Die Aufregung und den Stolz hört man förmlich in der Stimme von Hannu Tihinen am Tag vor dem Spiel gegen Dänemark: "Wir haben auf diesen Moment ungefähr 114 Jahre gewartet."
Der Sportdirektor des finnischen Fußballverbands geht optimistisch in das erste große Turnier der finnischen Fußballgeschichte: "Wir sind ein Team. Gegen uns ist es schwer zu spielen. Und wir haben inzwischen genug Qualität, um wirklich gute Ergebnisse zu erzielen."
Selbstbewusstsein hat sich das Team nicht nur durch die EM-Qualifikation geholt, die im November 2019 unter Dach und Fach gebracht wurde.
Zwei der drei Tore beim entscheidenden 3:0 gegen Liechtenstein erzielt Superstar Teemu Pukki, der bis 2013 bei Schalke 04 spielte. Selbstbewusstsein ziehen die "Uhus", so der Spitzname des Teams, aber auch zum Beispiel durch einen 2:0-Auswärtssieg in einem Freundschaftsspiel bei Weltmeister Frankreich. Fußball erlebt in Finnland einen regelrechten Boom. Journalist Mika Moilanen arbeitet für "Helsingin Sanomat", die größte Tageszeitung des Landes:
"Wenn man durch die Straßen geht, sieht und liest man überall Fußball. Eigentlich redet jeder über unser Nationalteam."
Enge Zusammenarbeit der Mannschaftssportarten
Und das, obwohl erst vor wenigen Tagen das Finale der Eishockey-WM war, dem wichtigsten Sport in Finnland. Diese Gegensätze der Sportarten versucht man seit einiger Zeit aufzubrechen. Es gebe nicht Nummer eins oder zwei, berichtet Sportdirektor Tihinen:
"Wir haben eine besondere Situation im finnischen Sport. In den letzten fünf, sechs Jahren arbeiten wir in den Mannschaftssportarten eng zusammen. In regelmäßigen Treffen teilen wir unsere Ideen und bekommen sie auch aus anderen Sportarten. Das ist die Basis für die Entwicklung aller Teamsportarten in Finnland."
Der Fußball hat in den letzten Jahren, besonders im Breiten- und Amateursport, eine spürbare Entwicklung durchlebt.
"2008 gab es nur Sandplätze in Helsinki", erinnert sich Gino Turri an seine erste Zeit in Finnland. Heute spielt er mit dem FC Germania Helsinki, einem deutschen Fußballverein in der Liga Vitonen, der sechsthöchsten des Landes. Wie schon 2008 bei einem anderen finnischen Verein:
"Es war dieselbe Liga und das Niveau war viel lausiger als jetzt. Das waren eigentlich alte Herren. Die gleiche Liga ist jetzt 13 Jahre später viel professioneller, viel fittere Leute. Es hat sich echt viel getan in Finnland, fußballtechnisch über die Jahre."
Viele Vereine sind entstanden, viel mehr Menschen spielen Fußball. Inzwischen sogar schon doppelt so viele wie Eishockey. Auch der FC Germania Helsinki ist noch ein junger Verein, erst 2017 gegründet. Vor allem den sozialen und kulturverbindenden Aspekt des Fußballs stellt der Verein in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Dass Fußball inzwischen regelrecht boomt in Finnland, sieht Sportdirektor Tihinen auch als Erfolg der Verbandsarbeit:
"Wir haben ein paar wirklich radikale Veränderungen in unserer Arbeitsweise, der Verband und die Vereine sind jetzt viel enger beieinander."
Nur "die-hard-Fans" gucken die Liga
Die positive Entwicklung des Fußballs in Finnland lässt sich im Breitensport spüren, aber beispielsweise auch bei der Frauen-Nationalmannschaft, die im kommenden Jahr schon zum vierten Mal bei einer EM dabei sein wird. Bisher kaum bemerkbar macht sich der Boom aber in der ersten finnischen Männerliga:
"Veikkausliga ist jetzt nicht so populär, das sind eher so die-hard-Fußballfans", beschreibt Amateurfußballer Gino Turri: "Die Zuschauerzahlen sind eher so Regionalliga-Niveau in Deutschland."
Das liegt natürlich vor allem daran, dass kaum große und bekannte Namen dort spielen. Vom aktuellen EM-Kader spielt mit Verteidiger Daniel O’Shaughnessy nur einer in Finnland, die übrigen Spieler hat Trainer Markku Kanerva aus 13 Ligen zusammengesammelt, von Norwegen bis Zypern, von Polen bis in die USA. Kanerva gilt gemeinhin als der Vater des Erfolgs. Seit er Ende 2016 das Team übernahm, geht es aufwärts. Sportdirektor Tihinen beschreibt ihn so:
"Marco Kanerva hat eine werteorientierte Trainerphilosophie. Teamwork ist eines dieser Werte. Jeder weiß, was er zu tun hat, aber auch als Team. Das ist das Fundament für den Erfolg."
EM soll den Boom anheizen
Überhaupt ist man beim finnischen Fußballverband stolz auf die Ausbildungsarbeit: "In die Ausbildung unserer Trainer haben wir viel investiert. Auf unsere Bildung sind wir stolz in Finnland und in der Trainerausbildung sind wir schon jetzt sehr stark, auch im europäischen Vergleich."
Die Europameisterschaft, so ist die Hoffnung, soll den Boom weiter anheizen. Das erhöhte Interesse am Fußball soll helfen, sagt Tihinen, der auch die Infrastruktur weiter ausbauen will:
"Der Plan ist, dass wir zum Beispiel in der Nähe der Schulen tolle Kunstrasenplätze im ganzen Land bauen. Das erhöht die Trainingsqualität. Das hilft natürlich sehr."
Bevor der Blick sich allzu weit in die Zukunft richtet, geht es jetzt erst einmal gegen Dänemark, Russland und Belgien, fußballhistorische Tage für Finnland. Deshalb, erklärt Journalist Moilanen, ist dieser erste Spieltag ein besonderer Tag, er wurde zum "blau-weißen Tag" ausgerufen, jeder und jede soll sich in den Nationalfarben schmücken:
"Der finnische Fußballverband will dem Rest Europas zeigen, dass unsere Zeit gekommen ist und hat aufgerufen: 'Macht Finnland blau und weiß'."