Pekka Kääriäinen sitzt in einem Schaukelstuhl in der Oodi-Bibliothek im Zentrum von Helsinki. Ein Mann um die 50 mit Hemd und Jackett, Seitenscheitel, schmal gerandete Brille, freundliches Lächeln. Vor sich einen ganzen Stapel Papiere: ausgedruckte Emails, Kopien von Flyern und Boykottaufrufen.
"Kein Bier von, für und mit Nazi-Fans! Kneipe Bryggeri Helsinki: Braunes Bier aus Finnland", stand auf einem der Flugblätter, mit dem das "Bündnis gegen Rechts" Kääriäinen aus Berlin-Prenzlauerberg vertreiben wollte. An Haustüren und Briefkästen hingen die Flyer.
"Bei uns wurden Fenster kaputt gemacht, vor dem Lokal lagen die Scherben. Wir haben versucht, das Bündnis zu kontaktieren, aber die lehnten jedes Gespräch ab."
"Kein Bier von, für und mit Nazi-Fans! Kneipe Bryggeri Helsinki: Braunes Bier aus Finnland", stand auf einem der Flugblätter, mit dem das "Bündnis gegen Rechts" Kääriäinen aus Berlin-Prenzlauerberg vertreiben wollte. An Haustüren und Briefkästen hingen die Flyer.
"Bei uns wurden Fenster kaputt gemacht, vor dem Lokal lagen die Scherben. Wir haben versucht, das Bündnis zu kontaktieren, aber die lehnten jedes Gespräch ab."
1.400 Finnen in der Waffen-SS
Am Ende kapitulierte Kääriäinen, im Sommer machte er die Kneipe dicht. Außerdem ist er von seinem Posten als Vorsitzender des finnischen Traditionsvereins "Veljesapu" und als Chefredakteur von "Achtung" zurückgetreten. Die Zeitschrift ehrt das Andenken an die rund 1.400 Finnen, die in der Waffen-SS dienten. In Sachen kritischer Geschichtsaufarbeitung hat Finnland nicht viel vorzuweisen: 2019 gab es eine erste Studie über die Beteiligung Freiwilliger in der SS-Einheit "Wiking".
"In Finnland gibt es keine Tabuthemen wie in Deutschland. Es ist kein Geheimnis, dass mein Vater in der SS war. Aber es ist die Geschichte meines Vaters, nicht meine. Ich wusste, dass die Sache heikel ist, aber ich hätte nicht geahnt, dass man mich so angreift, ohne die Hintergründe zu kennen."
"In Finnland gibt es keine Tabuthemen wie in Deutschland. Es ist kein Geheimnis, dass mein Vater in der SS war. Aber es ist die Geschichte meines Vaters, nicht meine. Ich wusste, dass die Sache heikel ist, aber ich hätte nicht geahnt, dass man mich so angreift, ohne die Hintergründe zu kennen."
Deutsche und Finnen waren Waffenbrüder
Zu den Hintergründen gehört: 1944 waren mehr als 200.000 Wehrmachtssoldaten in Lappland stationiert. Deutsche und Finnen waren Waffenbrüder, ihr gemeinsamer Feind war die Sowjetunion. Bis Finnland die Niederlage Deutschlands erahnte und einen Separatfrieden mit den Sowjets schloss. Und die verlangten Abzug der deutschen Truppen innerhalb von zwei Wochen – eine unrealistische Forderung. Am Ende kämpften Finnen gegen Deutsche, die bei ihrem Rückzug verbrannte Erde hinterließen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Das stille Finnland - Die Tugend des Schweigens in Politik und Alltag.
Für die Finnen sei der Zweite Weltkrieg eine Heldengeschichte geblieben, erklärt der Publizist und Wahlfinne Roman Schatz: "Vergangenheitsbewältigung – allein das Wort existiert nicht in der finnischen Sprache. Die Finnen wurden von Stalin überfallen und mussten sich mit dem Teufel verbinden, nämlich mit Deutschland, um irgendwie da rauszukommen, und es hat geklappt. Es gibt kein Interesse, aus der eigenen Vergangenheit stinkende Kadaver ans Tageslicht zu ziehen."
In den Augen vieler Finnen hätte man ohne Deutschland die Unabhängigkeit nicht bewahren können, davon ist auch Pekka Kääriäinen überzeugt:
"Ohne deutsche Hilfe, ohne die Waffen und Lebensmittel, wäre Finnland 1944 zusammengebrochen. Am Ende haben wir zwar den Krieg verloren, aber wir haben viel gewonnen. Wenn man mal das Baltikum anschaut und Polen, sieht man, was uns passiert wäre, wenn wir aufgegeben hätten. Das versteht man in Deutschland nicht."
In den Augen vieler Finnen hätte man ohne Deutschland die Unabhängigkeit nicht bewahren können, davon ist auch Pekka Kääriäinen überzeugt:
"Ohne deutsche Hilfe, ohne die Waffen und Lebensmittel, wäre Finnland 1944 zusammengebrochen. Am Ende haben wir zwar den Krieg verloren, aber wir haben viel gewonnen. Wenn man mal das Baltikum anschaut und Polen, sieht man, was uns passiert wäre, wenn wir aufgegeben hätten. Das versteht man in Deutschland nicht."
"Als hätten die Deutschen hier nichts mit den Nazis zu tun gehabt"
Dafür relativiert man in Finnland durchaus die Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland, bestätigt die Historikerin Anu Heiskanen. Gerade hat sie ein Buch zu ihren Recherchen über Frauen veröffentlicht, die während des Kriegs freiwillig nach Hitlerdeutschland gingen:
"Viele wussten sicher gar nicht, wo sie da hingingen. Und dass Finnen und Deutsche Waffenbrüder waren, war nie ein Tabuthema, auch wenn das manchmal fast so klingt, als hätten die Deutschen hier gar nichts mit den Nazis zu tun gehabt. Auch die SS-Mitgliedschaften wurden nicht verschwiegen. Aber sie waren auch keine große Sache: Eher wenige junge, ideologische Männer, die gegen den Bolschewismus kämpfen wollten."
"Viele wussten sicher gar nicht, wo sie da hingingen. Und dass Finnen und Deutsche Waffenbrüder waren, war nie ein Tabuthema, auch wenn das manchmal fast so klingt, als hätten die Deutschen hier gar nichts mit den Nazis zu tun gehabt. Auch die SS-Mitgliedschaften wurden nicht verschwiegen. Aber sie waren auch keine große Sache: Eher wenige junge, ideologische Männer, die gegen den Bolschewismus kämpfen wollten."
Kääriäinen posierte mit SS-Helm in der Hand
Teil dieser andauernden Unbedachtheit war auch, dass sich Brauer Kääriäinen für eine finnische Zeitung mit seinem Vater – und einem SS-Helm in der Hand – ablichten ließ. In Deutschland undenkbar. Dass dieser Fauxpas keine großen Schlagzeilen in Finnland machte, wundert Roman Schatz nicht:
"Ich hab mal am Flughafen tätowierte junge Leute von einer finnischen Band kennengelernt. Die waren stinksauer auf Deutschland, weil sie an einem Festival nicht teilnehmen durften, weil sie irgendwelche Runen tätowiert haben. Die sagten, wir sind Anarchisten, wir haben mit den Nazis nichts am Hut, diese Runen sind Wikinger, wir kommen aus dem Norden!"
"Ich hab mal am Flughafen tätowierte junge Leute von einer finnischen Band kennengelernt. Die waren stinksauer auf Deutschland, weil sie an einem Festival nicht teilnehmen durften, weil sie irgendwelche Runen tätowiert haben. Die sagten, wir sind Anarchisten, wir haben mit den Nazis nichts am Hut, diese Runen sind Wikinger, wir kommen aus dem Norden!"
Zwischen Verschweigen und Verehren
Über Teile der finnisch-deutschen Geschichte herrschte bis vor Kurzem Schweigen. Beispielsweise wurde lange nicht über die finnischen Frauen gesprochen, die mit deutschen Soldaten Kinder bekamen und später als Nazihuren verschrien waren. Dieses Tabu ist erst in den letzten Jahren aufgeweicht worden, auch dank einer jungen Generation von Schriftstellern. Der Roman "Wildauge" der Bestsellerautorin Katja Kettu etwa dreht sich um die Liebesgeschichte zwischen einem Nazi-Offizier und einer Hebamme in einem Arbeitslager. Und eine fast beiläufige Schweigekultur kennt auch Roman Schatz aus Erfahrung:
"Ich durfte die finnische Geschichte von Henrik Meinander ins Deutsche übersetzen. Da hat sich die deutsche Verlegerin bei mir gemeldet und meinte, die Sache mit dem Lapplandkrieg, als die Finnen sich gegen die Deutschen wenden mussten auf sowjetisches Drängen am Schluss, 1944, das handelt der Professor Meinander auf einer halben Seite ab, das geht nicht. Da wurden keine Details verschwiegen. Aber er wollte einfach möglichst wenig Aufhebens machen über diese unangenehme Eskapade der Geschichte."
Und Pekka Kääriäinen ist mit seiner Sicht der Dinge nicht allein. Bis heute gibt es eine kollektive Verehrung der Veteranen. Bei der jährlichen Gala am 6. Dezember, dem Unabhängigkeitstag, die Millionen Finnen am Bildschirm verfolgen, sind die Veteranen die ersten Gäste im Präsidentenpalast: Sie gelten hier nach wie vor nicht als Kollaborateure, sondern als Helden.
"Ich durfte die finnische Geschichte von Henrik Meinander ins Deutsche übersetzen. Da hat sich die deutsche Verlegerin bei mir gemeldet und meinte, die Sache mit dem Lapplandkrieg, als die Finnen sich gegen die Deutschen wenden mussten auf sowjetisches Drängen am Schluss, 1944, das handelt der Professor Meinander auf einer halben Seite ab, das geht nicht. Da wurden keine Details verschwiegen. Aber er wollte einfach möglichst wenig Aufhebens machen über diese unangenehme Eskapade der Geschichte."
Und Pekka Kääriäinen ist mit seiner Sicht der Dinge nicht allein. Bis heute gibt es eine kollektive Verehrung der Veteranen. Bei der jährlichen Gala am 6. Dezember, dem Unabhängigkeitstag, die Millionen Finnen am Bildschirm verfolgen, sind die Veteranen die ersten Gäste im Präsidentenpalast: Sie gelten hier nach wie vor nicht als Kollaborateure, sondern als Helden.