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Inflations-Entlastungspaket
Lindner (FDP): Wir geben die Steuer-Mehreinnahmen zurück

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat das von der Bundesregierung geplante Entlastungspaket gegen Kritik verteidigt. Über das Jahr würden substanzielle Erleichterungen spürbar, sagte er im Dlf. Zudem wolle er verhindern, dass es aufgrund der Steuer-Mehreinnahmen zu einer Kalten Progression komme.

Christian Lindner im Gespräch mit Philipp May |
Steuerschätzer gehen davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahr sogar 40,4 Milliarden Euro mehr einnehmen werden als noch im November erwartet - Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Folgen einer Kalten Progession aber abmindern
"Wir müssen unseren Wohlstand neu erarbeiten" - er dürfe nicht länger auf billigen russischen Energieimporten basieren. Darin liege auch eine Chance für Deutschland, so der Finanzminister im Dlf. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Der Bundestag hat am 12. Mai finanzielle Hilfen in Höhe von insgesamt 30 Milliarden Euro beschlossen, um Bürgerinnen und Bürger angesichts steigender Kosten zu entlasten. Dazu gehören 20 Euro mehr im Monat für Kinder aus ärmeren Familien, eine Erhöhung des Heizkostenzuschusses für Wohngeldempfänger und eine Energiepreispauschale von 300 Euro, die an Steuerpflichtige ausgezahlt wird. Rentnerinnen und Rentner sind davon ausgenommen ebenso wie all jene, die Krankengeld, Übergangsgeld oder Elterngeld beziehen - sie erhalten keine Energiepreispauschale. Das sei absolut unverständlich, kritisiert der Sozialverband VdK. Die Einmalzahlungen für Hartz-IV-Empfänger nannte VdK-Präsidentin Verena Bentele „einen Tropfen auf den heißen Stein“.
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk verteidigte Finanzminister Christian Lindner die Maßnahmen. Diese seien "vergleichsweise passgenau" für die Energiepreissteigerungen in 2022, sagte der FDP-Politiker.

Lindner will Kalte Progression bekämpfen

Gleichzeitig sprudeln die Steuereinahmen, denn wenn die Preise steigen, nimmt der Staat mehr Geld ein, etwa über die Mehrwertsteuer. Steuerschätzer gehen von Mehreinnahmen für Bund, Länder und Kommunen von allein 40 Milliarden Euro in diesem Jahr und 220 Milliarden Euro bis 2026 aus. Mehreinnahmen in diesem Jahr gingen über die Entlastungspakete direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurück, betonte Lindner.
Zudem wolle er verhindern, dass es aufgrund der Inflation zu einer sogenannten Kalten Progression komme. Damit die Kaufkraft von Bürgerinnen und Bürgern trotz Gehaltserhöhung nicht gleich bleibt oder sogar sinkt, werde er Vorschläge machen, wie die staatlichen Gewinne während der Inflation an Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden könnten. Allgemeine Steuerentlastungen seien im Rahmen der Ampelkoalition aber "eher schwierig", so Lindner.

"Wir müssen unseren Wohlstand neu erarbeiten"

"Wir werden ärmer", hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich vor unter anderem vor dem Hintergrund steigender Energiekosten verkündet. Das sei richtig, wenn wenn man für Energieimporte mehr bezahlen müsse, sagte Lindner im Dlf. Deutschland müsse sein "Geschäftsmodell" verändern, dies könne nicht länger auf günstigen russischen Energieimporten aufbauen. "Wir müssen unseren Wohlstand und die soziale Sicherheit neu erarbeiten", sagte der Bundesfinanzminister. Darin läge aber auch eine Chance für die Zukunft - für saubere Technologien, mehr Bildung, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Mit Blick auf die großen Transformationsprojekte lehnte Lindner Steuererhöhungen und Bürokratismus ab. Für Transformations-Aufgaben werde privates Kapital gebraucht - Deutschland müsse dafür ein attraktiver Standort werden.

Das Interview in voller Länge:
Philipp May: 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr, 60 Milliarden für die Digitalisierung und die Energiewende – Posten, die zusammen genommen schon rund ein Drittel des gesamten Bundeshaushaltes verschlingen würden und deswegen ausgelagert wurden. Das heißt nicht, dass es deswegen keine Schulden sind.
Jetzt noch mal die Energie-Entlastungspakete, die die Ampel bereitstellt – alles in allem rund 30 Milliarden Euro.Doch reicht das alles überhaupt noch bei dieser galoppierenden Inflation in Deutschland und weltweit? Immerhin, die Steuereinnahmen sprudeln; allein dieses Jahr 40 Milliarden Euro mehr und bis 2026 220 Milliarden, sagen die Steuerschätzer.
Herr Lindner, müssen Sie als FDP-Finanzminister das Geld den Bürgern nicht direkt zurückgeben?
Christian Lindner: Das tue ich! Die Mehreinnahmen, die der Bund gegenüber der November-Schätzung in diesem Jahr 2022 einnimmt, diese gut 17 Milliarden Euro, diese 17 Milliarden Euro gehen direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurück über die Entlastungspakete, über die der Bundestag in dieser Woche spricht. Diese geplanten Änderungen der Steuergesetze konnten die Steuerschätzer nicht berücksichtigen und deshalb: Das, was wir an Mehreinnahmen haben, das geht an die Bürgerinnen und Bürger.

Mehreinnahmen des Staates an Bürger zurückgeben

May: Und wie ist es dann danach, wenn das Jahr vorbei ist? Dann wird es ja weitere Mehreinnahmen geben.
Lindner: Ja, darüber werden wir im Herbst sprechen. Ich lege dann einen sogenannten Progressionsbericht vor. Dazu bin ich gesetzlich verpflichtet. Der Staat wird Mehreinnahmen haben durch die sogenannte Kalte Progression. Es gibt Gehaltssteigerungen, aber die Gehaltssteigerungen decken nur den Kaufkraftverlust durch die Inflation ab. Und dennoch würde der Staat dann prozentual stärker über sein Steuersystem zugreifen.
Für mich sind das automatische Steuererhöhungen durch Unterlassung und davon möchte ich als Finanzminister nicht profitieren. Deshalb werde ich einen Vorschlag machen, wie wir den Regelsatz bei der Grundsicherung, den steuerfreien Grundbetrag im Steuerrecht und auch den Tarifverlauf bei der Steuer so anpassen, dass es nicht zu solchen Gewinnen über die Kalte Progression kommt.

Entlastungspakete erfordern Gesetzgebung - das dauert

May: Warum dauert es so lange, bis die Entlastungen kommen?
Lindner: Weil die Entlastungspakete Gesetzgebung erfordern. Das ist notwendig, wenn man etwa an das Steuerrecht herangeht. Davon zu unterscheiden sind Wirtschaftsbeihilfen. Das kann das Kabinett mit dem Haushaltsausschuss als über- und außerplanmäßige Ausgabe machen. Bei Änderungen am Steuerrecht ist das nicht möglich und wir beabsichtigen ja beispielsweise rückwirkend zum 1. Januar für alle dauerhaft schon in diesem Jahr, den Grundfreibetrag bei der Steuer und den Arbeitnehmerpauschbetrag zu erhöhen. Es entfällt die sogenannte EEG-Umlage auf der Stromrechnung von der Rentnerin bis zum BAFÖG-Bezieher für alle. Auch dafür muss ein Gesetz geändert werden.

"In der Jahreswirkung eine große Entlastung"

May: Das ist schon klar! Aber die Leute und die Menschen in Deutschland haben ja jetzt schon kein Geld und auch schon seit längerem knapsen sie.
Lindner: Ja! Aber wir können nur das tun, was in unserer Macht steht. In einem Rechtsstaat müssen Gesetze verändert werden. Das passiert. Ich glaube schon, dass es bei vielen Menschen ein Verständnis gibt, dass bald signifikante Entlastungen kommen. Für eine vierköpfige Familie reden wir über mehrere hundert Euro, je nach Fallkonstellation deutlich über 500 Euro, die da Mitte des Jahres kommen, und ich glaube, in der Jahreswirkung ist das für die Menschen dann eine große Entlastung.
May: Schauen wir auf die Hilfen, die Sie gestern beschlossen haben. Es gibt erwartungsgemäß Kritik. Heute hören wir die ganze Zeit Kritik vom VDK, dem Sozialverband. Schauen wir gerade auf die Hilfen aus Sicht der Ärmsten: Einmalig 200 Euro für Hartz-IV-Empfänger, dazu ein erhöhter Kinderzuschuss, 20 Euro monatlich. Das klingt schon nach dem Tropfen auf den heißen Stein. Kommt da überhaupt ein Tropfen zusammen?
Lindner: Man muss noch Weiteres hinzunehmen. Natürlich haben wir den Heizkostenzuschuss für die Wohngeldempfänger ebenfalls mit erhöht. Man muss hinzufügen, dass ja Menschen in der Grundsicherung keine Mobilitätskosten zum Arbeitsplatz bezahlen müssen, dass die Unterkunft auch über die Regelleistungen gestellt wird. Ich habe im Ohr, dass ein Experte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unlängst sagte, dass die von der Regierung insgesamt geplanten Maßnahmen doch vergleichsweise passgenau sind für die Energiepreissteigerungen dieses Jahres 2022.

„Wir müssen die soziale Sicherheit neu erarbeiten“

May: Passgenau, aber ausreichend?
Lindner: Na ja. Wenn Sie mit einem FDP-Vorsitzenden sprechen, dann wird der Ihnen immer antworten, dass er auch vor der Inflation eine steuerliche Entlastung für sinnvoll gehalten hat, und daran halte ich jetzt fest. Ich weiß, dass ich in dieser Ampel-Koalition mich auf das realistisch Machbare konzentrieren kann. Das ist die Rückgabe von Gewinnen durch die Kalte Progression während der Inflation. Allgemeine Steuerentlastungen sind in der Konstellation eher schwierig.
May: Wir werden ärmer, sagt Robert Habeck. Wieviel Wohlstand verlieren wir denn?
Lindner: Ich sage auch, wir verlieren volkswirtschaftlichen Wohlstand, wenn wir mehr bezahlen müssen für Energieimporte. Dennoch ist damit für mich kein Fatalismus verbunden. Ich würde deshalb den Satz variieren: Wir müssen unseren Wohlstand und die soziale Sicherheit, den wir in Deutschland und die wir in Deutschland haben, neu erarbeiten und unser Geschäftsmodell anpassen, weil es nicht mehr basieren kann auf günstigen russischen Energieimporten. Aber das ist zugleich auch eine Chance, auf saubere Technologie zu setzen, neue Freihandelsabkommen, mehr zu tun für die Bildung, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wenn wir diese Krise nutzen, um uns, um Deutschland zu verändern bei Dingen, wo wir wissen, dass sie nicht gut laufen, dann müssen wir auch keine Sorgen vor Verarmung haben. Dann gibt es eine Chance, das was uns wichtig ist, soziale Sicherheit und das, was die Menschen brauchen, individuelle wirtschaftliche Perspektive, zu sichern.

Privates Kapital für die großen Transformationsaufgaben

May: Herr Minister, ein Umbau und neue Chancen, das heißt ja auch viele neue Investitionen. Das wird alles sehr teuer in Zukunft, der Umbau der deutschen Volkswirtschaft. Sie wollen schon im nächsten Jahr wieder einen Haushalt im Einklang mit der Schuldenbremse vorlegen. Gleichzeitig wollen Sie die Bürger entlasten, wie Sie gerade erklärt haben. Dass beides realistisch ist, wird von vielen Ökonomen in Frage gestellt. Wie viele zusätzliche Schattenhaushalte und Sondervermögen werden Sie dafür noch brauchen?
Lindner: Keines! Im Gegenteil werde ich im Laufe der Periode nach und nach Rücklagen, Nebenhaushalte, Sondervermögen auflösen, um den Haushalt klarer zu machen. Das Sondervermögen für die Bundeswehr, das ist das einzige, das auf mich zurückgehen wird, das ich vorgeschlagen habe. Das ist kein Schattenhaushalt. Nichts kann heller sein als ein Budget, das sogar im Grundgesetz erwähnt ist.
Zur Finanzplanung, wenn ich das noch sagen darf, Herr May: Bis 2026 wird im Bundeshaushalt ein Volumen von 350 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stehen. Das toppt alle bisherigen Rekorde. Die Aufgabe wird sein, mit dem Geld der Steuerzahler gut umzugehen und die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
Zum zweiten brauchen wir für die großen Transformationsaufgaben vor allen Dingen privates Kapital, weshalb alle Forderungen nach Steuererhöhungen, Mehrbelastung, Bürokratismus schädlich sind, denn wir müssen ja privates Kapital nach Deutschland ziehen, es attraktiv machen, es hier zu investieren, damit die Transformation gelingt.
May: Das heißt, der Rotstift wird unter dem Finanzminister Christian Lindner jetzt nicht angesetzt werden?
Lindner: Doch! Bei Plänen, die wir uns nicht leisten können. Wir werden priorisieren müssen, welche politisch wünschenswerten Vorhaben kommen wann. Nicht sofort mehr Konsum und Umverteilung ist möglich, aber wir müssen auch nicht brutal mit dem Rotstift arbeiten. Das einzige was wir tun müssen ist, dafür zu sorgen – das ist nicht wenig, aber es ist die zentrale Aufgabe -, dass unsere Wirtschaft schneller wächst als die Ausgaben des Staates. Wenn das gelingt, dann befreit sich unser Staat über die nächsten Jahre aus der Verschuldungssituation.

Mehr Bildung statt Umverteilung von Vermögen

May: Herr Lindner, Carsten Schneider, auch langjähriger Finanzpolitiker der Sozialdemokraten, jetzt Ostbeauftragter, sitzt mit Ihnen in der Bundesregierung, hat vorgeschlagen, man sollte jungen Menschen, jedem jungen Menschen eine 20.000 Euro Zahlung leisten, um das Problem der Schere, die sich dadurch ergibt, dass einige sehr viel erben, andere gar nicht erben und dadurch völlig unterschiedliche Startvoraussetzungen im Prinzip ins Erwerbsleben stattfinden, um das abzumildern. Er möchte das mit Einführung der Vermögenssteuer finanzieren. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Lindner: Das ist kein Regierungsvorhaben. Wenn ich das als das, was es ist, ein Vorschlag aus dem parteipolitischen Umfeld bewerte, dann sage ich, diese Form der Umverteilung ist gut gemeint. An dem Punkt Menschen Chancen zu geben beim Start ins Leben, da bin ich an seiner Seite. Da ist für mich die Lösung aber Bildung. Die Rendite von Bildungsinvestitionen über das Leben ist höher als eine einmalige solche Zahlung. Und der Gegenfinanzierungsvorschlag über die Vermögenssteuer belebt eine sehr alte Debatte. Aus guten Gründen erheben wir sie nicht. Sie ist teuer bei der Erhebung. Sie belastet auch mittelständische Betriebe. Das ist in der Regel ja das Vermögen, der Besitz an einem Betrieb. Ich glaube nicht, dass die Komponente der Umverteilung und der Steuererhöhung uns in dieser Phase hilft. Mehr zu tun für Startchancen, Bildung, Durchlässigkeit der Gesellschaft, da fällt uns Besseres ein.

Landtagswahl NRW: Fünf Jahre FDP habe das Land vorangebracht

May: Herr Lindner, wenn ich darf, möchte ich Ihnen zum Abschluss noch eine Frage zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen stellen. Vor fünf Jahren waren Sie selbst noch Spitzenkandidat – 12,6 Prozent für die FDP und überraschend sogar eine schwarz-gelbe Mehrheit hat es gegeben. Beides wird, vorsichtig formuliert, schwierig werden. Die FDP liegt bei sechs Prozent. Wieso profitiert Ihre Partei nicht von Ihren Regierungsbeteiligungen?
Lindner: Jede Landtagswahl ist anders und aus jeder Landtagswahl zieht man andere Schlüsse. Erinnern Sie sich bitte an das Saarland und vergleichen Sie mit Schleswig-Holstein. Wer war da Gewinner? Wer war da Verlierer? – Insofern: Jede Wahl ist anders.
Bezogen auf NRW wollen wir mal abwarten. Sie zitieren jetzt eine Umfrage vom ZDF. Es gibt aber auch andere, da steht die FDP bei acht und da wird man sehen, was am Sonntag rauskommt.
Klar ist, dass die Landtagswahl 2017 eine besondere war. Ich als Bundesparteivorsitzender war damals zugleich auch der Spitzenkandidat im Land. Ich habe geworben für eine Veränderung in Nordrhein-Westfalen, aber auch geworben für das Comeback der FDP, überhaupt wieder in den Bundestag zu kommen. Das war eine besondere Situation, hat deshalb das beste Ergebnis der FDP aller Zeiten bei einer Landtagswahl in NRW gegeben.
Jetzt ist die Lage anders, aber die FDP hat fünf Jahre das Land vorangebracht, etwa im Bereich der Wirtschaft und der Infrastruktur ist viel erreicht worden. Wer möchte, dass das weitergeht, dass das Land weiter aus der Mitte regiert wird, der muss am Sonntag wieder die FDP stärken. Ich bin jetzt zwei Tage in NRW unterwegs und freue mich auch auf die Veranstaltungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.