Alta ist ein kleiner Ort an einem großen Fjord gelegen, wie versteckt vor der restlichen Welt und nun im Sommer rund um die Uhr von einer wie an den Himmel festgenagelten Sonne beschienen. Erster Tag im Norden Norwegens und es ist hier wärmer als gestern in Berlin. Dabei ist es zehn Uhr abends. Dann um 11 frage ich mich, warum scheint die Sonne immer noch von der gleichen Stelle aus?
Am nächsten Tag ein Kontrastprogramm: Wilde Bäche, mit schmutziggelben Eisschollen bedeckt, die von der Strömung gedreht und gewendet werden, schießen geradezu in Richtung Meer, Schneeberge, aus denen abgetaute Felsen herausragen, sumpfige braune Wiesen mit Krüppelkiefern, Seen, die vollständig mit Eis bedeckt sind. Eine Welt in Schwarz-Weiß, mit ein paar in der Landschaft verstreuten dunkelroten Hütten als Farbtupfer. Im Bus Richtung Osten, durch die Finnmark, nach Karasjok, Tana Bru und Kirkenes an der russischen Grenze. Winter in den Bergen, Frühsommer dann wieder in Küstennähe, in Skaidi.
Skaidi ist ein Umsteigebusbahnhof: In Richtung Westen geht es nach Hammerfest, weiter im Norden liegt das Nordkap. Lakselv ist unser Ziel an einem gut 100 Kilometer langen Fjord gelegen. Es sind weniger Touristen, es sind vor allem Einheimische, die hier unterwegs sind. Anders Henriksen fährt weiter nach Karasjok. Dort sei es viel wärmer als hier, meint er.
24 Stunden Tageslicht nach Monaten der Dunkelheit
"Seit ungefähr einer Woche herrscht dort sehr schönes Wetter mit Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad. Seit zwei Jahren geht das schon so, dass wir drei Monate lange, trockene Sommer erleben. Hoffentlich dieses Jahr auch, denn ich genieße das schöne Wetter."
Aber 24 Stunden Tageslicht, nach so langen Monaten der Dunkelheit, wie kommt er mit dieser extremen Beleuchtungssituation im hohen Norden zurecht?
"Ich bin daran gewöhnt, aber ich verstehe, dass andere an Schlaflosigkeit leiden. Auch einigen von uns hier geht das so, aber ich habe keine Probleme damit."
Wir steigen wieder in den Bus ein. Eine Frau mittleren Alters hat beim Interview mitgehört und mischt sich ein. Sie heißt Vera Eriksen und empfiehlt, sogar die Gardinen beim Schlafen weit zu öffnen.
"Ich weiß, dass durch vermehrtes Sonnenlicht auch das Gehirn besser funktioniert, deshalb ziehe ich zum Schlafen die Gardinen nicht zu, sondern öffne die Fenster weit und genieße es, die Sonne auf den Augenlidern zu spüren. Wenn ich dann aufwache, bin ich guter Stimmung und mein Gehirn läuft wieder auf Hochtouren."
Dicke Schneedecken liegen noch über den Bächen
Das Bild wechselt zu einer fast menschenleeren Fjordlandschaft mit flachen Ufern, aus denen bei Ebbe braune Felsen ragen. Darüber ziehen graue und weiße Wolkenbänke wie übereinander gestapelt am Himmel entlang. Kommt die Sonne zwischen ihnen hervor, taucht ihr Licht das Wasser in dunkles Kobaltblau und die roten Hütten am Ufer leuchten wie Rubine. Später, hinter Lakselv, geht es wieder in die winterlichen Berge. Moorseen sind mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. Es gibt keine Wege, nur eine weite, dünn bewachsene Fläche, die an weißen Bergen endet. Dicke Schneedecken liegen noch mancherorts über den Bächen. Dort, wo sie halb abgetaut sind, blitzt sprudelnd das Wasser hervor. Es gibt Wasserfälle, an denen sich das braune Nass geradezu überschlägt. Eine gewaltige Macht, diese Schneeschmelze! Viele Sommerhäuser liegen noch unzugänglich zwischen Eis, Wasserlachen und Morast. Kein Mensch, kein Tier ist zu sehen. Der harsche Wind droht den Bus von der Piste zu drängen.
Dagegen ist Karasjok ein Idyll. Windgeschützt von allen Seiten, die Hügel grün, bedeckt mit einem Teppich aus Kiefern, und unten im Tal das Bund der Holzhäuser, die weiße Kirche mit dem roten Turm, die etwas verloren wirken angesichts der Weite ringsum und des schnell dahin ziehenden Karasjok-Flusses. Hier verstecken sich nur noch wenige Schneeflecken in ein paar vor der Sonne geschützten Senken. Oberhalb der Baumgrenze ringt der Winter noch mit dem Sommer. Doch im Tal hat er das Regime längst übernommen. Die Vögel sind munter, den Blättern an den Birken kann man geradezu beim Wachsen zusehen.
"Tatsächlich halten wir uns nun lieber im Schatten auf und oft riecht man hier Gebratenes vom Grill. Einige gehen sogar zum Baden in den Fluss, aber das empfehle ich eigentlich noch nicht, denn die Flusswiesen sind überschwemmt und die Strömung ist nach der Schneeschmelze sehr stark. Aber Einigen macht das nichts aus."
Nicht so viele Moskitos wie früher
Die meisten Südländer hält ja die Moskitoplage vom hohen Norden fern, aber im Moment geht es doch eigentlich noch.
"Die Moskitozeit hat gerade begonnen, aber der letzte Sommer war sehr trocken und deshalb gibt es kaum welche, einige ja, jedenfalls aber nicht mehr so viele wie früher üblich."
Für Vera Eriksen, die am nächsten Tag wie wir weiter nach Tana Bru und Kirkenes an der russischen Grenze fahren will, ist die beste Jahreszeit aber schon vorbei.
"Ich mag den Frühling lieber, wenn die Tage schon lang sind, die Sonne nicht untergeht, aber in den Bergen noch Schnee genug zum Skifahren liegt. Moskitos gibt es dann noch nicht, und kalt ist es auch nicht mehr. Für den Sommer ist ein Ausgleich zwischen Trockenheit und Regen das Wichtigste, damit die Blaubeeren gut wachsen und die Fische in den Seen nicht wegen der Hitze in die kühlen Tiefen abtauchen und dort verharren. Schließlich leben wir hier in der Arktis. Die Fische mögen es wie wir gerne auch ein wenig frostiger."
Im September kommen die dunklen Nächte
Am Schönsten sei es, nachts auf der Terrasse zu sitzen, ein Bier zu trinken und die Sonne und die Stille draußen zu genießen, meint Vera. Im Sommer in den Süden, etwa ans Mittelmeer zu fahren, können sich hier die wenigsten vorstellen. Ich auch nicht. Nur wann wird es mal wieder richtig dunkel, frage ich Anders Henriksen.
"Mitte August kann man dann schon um Mitternacht von Dunkelheit sprechen, aber doch nicht wirklich, erst im September kommen die ersten dunklen Nächte und Mitte November ist es schon wieder fast den ganzen Tag Nacht. Im Dezember scheint dann manchmal der Mond am Mittag. Von der Mitternachtssonne wechseln wir also zum Mittagsmond."