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Finnlands Atom-Baustelle Olkiluoto
Symbol für den Niedergang von Europas Nuklearindustrie

An der Westküste Finnlands sollte 2012 ein neuer Kernreaktor in Betrieb gehen - doch Strom erzeugt er bis heute nicht. Schuld daran sind nicht etwa Proteste von Anwohnern, sondern technische Probleme und Pannen. Ein Projekt, mit dem die größten Reaktorbauer Europas ihre Kompetenz demonstrieren wollten, ist zum Milliardengrab geworden.

Von Dirk Asendorpf |
Blick in den neuen Atomreaktor Olkiluoto-3 im August 2018.
Blick in den neuen Atomreaktor Olkiluoto-3 im August 2018. (imago/ZUMA Press/Antti Yrjonen)
Noch ähnelt das Atomkraftwerk eher einem Ameisenhaufen als einer Hochsicherheitszone. Dutzende Arbeiter in gelben Hosen und weißen Kitteln eilen durch die Gänge, erledigen letzte Schweißarbeiten, führen Tests durch, lassen Türen knallen. Hinter einem meterdicken Stahltor wartet bereits der nukleare Treibstoff auf seinen Einsatz: 120 Tonnen Uranoxid-Brennstäbe, per LKW angeliefert aus Lingen im Emsland.
"Sobald wir die Genehmigung zum Beschicken des Reaktors haben, bringen wir insgesamt 241 Brennstäbe durch diesen Tunnel in den Reaktordruckbehälter. Jetzt können wir da nicht hin. Sie sehen ja: Da wird noch gearbeitet."
Eigentlich sollten die Bauarbeiten schon vor elf Jahren abgeschlossen sein. Juha Poikola, der zuständige Manager des finnischen Energieversorgers TVO, sieht die Verantwortung für die Verzögerung vor allem bei dem deutsch-französischen Konsortium von Siemens und Areva, das den Reaktorneubau 2002 zum Festpreis von drei Milliarden Euro angeboten hatte: "Das grundlegende Reaktordesign war zwar fertig, die Detailpläne aber nicht. Deshalb ging die Planung ständig weiter. Und die Bauarbeiten haben viel mehr Zeit benötigt als erwartet. Schließlich ist das hier ja das erste Atomkraftwerk in Westeuropa nach einer rund 20-jährigen Pause."
Der Bau verzögerte sich immer wieder, die Kosten explodierten
Die Folge: Für wichtige Bauteile gab es keine ausreichend zertifizierten Zulieferer mehr. Und die Baukosten haben sich bereits vervierfacht. Siemens hat seine Nuklearsparte direkt nach der Katastrophe von Fukushima 2011 nach Frankreich verkauft. An Olkiluoto 3 ist der Energiekonzern aus München jetzt nur noch als Lieferant konventioneller Kraftwerkstechnik beteiligt.
Den Schaden trägt Frankreich. Aus einem Projekt, mit dem die größten Reaktorbauer Europas ihre Kompetenz demonstrieren wollten, wurde ein Milliardengrab, sagt der Pariser Nuklearexperte und Träger des alternativen Nobelpreises Mycle Schneider.
"In der Realität ist es zu einem Demonstrationsprojekt der Inkompetenz geworden, in allen Bereichen: Betonarbeiten, Stahl, Anlagenteile. Und das Management hat komplett versagt. Areva war bankrott und wurde dann ja vom Staat praktisch gerettet. Also ganz klar: Der französische Steuerzahler hat das bisher bezahlt - und wird es weiterhin bezahlen."
"Ein Demonstrationsprojekt der Inkompetenz"
In Betrieb ist bislang nur das Besucherzentrum. Dort wird die Hochglanzversion des europäischen Druckwasserreaktors, kurz EPR, demonstriert. Durch die raumhohen Glaswände geht der Blick über einen schmalen Ostseearm auf die Insel Olkiluoto. Schon seit 1973 erzeugen dort zwei Siedewasserreaktoren Atomstrom. Der neue Reaktor mit einer Leistung von 1,7 Gigawatt soll die Kapazität glatt verdoppeln. Ein Viertel der finnischen Elektrizität wird dann von der Atominsel kommen.
Der EPR unterscheidet sich in vielen Details von früheren Reaktoren, das ist in der Ausstellung zu erfahren. Vor allem sei er viel besser vor Unfällen geschützt als all seine Vorgänger. Unter dem Reaktordruckbehälter soll eine meterdicke Stahlbetonwanne selbst bei einer Kernschmelze das Grundwasser vor radioaktiver Verseuchung schützen, und die doppelte Betonhülle des Atom-Eis soll sogar einem Flugzeugabsturz standhalten. Sicher, sauber und CO2-frei sei der so erzeugte Atomstrom, kurz eine "verlässliche grüne Energie".
In Finnland setzen selbst die Grünen auf Atomstrom
Sogar Atte Harjanne sieht das so, ein 35jähriger Klimawissenschaftler, der als Abgeordneter der Grünen im finnischen Parlament sitzt: "Die Dringlichkeit des Klimawandels bedeutet, dass will alle Mittel nutzen müssen. Es sieht so aus, als ob wir die Atomkraft einfach brauchen, um mit der Situation fertig zu werden."
In ganz Finnland genießt die Kernenergie große Zustimmung. Mit dem Widerstand von Atomkraftgegnern haben die jahrelangen Verzögerungen des Reaktorbaus nichts zu tun. Niemand hat dagegen geklagt. Schließlich spült der Nuklearkomplex jedes Jahr über zehn Millionen Euro in die Gemeindekasse von Eurajoki. Die Kleinstadt kann sich ein schickes Rathaus leisten, im Foyer plätschert ein künstlicher Wasserfall.
Und Johanna Huhtala, die stellvertretende Bürgermeisterin, betont: "Das Atomkraftwerk bedeutet Wohlstand für uns. Ob die Bauarbeiten ein, zwei, drei oder zehn Jahre dauern, ist uns egal. Die Steuern bekommen wir ja in jedem Fall."
Kritiker sagen: Finnland hat aufs falsche Pferd gesetzt
Lautstarken Protest gab es zuletzt im Jahr 2002 als das finnische Parlament über den Neubau in Olkiluoto beriet. Juha Aromaa war schon damals als Organisator dabei, heute ist er Sprecher von Greenpeace Finnland – und überzeugt davon, dass die finnische Elektrizitätswirtschaft viel besser da stehen würde, wenn die Milliarden in erneuerbare Energien geflossen wären, statt in das neue Kernkraftwerk:
Aromaa: "Man kann Finnland gut mit Dänemark vergleichen, beide Länder haben ungefähr gleich viele Einwohner, rund 5,5 Millionen. Anfang der 1980er Jahre hatten wir auch ungefähr gleich viele Kohlekraftwerke. Die Dänen haben sich dann für Windkraft entschieden, wir für Atomkraftwerke. Und die Dänen sind die Kohle viel schneller los geworden als wir. Am Ende war ihr Weg weit effektiver."