenig sich nach der Finanzkrise getan hat, um die grundlegenden Probleme unseres Wirtschaftssystems zu lösen. Fragt man ihn nach der Hauptbotschaft seines mehr als 600 Seiten umfassenden Buches "Der Sektor", fällt seine Antwort kurz und präzise aus: "Wenn man die Schulden nicht abschreibt auf eine Höhe, die bezahlbar ist, dann ähnelt Europas Zukunft der des heutigen Griechenland. Wenn die Schulden wie in vielen Ländern auf hundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts wachsen und die Zinsen betragen fünf Prozent, vier Prozent oder auch nur drei Prozent, die Wirtschaft aber nur um drei Prozent wächst, dann muss das ganze jährliche Wirtschaftswachstum für Zinsen bezahlt werden. Es gibt dann keinen Raum für ein Wachstum des Konsums, Wachstum der privaten Investitionen oder Wachstum durch kreditfinanzierte Staatsausgaben. Ökonomen nennen diese Situation Schuldeninflation."
    Hudson ist eine seltene Mischung Mensch, ein marxistischer Ökonom, der an der Wall-Street gearbeitet hat, weil er dort Arbeitergeber fand, die daran interessiert waren, wie die Wirtschaft wirklich funktioniert. Der Wissenschaftler hatte ein sozialrevolutionäres Elternhaus: Der Vater, ein überzeugter Trotzkist, Hudson Juniors Taufpate wurde Leo Trotzki, neben Lenin der wichtigste Politiker der jungen Sowjetunion. Heute forscht Hudson an der Universität Minneapolis, unter anderem zu der Zinsthematik in antiken Gesellschaften. Kam ein Herrscher an die Macht, erließ er alsbald Schulden, auf diese Weise seien die Gesellschaften stabil gewesen. Die heutige Misere ist für Hudson vor allem auch dadurch begründet, dass die Banken und die 1 Prozent Reichen es geschafft haben, die restlichen 99 Prozent für sich arbeiten zu lassen, als Kreditnehmer.
    Auch leistungslose Einkünfte sollten berücksichtigt werden
    Hudson beschreibt in seinem Buch den elementaren Interessenkonflikt zwischen den Banken und Reichsten auf der einen Seite und der Industrie, dem Staat und den 99 Prozent auf der anderen Seite. Hudson stellt bissige, intelligente Fragen, die aufrütteln: "Wenn die Einkünfte die Produktivität widerspiegeln, warum sind dann die Löhne seit den siebziger Jahren gleich geblieben, während doch die Produktivität fast ins Unermessliche gestiegen ist? Warum wurden die Gewinne durch die Banken und Finanziers abgeschöpft und kamen eben nicht den Beschäftigten zugute? Warum gibt es in den heutigen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen keine Kategorie für unverdiente, leistungslose Einkünfte – eine Kategorie, die im Mittelpunkt der klassischen ökonomischen Wert- und Preistheorie stand? Wenn es den Wirtschaftswissenschaften wirklich um die Ausübung des freien Willens geht, warum befanden es dann die Prediger der Rentier-Interessen für nötig, die Geschichte des klassischen ökonomischen Gedankenguts aus dem Lehrplan zu verbannen?"
    Und er hat auch eine Antwort parat, warum diese Fragen nicht in der Öffentlichkeit in großem Stil gestellt werden. "Die Strategie der Schmarotzer besteht darin, den Wirt einzulullen, dass ihm gar nicht in den Sinn kommt diese Fragen zu stellen. Dieses durch Zensur erzeugte Trugbild ist Kern der postklassischen Wirtschaftslehre, die unter dem betäubenden Einfluss der 'neoliberalen Ökonomen' steht, jener Wirtschaftswissenschaftler, die für die Rentiers und gegen staatliche Eingriffe auf dem Arbeitsmarkt Partei ergreifen."
    Ökonomische Klassiker mehr beachten
    An die Stelle der Feudalisten, die früher als Landeigentümer die Menschen ausgebeutet hätten, seien die Banken getreten mit ihrer Kreditvergabe. Hudson ist es deswegen ein zentrales Anliegen, die Sichtweisen der ökonomischen Klassiker ins Bewusstsein der Leser zu holen. Adam Smith, David Ricardo oder John Stuart Mill hätten eben zwischen "verdientem und unverdienten Einkommen unterschieden". Diese Ökonomen kämpften im 18. Jahrhundert gegen die Privilegien der Feudalherren und setzten sich für die Schaffung eines freien Marktes ein, bei dem die Beteiligten für ihre produktiven Leistungen bezahlt werden sollten. Dringend ergänzt werden müsse auch die Wirtschaftsrechnung, sie sei heute teils irrwitzig, schüttelt Hudson im Garten der Berliner Festspiele den Kopf: "Betrug zählt als Teil des Nationaleinkommens. Wenn ich eine Pistole ziehe und sage: Geld oder Leben, gib mir dein Geld, und du gibst mir hundert Euro, zählt dies als Bruttoinlandsprodukt, ich füge hundert Euro der Wirtschaft durch den Service zu, dir dein Leben zu lassen. Diese Art von Nonsens gibt es in der nationalen Einkommensstatistik."
    Der Autor kennt sich blendend in der Historie aus und ist ein brillanter ökonomischer Analytiker, der das marxistische Lehrwerkzeug genauso aus dem Effeff beherrscht wie die diversen Statistiken und ihre Lücken zur Ermittlung des Nationaleinkommens. Hudson hat ein analytisch tiefsinniges und sehr verständliches Buch geschrieben hat, so wie es vor allem angelsächsische Wissenschaftler können.
    Wo liegen die Ursachen für die hohe Verschuldung?
    Diverse Fachleute haben zuletzt über das Thema Ungleichheit geschrieben; wer den Kern des Problems verstehen und Lösungen vorantreiben will, der sollte zu Hudson greifen, der übrigens geteilter Meinung über die Thesen von Thomas Piketty ist, dessen Buch "Kapital im 21 Jahrhundert" die globale Diskussion über Ungleichheit befeuert hat. "Was er gemacht hat, war sehr nützlich. Er hat Jahre damit verbracht Statistiken auszuwerten um zu zeigen wer vom Vermögens- und Einkommenszuwachs profitiert und er fand heraus, dass das Wachstum des Vermögens auf ein Prozent entfällt. Das ist sehr hilfreich. Er fragt nicht, warum das Vermögenswachstum auf ein Prozent entfällt und das liegt vor allem an der unproduktiven Schuldenlast der Ökonomie als Ganzes."
    Piketty habe viele weitere wichtige Fragen nicht gestellt, so Hudson: "Er hat sich nicht mit den Ursachen der Verschuldung beschäftigt, welche vor allem etwas mit Änderungen des Steuersystem zu tun haben. Er sagt nicht, wir brauchen eine Steuer auf Monopole oder auf Land, um die Preise für Häuser niedrig zu halten. Er fordert keine auf Defizit finanzierten Staatsausgaben, er klagte die Tatsache an, dass es Erbschaften gibt." Der Lösungsansatz von Hudson ist ein anderer. Notwendig sei ein weitgehender Schuldenschnitt für Staaten, Unternehmen und Privatpersonen. Geschehe dies nicht, dann sieht der Ökonom schwarz, auch für Gesamteuropa. Und er hat wirtschaftliche Entwicklungen schon öfter richtig analysiert, wie das Auftreten der Finanzkrise. Wer Schlimmes verhindern will, sollte ihn genau lesen.
    Michael Hudson. Der Sektor. Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört.
    Klett-Cotta, 670 Seiten, 26,95 Euro.