Kai-Uwe Sommer ist ein männlicher Exot. Der Jurist aus Hildesheim, Beamter im Dienst des Landes Niedersachsen, arbeitet Teilzeit. Als dreifacher Vater will er Zeit haben für seine Kinder.
Priorität hat das Privatleben und die Familie. Ich arbeite nicht aus Überzeugung, sondern um Geld zu verdienen. Das habe ich auch meinem Dienstherrn klargemacht. Das ist für einen Beamten nicht unbedingt eine populäre Einschätzung, und irgendwann hat man mir schon signalisiert, dass das meiner Karriere nicht unbedingt förderlich sein würde. Aber da habe ich dann gesagt, dass ich das billigend in Kauf nehme zugunsten der Familienzeit. Und ich kann es nur jedem empfehlen! Ich habe etliche ältere Kollegen, die sagen, so wie du es machst, machst du es richtig! Wenn wir es damals schon so gemacht hätten, dann wäre es heute anders. Dann würden wir unsere Kinder auch kennen.
Kai-Uwe Sommer und seine Frau teilen sich berufliche und private Aufgaben: Beide tragen zum Haushaltseinkommen bei, beide kümmern sich um die Kinder. Mit diesem Arrangement sind die Sommers ein Ausnahmefall. Nur fünf Prozent der deutschen Männer haben ihre Stundenzahl reduziert, in der Familienphase sind es sogar noch weniger. Nicht das Rollenexperiment, sondern ein leicht modernisiertes Traditionsmodell ist hier zu Lande die Regel: Die Mutter bleibt nach der Geburt von Kindern erstmal zu Hause, arbeitet später vielleicht Teilzeit oder ist geringfügig beschäftigt - während der Vater durchgehend eine volle Stelle hat.
Auf diesen männlichen Haupt- oder gar Alleinverdiener ist die Berufswelt nach wie vor zugeschnitten. "Die Frau des Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten” hieß es stolz in den Jahren des Wirtschaftswunders. Diese alte Rechnung geht nicht mehr auf. Viele Familien benötigen heute anderthalb Einkommen, um über die Runden zu kommen und sich zum Beispiel die hohen Mieten leisten zu können.
Die Zeit vor der Geburt des ersten Kindes ist die Zeit der guten Vorsätze. "Partnerschaftlich" wollen die künftigen Eltern die neue Lebenssituation bewältigen. Die Männer gehen mit zur Geburtsvorbereitung, atmen bewusst in den Bauch hinein, sind selbstverständlich auch bei der Entbindung dabei. Aber schon wenige Wochen später ist meist die herkömmliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern festgelegt. Und diese bleibt nicht nur während der Stillzeit, sondern für viele Jahre erhalten.
Eine "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" diagnostizieren die Sozialforscher. Einfacher und höflicher ausgedrückt: In den Köpfen hat ein Wandel stattgefunden, in der Praxis bleibt vieles beim alten. Das gelte leider auch für die Frauen, bedauert Kai-Uwe Sommer. Er berichtet über seine Erfahrungen mit Kolleginnen.
Viele sagen, Teilzeit finde ich gut, finde das auch gut, wenn der Mann viel zu Hause ist. Aber wenn man näher nachfragt, stellt sich heraus, dass sie es in ihrem eigenen Bereich anders organisiert haben und zweitens auch gar nicht so haben wollen, wie sie es vom Grundsatz her gut finden. Das ist schade, dass das bei vielen so auseinander klafft.
Wenn Paare mit ihren Vorstellungen von "geteilter Elternschaft" scheitern, liegt das nicht nur an ihnen persönlich. Auch die äußeren Rahmenbedingungen erschweren es, alte Rollenmuster zu verlassen. Die fehlende 'Vereinbarkeit’ von Beruf und Familie gilt als wesentlicher Grund, warum die deutschen Frauen - und hier besonders die Gebildeten unter ihnen - immer weniger Kinder bekommen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stehen weibliche wie männliche Beschäftigte vor betrieblichen Blockaden. Kai-Uwe Sommer hatte in dieser Hinsicht Glück:
Der Arbeitgeber spielt mit, das ist ja eine Behörde, und im Öffentlichen Dienst ist das sowieso etwas einfacher als in der Privatwirtschaft. In diesem Fall ist es ein sehr vernünftiger Arbeitgeber, der familienfreundliche Lösungen ermöglicht, so dass ich je nach Bedarf vormittags arbeiten kann oder nachmittags oder ganztags oder auch gar nicht nach Absprachen.
Umfragen zufolge wünschen sich nicht nur Frauen, sondern auch ein Drittel der Männer mehr Teilzeitangebote. Doch die betriebliche Situation sieht anders aus, weiß Thomas Wollnik. Er arbeitet in der Personalabteilung des Chemiekonzerns Bayer.
Einmal glaube ich schon, dass der typische Normal-Mitarbeiter, der als Einzelverdiener oder mit gering verdienendem Ehepartner die Familie ernähren muss, kein ausgeprägtes Interesse an Teilzeitarbeit hat. Das große Interesse an Teilzeitarbeit besteht, so wie wir es sehen, bei Frauen. Und insbesondere dann, wenn sie neben ihren beruflichen auch noch irgendwelche häuslichen Verpflichtungen haben, also Kindererziehung und ähnliches.
Das aber hält sie vom Karriere-Machen ab. Teilzeit und beruflicher Aufstieg - das passt immer noch selten zusammen. So auch bei Bayer: Je höher die Hierarchiestufe, desto weniger Teilzeitstellen. Gut qualifizierte Mitarbeiter tun sich schwer damit, familienfreundliche Lösungen durchzusetzen. Teilzeitexperte Wollnik sieht Probleme vor allem bei den Vorgesetzten im mittleren Management.
Es gibt Widerstände nach dem Motto: Dieser Arbeitsplatz ist nicht teilbar. Oder ich kann auf diese Arbeitskraft nicht verzichten, auch nicht einige Stunden pro Woche, oder Tage pro Woche, oder wochenweise. Wenn er diese Grundeinstellung hat, wird er sagen: Geht nicht. Wenn er andererseits der Meinung ist, ich kann mir das leisten, ich kann das durch organisatorische Maßnahmen auffangen, diesen Arbeitszeitausfall, dann wird er es machen.
Angestellte, die beruflich aufsteigen wollen, machen sich im Unternehmen unentbehrlich. 'Karrieren werden nach 17 Uhr entschieden' heißt ihre Devise. Kai-Uwe Sommer hat auf diese Art von Karriere verzichtet.
Ich habe mich sogar schon zweimal gegen Beförderungen gewehrt, weil sie mit Verschlechterungen der sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz in meinem Sinne verbunden gewesen wäre: also weitere Entfernung zum Dienstort oder längere Arbeitszeiten oder mehr Dienstreisen oder sonstige Erschwernisse, die für mich im Rahmen der familiengerechten Arbeitszeiten nicht so in Betracht kommen.
Kai-Uwe Sommer ist vergleichsweise privilegiert, er arbeitet bei einer öffentlichen Behörde. In der Privatwirtschaft bleiben Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit freiwillig reduzieren oder auf einen Karrieresprung verzichten, eher auf der Strecke. Diese alltägliche Wahrnehmung hat die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild wissenschaftlich untermauert. In ihrem Buch "Keine Zeit " beschreibt sie die Zwickmühle, in die Eltern und Kinder durch betriebliche Anforderungen geraten.
Ich wollte eigentlich ein vorbildliches Unternehmen untersuchen. Die Prospekte des Weltkonzerns, in dem ich recherchierte, preisen flexible Arbeitszeiten - ohne Karriereknick sollten sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Doch als ich Interviewpartner in dem Unternehmen suchte, stellte ich fest, dass kaum jemand diese Arbeitszeitmodelle nutzte. Es war wie ein potemkinsches Dorf: Vier Prozent der Beschäftigten machten Teilzeit und zwei Prozent Job-Sharing. Merkwürdig war, dass mir sehr viele Leute sagten, sie hätten gern mehr Zeit zu Hause. Das Geld kann dabei nicht die entscheidende Rolle spielen, denn gerade bei den besser verdienenden Beschäftigten war das Interesse an Teilzeit sehr gering.
Hochschilds Ergebnisse sind das erschreckende Dokument einer misslungenen Balance. Unsichere Zeiten sind schlechte Zeiten für Experimente. Viele Menschen sind heute froh, überhaupt einen Job zu haben. Sie trauen sich nicht, ihre Chefs auf familienfreundliche Regelungen anzusprechen. Oder sie verzichten ganz auf eigenen Nachwuchs - wie mittlerweile fast die Hälfte der Akademikerinnen in Deutschland. Ist die Stimmung schlechter als die Lage? Zumindest in einigen Führungsetagen hat ein Umdenken begonnen. Wegen des demografischen Wandels fürchten manche Unternehmen langfristig einen Fachkräftemangel.
Um es krass zu sagen: Eine Firma, die nicht zur Kenntnis nimmt, dass alle Mitarbeiter ein Privatleben haben - auch in Amerika heißt das heute "Work-Life" und nicht mehr "Work-Family" - versteht häufig gar nicht, warum Leute nicht produktiv sind, warum sie fehlen, warum sie gerade jetzt Defizite haben. Und umgekehrt, dass sie die Leute oft gar nicht maximal anspornen kann. Also es gibt sehr klare Unternehmensinteressen: Je mehr ich erkenne und anerkenne, was für konkrete Familienprobleme Leute haben, je mehr ich versuche, so gut das möglich ist, das zu berücksichtigen, umso motivierter und peppiger und leistungsfähiger sind meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Gisela Erler ist Unternehmensberaterin in Berlin. Schon in den neunziger Jahren hat sie ein bundesweit tätiges Kinderbetreuungs-Netzwerk für Firmenkunden gegründet. Ihr "Familienservice” vermittelt Tagesmütter, aber auch Plätze in Kindertagesstätten oder Horten an Unternehmen. Ihr Anliegen: eine Arbeitswelt, die stärker auf private Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Darum bemüht sich zum Beispiel die Firma Weleda in Schwäbisch Gmünd - ein Arznei- und Körperpflegehersteller.
Zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist das Wort 'Work-Life-Balance’ eingeführt worden. Ich denke, das trifft es genau nicht! Weil da wird unterschieden zwischen Arbeit und Leben. Und unser Ansatz bei der Weleda ist eigentlich der, dass wir diese Lebensfelder Beruf und Familie verbinden wollen. Wenn es um eine Balance geht, sollte man versuchen, diese Felder zu vereinbaren: dass Arbeit Leben ist und Leben auch Arbeiten.
Isabella Quist ist bei Weleda für das Thema 'Vereinbarkeit’ zuständig. Sie geht davon aus, dass die Mitarbeiter in Betrieb und Privatleben ganz ähnliche Fähigkeiten benötigen: Führungskompetenz, Einsatzfreude, Organisationstalent. Deshalb hat sie für die Belegschaft spezielle Elternkurse entwickelt.
Das Unternehmen bietet den Mitarbeitern und deren Angehörigen Elternfortbildung an und pädagogische Einzelbegleitung an. Die Seminare werden nach Eltern-Themenwünschen gestaltet. Das findet dann abends statt, kurzer Impulsvortrag und dann eine Teamberatung, wo alle Eltern sich als Experten einbringen. Also nicht die große Pädagogik, die die Ratschläge gibt, sondern das Ziel ist: Stärkung der Familienkompetenzen und Stärkung des Selbstbewusstseins als Eltern. Veleda hat den Ansatz: Erwerbsarbeit und Familie ist gleichwertig. Und deshalb unterstützen wir den Mitarbeiter auch in seiner Familienarbeit.
Gerade in privaten Krisensituationen will die Firma helfen. Jüngstes Vorhaben ist die Initiative '60 plus’: Ehemalige Weleda-Mitarbeiter, die in Rente gegangen sind, sollen Eltern mit Dienstleistungen unterstützen. Isabella Quist:
Es geht um einen Mitarbeiterservice: Dass sich da möglichst viele Leute einbringen und was anbieten können. Etwa Bügelservice, dass dann Pensionäre Bügelarbeit übernehmen, natürlich gegen Geld dann, es wird aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten geben. Oder diese spontanen Probleme, die Eltern oft haben: Das Kind wacht morgens krank auf. Und dass man dann Menschen vermittelt, die einspringen können.
Weleda gehört zu der langsam wachsenden Zahl von Unternehmen, die sich beim so genannten "Audit Beruf und Familie" zertifizieren lassen. Das von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung unterstützte Projekt fördert innovative Personalstrategien, die Arbeit und Privatleben in eine Balance bringen sollen. Vorbild war der erfolgreiche "Familiy-friendly-index" in den USA. Die Unternehmensberaterin Gisela Erler hat an der Entwicklung des deutschen Pendants mitgearbeitet.
Die Vereinbarkeit von Kind und Karriere soll nicht länger nur ein Problem der Mütter sein. Der Kriterienkatalog der Hertie-Stiftung im Zertifizierungsverfahren berücksichtigt die Interessen beider Geschlechter. Gisela Erler:
Wenn dann die Firma nachweisen kann, dass sie auch im qualifizierten Bereich, im Fachkräftebereich und im Führungskräftebereich mehr Teilzeit anbietet oder wenn mehr Männer das nutzen, dann wird es höher gepunktet. In der Arbeitsorganisation wird der Blick darauf gelenkt, ob die Firma so funktioniert, dass alle immer unter maximalem Druck sind, das gilt dann als familienfeindlich. Man schaut also auch nach versteckten Belastungen für die Familie.
In keiner Rede von Bundesfamilienministerin Renate Schmidt fehlt der Hinweis, wie sehr die Wirtschaft künftig auf qualifizierte Frauen angewiesen sein wird. Doch die Politikerin sorgt sich weniger um die Unternehmen als um den Nachwuchs, der die Rente sichert: Sie will die im europäischen Vergleich besonders niedrige deutsche Geburtenrate steigern. Beispiele etwa aus Frankreich oder den Niederlanden zeigen, dass dabei eine bessere Kinderbetreuung hilft - und eine an Familienbedürfnissen orientierte Unternehmenskultur.
Alle zwei Jahre lobt Schmidts Ministerium einen Wettbewerb zum "familienfreundlichen Betrieb" aus. Gerade wurde die nächste Ausschreibung gestartet - sie heißt jetzt 'Erfolgsfaktor Familie 2005' - Erfolg, wohlgemerkt, für das Unternehmen. Der neue Titel ist kein Zufall: Wenn Firmen durch Betriebskindergärten, Förderprogramme oder Beratungsangebote dafür sorgen, dass Job und Privatleben besser harmonieren, steigert das angeblich die Rendite. Zuletzt stützte eine von der Familienministerin in Auftrag gegebene Studie des Forschungsinstitutes Prognos diese These.
Auch die Initiatoren des 'Audits Beruf und Familie’ machen wirtschaftliche Rechnungen auf. Das zentrale Argument von Beraterinnen wie Gisela Erler: Zufriedene Mitarbeiter sind produktiver. Davon versucht sie die Personalleiter zu überzeugen.
Es ist immer so, dass man auf Vorstandsebene mindestens einen aufgeklärten Menschen braucht, der sagt, das mache ich mir zum Anliegen, das halte ich für wichtig für den Unternehmenserfolg. Dann braucht es natürlich schon mit Unterstützung solcher Leute von oben runter ein oder zwei Sitzungen mit Personalleitern und Personalreferenten. Dann aber wird es in der Regel als ein attraktives und auch für die eigene Arbeit wichtiges Instrument empfunden.
Reichen wirklich ein paar Sitzungen, um Familienfreundlichkeit durchzusetzen? Die bisherige Praxis spricht dagegen: Nur wenige Unternehmen nehmen ihren Mitarbeitern mit Kindern einen Teil der 'Betreuungssorgen’ ab. Die prämierten Beispiele zeichnen ein geschöntes Bild, glaubt Petra Zimmermann. Die Leiterin der evangelischen Familienbildungsstätte in Wolfsburg berät Unternehmensleiter und Betriebsräte zum Thema 'Vereinbarkeit’. Gerade junge und gut ausgebildete Arbeitnehmer, so beobachtet sie, stehen unter enormen Druck.
Die freuen sich, wenn sie als Führungskraft eine Perspektive haben und arbeiten dann ohne Ende. Wer um die 40 ist, der kann fast in Rente gehen, weil er einfach fertig ist mit der Welt. Das heißt, die haben diese Work-Life-Balance nicht. Aber wenn das jetzt thematisiert wird, dann hat das einen Ort, da wird das besprochen, das ist so eine Art Deckmäntelchen über den Tatsachen. Das ist imagefördernd zu sagen: Wir kümmern uns darum, dass unsere Mitarbeiter das alles ins Gleichgewicht bekommen. Da gibt es bestimmt welche, die sich bemühen, aber es ist auch ein schickes Mäntelchen, das nach außen das Image fördert. Es hört sich schick an, und ich habe meinen Teil getan.
Wenn sich Zimmermann die Arbeitsbedingungen in den Betrieben im Detail ansieht, wundert sie sich. Wie kommt es, dass Firmen ihre Bemühungen in Sachen 'Familienfreundlichkeit’ perfekt vermarkten, dies aber kaum umgesetzt wird? Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, versucht eine Antwort.
Es gibt eine ganze Menge Leute, die kürzer arbeiten wollen, die gelegentlich auch mal ein halbes Jahr zu Hause bleiben wollen. Da haben einzelne Firmen schon sehr gute Arbeitszeitmodelle geschaffen, die aber von den Leuten nicht angenommen werden. Weil viele Leute Angst haben vor einem Karriereknick, wenn sie auf einmal kürzer arbeiten. Das wird dann häufig so ausgelegt: Der oder die will sich ja gar nicht richtig engagieren.
Familienfreundlichkeit, ein Schönwetterthema? In manchen Vorstandsetagen macht angesichts der ökonomischen Lage das böse Wort vom "Sozialklimbim” die Runde. Andere Personalverantwortliche sind hingegen überzeugt, dass Mitarbeiter Spielräume für ihr Privatleben brauchen; dass eine gesunde Distanz der beruflichen Leistung nicht schadet, sondern sogar gut tut. Isabella Quist von Weleda:
Ich fände es schön, wenn man das ganze Thema nicht unter dem Aspekt 'familien- und frauenfreundlich’ behandelt, sondern unter dem Thema 'menschenfreundlich’. Denn das hat schon wieder was Abschätziges: Familien und Frauen und Behinderte und Kranke und Schwache, die muss man besonders unterstützen. Von der Schiene sollte man wegkommen, in dem man der Familie eine neue Wertigkeit gibt. Die geben wir nicht durch noch so viel Geld, sondern in dem das Selbstbewusstsein der Eltern steigt und die gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit steigt, die in den Familien geleistet wird.
Die engagierten Führungskräfte müssen einen regelrechten Kulturwandel organisieren. Sie wissen, dass sie ihre jungen Mitarbeiter, auch die Männer, nicht mehr allein mit teuren Dienstwagen und edlen Tagungshotels beeindrucken können. Loyalität zu einem Unternehmen speist sich heute auch daraus, ob Firmen Angebote machen, die ein Gleichgewicht der verschiedenen Lebensbereiche ermöglichen.
Mobilität zum Beispiel, das Zauberwort am Arbeitsmarkt, verträgt sich schlecht mit den Bedürfnissen von Familien. Kinder und Jugendliche wollen verlässliche Eltern und keine hochflexiblen Arbeitnehmer, die selten zu Hause sind oder dauernd umziehen.
Vielleicht sind die unterschiedlichen Wünsche gar nicht miteinander 'vereinbar’, wie es die gut gemeinte Berater-Rhetorik behauptet. Vielleicht geht es im günstigsten Fall um persönlich tragbare biografische Kompromisse. Der Optimismus, die spielerische Leichtigkeit, die das Wort von der "Work-Life-Balance" nahe legt, ist jedenfalls eine individuelle und kollektive Selbsttäuschung.
Priorität hat das Privatleben und die Familie. Ich arbeite nicht aus Überzeugung, sondern um Geld zu verdienen. Das habe ich auch meinem Dienstherrn klargemacht. Das ist für einen Beamten nicht unbedingt eine populäre Einschätzung, und irgendwann hat man mir schon signalisiert, dass das meiner Karriere nicht unbedingt förderlich sein würde. Aber da habe ich dann gesagt, dass ich das billigend in Kauf nehme zugunsten der Familienzeit. Und ich kann es nur jedem empfehlen! Ich habe etliche ältere Kollegen, die sagen, so wie du es machst, machst du es richtig! Wenn wir es damals schon so gemacht hätten, dann wäre es heute anders. Dann würden wir unsere Kinder auch kennen.
Kai-Uwe Sommer und seine Frau teilen sich berufliche und private Aufgaben: Beide tragen zum Haushaltseinkommen bei, beide kümmern sich um die Kinder. Mit diesem Arrangement sind die Sommers ein Ausnahmefall. Nur fünf Prozent der deutschen Männer haben ihre Stundenzahl reduziert, in der Familienphase sind es sogar noch weniger. Nicht das Rollenexperiment, sondern ein leicht modernisiertes Traditionsmodell ist hier zu Lande die Regel: Die Mutter bleibt nach der Geburt von Kindern erstmal zu Hause, arbeitet später vielleicht Teilzeit oder ist geringfügig beschäftigt - während der Vater durchgehend eine volle Stelle hat.
Auf diesen männlichen Haupt- oder gar Alleinverdiener ist die Berufswelt nach wie vor zugeschnitten. "Die Frau des Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten” hieß es stolz in den Jahren des Wirtschaftswunders. Diese alte Rechnung geht nicht mehr auf. Viele Familien benötigen heute anderthalb Einkommen, um über die Runden zu kommen und sich zum Beispiel die hohen Mieten leisten zu können.
Die Zeit vor der Geburt des ersten Kindes ist die Zeit der guten Vorsätze. "Partnerschaftlich" wollen die künftigen Eltern die neue Lebenssituation bewältigen. Die Männer gehen mit zur Geburtsvorbereitung, atmen bewusst in den Bauch hinein, sind selbstverständlich auch bei der Entbindung dabei. Aber schon wenige Wochen später ist meist die herkömmliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern festgelegt. Und diese bleibt nicht nur während der Stillzeit, sondern für viele Jahre erhalten.
Eine "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" diagnostizieren die Sozialforscher. Einfacher und höflicher ausgedrückt: In den Köpfen hat ein Wandel stattgefunden, in der Praxis bleibt vieles beim alten. Das gelte leider auch für die Frauen, bedauert Kai-Uwe Sommer. Er berichtet über seine Erfahrungen mit Kolleginnen.
Viele sagen, Teilzeit finde ich gut, finde das auch gut, wenn der Mann viel zu Hause ist. Aber wenn man näher nachfragt, stellt sich heraus, dass sie es in ihrem eigenen Bereich anders organisiert haben und zweitens auch gar nicht so haben wollen, wie sie es vom Grundsatz her gut finden. Das ist schade, dass das bei vielen so auseinander klafft.
Wenn Paare mit ihren Vorstellungen von "geteilter Elternschaft" scheitern, liegt das nicht nur an ihnen persönlich. Auch die äußeren Rahmenbedingungen erschweren es, alte Rollenmuster zu verlassen. Die fehlende 'Vereinbarkeit’ von Beruf und Familie gilt als wesentlicher Grund, warum die deutschen Frauen - und hier besonders die Gebildeten unter ihnen - immer weniger Kinder bekommen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stehen weibliche wie männliche Beschäftigte vor betrieblichen Blockaden. Kai-Uwe Sommer hatte in dieser Hinsicht Glück:
Der Arbeitgeber spielt mit, das ist ja eine Behörde, und im Öffentlichen Dienst ist das sowieso etwas einfacher als in der Privatwirtschaft. In diesem Fall ist es ein sehr vernünftiger Arbeitgeber, der familienfreundliche Lösungen ermöglicht, so dass ich je nach Bedarf vormittags arbeiten kann oder nachmittags oder ganztags oder auch gar nicht nach Absprachen.
Umfragen zufolge wünschen sich nicht nur Frauen, sondern auch ein Drittel der Männer mehr Teilzeitangebote. Doch die betriebliche Situation sieht anders aus, weiß Thomas Wollnik. Er arbeitet in der Personalabteilung des Chemiekonzerns Bayer.
Einmal glaube ich schon, dass der typische Normal-Mitarbeiter, der als Einzelverdiener oder mit gering verdienendem Ehepartner die Familie ernähren muss, kein ausgeprägtes Interesse an Teilzeitarbeit hat. Das große Interesse an Teilzeitarbeit besteht, so wie wir es sehen, bei Frauen. Und insbesondere dann, wenn sie neben ihren beruflichen auch noch irgendwelche häuslichen Verpflichtungen haben, also Kindererziehung und ähnliches.
Das aber hält sie vom Karriere-Machen ab. Teilzeit und beruflicher Aufstieg - das passt immer noch selten zusammen. So auch bei Bayer: Je höher die Hierarchiestufe, desto weniger Teilzeitstellen. Gut qualifizierte Mitarbeiter tun sich schwer damit, familienfreundliche Lösungen durchzusetzen. Teilzeitexperte Wollnik sieht Probleme vor allem bei den Vorgesetzten im mittleren Management.
Es gibt Widerstände nach dem Motto: Dieser Arbeitsplatz ist nicht teilbar. Oder ich kann auf diese Arbeitskraft nicht verzichten, auch nicht einige Stunden pro Woche, oder Tage pro Woche, oder wochenweise. Wenn er diese Grundeinstellung hat, wird er sagen: Geht nicht. Wenn er andererseits der Meinung ist, ich kann mir das leisten, ich kann das durch organisatorische Maßnahmen auffangen, diesen Arbeitszeitausfall, dann wird er es machen.
Angestellte, die beruflich aufsteigen wollen, machen sich im Unternehmen unentbehrlich. 'Karrieren werden nach 17 Uhr entschieden' heißt ihre Devise. Kai-Uwe Sommer hat auf diese Art von Karriere verzichtet.
Ich habe mich sogar schon zweimal gegen Beförderungen gewehrt, weil sie mit Verschlechterungen der sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz in meinem Sinne verbunden gewesen wäre: also weitere Entfernung zum Dienstort oder längere Arbeitszeiten oder mehr Dienstreisen oder sonstige Erschwernisse, die für mich im Rahmen der familiengerechten Arbeitszeiten nicht so in Betracht kommen.
Kai-Uwe Sommer ist vergleichsweise privilegiert, er arbeitet bei einer öffentlichen Behörde. In der Privatwirtschaft bleiben Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit freiwillig reduzieren oder auf einen Karrieresprung verzichten, eher auf der Strecke. Diese alltägliche Wahrnehmung hat die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild wissenschaftlich untermauert. In ihrem Buch "Keine Zeit " beschreibt sie die Zwickmühle, in die Eltern und Kinder durch betriebliche Anforderungen geraten.
Ich wollte eigentlich ein vorbildliches Unternehmen untersuchen. Die Prospekte des Weltkonzerns, in dem ich recherchierte, preisen flexible Arbeitszeiten - ohne Karriereknick sollten sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Doch als ich Interviewpartner in dem Unternehmen suchte, stellte ich fest, dass kaum jemand diese Arbeitszeitmodelle nutzte. Es war wie ein potemkinsches Dorf: Vier Prozent der Beschäftigten machten Teilzeit und zwei Prozent Job-Sharing. Merkwürdig war, dass mir sehr viele Leute sagten, sie hätten gern mehr Zeit zu Hause. Das Geld kann dabei nicht die entscheidende Rolle spielen, denn gerade bei den besser verdienenden Beschäftigten war das Interesse an Teilzeit sehr gering.
Hochschilds Ergebnisse sind das erschreckende Dokument einer misslungenen Balance. Unsichere Zeiten sind schlechte Zeiten für Experimente. Viele Menschen sind heute froh, überhaupt einen Job zu haben. Sie trauen sich nicht, ihre Chefs auf familienfreundliche Regelungen anzusprechen. Oder sie verzichten ganz auf eigenen Nachwuchs - wie mittlerweile fast die Hälfte der Akademikerinnen in Deutschland. Ist die Stimmung schlechter als die Lage? Zumindest in einigen Führungsetagen hat ein Umdenken begonnen. Wegen des demografischen Wandels fürchten manche Unternehmen langfristig einen Fachkräftemangel.
Um es krass zu sagen: Eine Firma, die nicht zur Kenntnis nimmt, dass alle Mitarbeiter ein Privatleben haben - auch in Amerika heißt das heute "Work-Life" und nicht mehr "Work-Family" - versteht häufig gar nicht, warum Leute nicht produktiv sind, warum sie fehlen, warum sie gerade jetzt Defizite haben. Und umgekehrt, dass sie die Leute oft gar nicht maximal anspornen kann. Also es gibt sehr klare Unternehmensinteressen: Je mehr ich erkenne und anerkenne, was für konkrete Familienprobleme Leute haben, je mehr ich versuche, so gut das möglich ist, das zu berücksichtigen, umso motivierter und peppiger und leistungsfähiger sind meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Gisela Erler ist Unternehmensberaterin in Berlin. Schon in den neunziger Jahren hat sie ein bundesweit tätiges Kinderbetreuungs-Netzwerk für Firmenkunden gegründet. Ihr "Familienservice” vermittelt Tagesmütter, aber auch Plätze in Kindertagesstätten oder Horten an Unternehmen. Ihr Anliegen: eine Arbeitswelt, die stärker auf private Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Darum bemüht sich zum Beispiel die Firma Weleda in Schwäbisch Gmünd - ein Arznei- und Körperpflegehersteller.
Zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist das Wort 'Work-Life-Balance’ eingeführt worden. Ich denke, das trifft es genau nicht! Weil da wird unterschieden zwischen Arbeit und Leben. Und unser Ansatz bei der Weleda ist eigentlich der, dass wir diese Lebensfelder Beruf und Familie verbinden wollen. Wenn es um eine Balance geht, sollte man versuchen, diese Felder zu vereinbaren: dass Arbeit Leben ist und Leben auch Arbeiten.
Isabella Quist ist bei Weleda für das Thema 'Vereinbarkeit’ zuständig. Sie geht davon aus, dass die Mitarbeiter in Betrieb und Privatleben ganz ähnliche Fähigkeiten benötigen: Führungskompetenz, Einsatzfreude, Organisationstalent. Deshalb hat sie für die Belegschaft spezielle Elternkurse entwickelt.
Das Unternehmen bietet den Mitarbeitern und deren Angehörigen Elternfortbildung an und pädagogische Einzelbegleitung an. Die Seminare werden nach Eltern-Themenwünschen gestaltet. Das findet dann abends statt, kurzer Impulsvortrag und dann eine Teamberatung, wo alle Eltern sich als Experten einbringen. Also nicht die große Pädagogik, die die Ratschläge gibt, sondern das Ziel ist: Stärkung der Familienkompetenzen und Stärkung des Selbstbewusstseins als Eltern. Veleda hat den Ansatz: Erwerbsarbeit und Familie ist gleichwertig. Und deshalb unterstützen wir den Mitarbeiter auch in seiner Familienarbeit.
Gerade in privaten Krisensituationen will die Firma helfen. Jüngstes Vorhaben ist die Initiative '60 plus’: Ehemalige Weleda-Mitarbeiter, die in Rente gegangen sind, sollen Eltern mit Dienstleistungen unterstützen. Isabella Quist:
Es geht um einen Mitarbeiterservice: Dass sich da möglichst viele Leute einbringen und was anbieten können. Etwa Bügelservice, dass dann Pensionäre Bügelarbeit übernehmen, natürlich gegen Geld dann, es wird aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten geben. Oder diese spontanen Probleme, die Eltern oft haben: Das Kind wacht morgens krank auf. Und dass man dann Menschen vermittelt, die einspringen können.
Weleda gehört zu der langsam wachsenden Zahl von Unternehmen, die sich beim so genannten "Audit Beruf und Familie" zertifizieren lassen. Das von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung unterstützte Projekt fördert innovative Personalstrategien, die Arbeit und Privatleben in eine Balance bringen sollen. Vorbild war der erfolgreiche "Familiy-friendly-index" in den USA. Die Unternehmensberaterin Gisela Erler hat an der Entwicklung des deutschen Pendants mitgearbeitet.
Die Vereinbarkeit von Kind und Karriere soll nicht länger nur ein Problem der Mütter sein. Der Kriterienkatalog der Hertie-Stiftung im Zertifizierungsverfahren berücksichtigt die Interessen beider Geschlechter. Gisela Erler:
Wenn dann die Firma nachweisen kann, dass sie auch im qualifizierten Bereich, im Fachkräftebereich und im Führungskräftebereich mehr Teilzeit anbietet oder wenn mehr Männer das nutzen, dann wird es höher gepunktet. In der Arbeitsorganisation wird der Blick darauf gelenkt, ob die Firma so funktioniert, dass alle immer unter maximalem Druck sind, das gilt dann als familienfeindlich. Man schaut also auch nach versteckten Belastungen für die Familie.
In keiner Rede von Bundesfamilienministerin Renate Schmidt fehlt der Hinweis, wie sehr die Wirtschaft künftig auf qualifizierte Frauen angewiesen sein wird. Doch die Politikerin sorgt sich weniger um die Unternehmen als um den Nachwuchs, der die Rente sichert: Sie will die im europäischen Vergleich besonders niedrige deutsche Geburtenrate steigern. Beispiele etwa aus Frankreich oder den Niederlanden zeigen, dass dabei eine bessere Kinderbetreuung hilft - und eine an Familienbedürfnissen orientierte Unternehmenskultur.
Alle zwei Jahre lobt Schmidts Ministerium einen Wettbewerb zum "familienfreundlichen Betrieb" aus. Gerade wurde die nächste Ausschreibung gestartet - sie heißt jetzt 'Erfolgsfaktor Familie 2005' - Erfolg, wohlgemerkt, für das Unternehmen. Der neue Titel ist kein Zufall: Wenn Firmen durch Betriebskindergärten, Förderprogramme oder Beratungsangebote dafür sorgen, dass Job und Privatleben besser harmonieren, steigert das angeblich die Rendite. Zuletzt stützte eine von der Familienministerin in Auftrag gegebene Studie des Forschungsinstitutes Prognos diese These.
Auch die Initiatoren des 'Audits Beruf und Familie’ machen wirtschaftliche Rechnungen auf. Das zentrale Argument von Beraterinnen wie Gisela Erler: Zufriedene Mitarbeiter sind produktiver. Davon versucht sie die Personalleiter zu überzeugen.
Es ist immer so, dass man auf Vorstandsebene mindestens einen aufgeklärten Menschen braucht, der sagt, das mache ich mir zum Anliegen, das halte ich für wichtig für den Unternehmenserfolg. Dann braucht es natürlich schon mit Unterstützung solcher Leute von oben runter ein oder zwei Sitzungen mit Personalleitern und Personalreferenten. Dann aber wird es in der Regel als ein attraktives und auch für die eigene Arbeit wichtiges Instrument empfunden.
Reichen wirklich ein paar Sitzungen, um Familienfreundlichkeit durchzusetzen? Die bisherige Praxis spricht dagegen: Nur wenige Unternehmen nehmen ihren Mitarbeitern mit Kindern einen Teil der 'Betreuungssorgen’ ab. Die prämierten Beispiele zeichnen ein geschöntes Bild, glaubt Petra Zimmermann. Die Leiterin der evangelischen Familienbildungsstätte in Wolfsburg berät Unternehmensleiter und Betriebsräte zum Thema 'Vereinbarkeit’. Gerade junge und gut ausgebildete Arbeitnehmer, so beobachtet sie, stehen unter enormen Druck.
Die freuen sich, wenn sie als Führungskraft eine Perspektive haben und arbeiten dann ohne Ende. Wer um die 40 ist, der kann fast in Rente gehen, weil er einfach fertig ist mit der Welt. Das heißt, die haben diese Work-Life-Balance nicht. Aber wenn das jetzt thematisiert wird, dann hat das einen Ort, da wird das besprochen, das ist so eine Art Deckmäntelchen über den Tatsachen. Das ist imagefördernd zu sagen: Wir kümmern uns darum, dass unsere Mitarbeiter das alles ins Gleichgewicht bekommen. Da gibt es bestimmt welche, die sich bemühen, aber es ist auch ein schickes Mäntelchen, das nach außen das Image fördert. Es hört sich schick an, und ich habe meinen Teil getan.
Wenn sich Zimmermann die Arbeitsbedingungen in den Betrieben im Detail ansieht, wundert sie sich. Wie kommt es, dass Firmen ihre Bemühungen in Sachen 'Familienfreundlichkeit’ perfekt vermarkten, dies aber kaum umgesetzt wird? Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, versucht eine Antwort.
Es gibt eine ganze Menge Leute, die kürzer arbeiten wollen, die gelegentlich auch mal ein halbes Jahr zu Hause bleiben wollen. Da haben einzelne Firmen schon sehr gute Arbeitszeitmodelle geschaffen, die aber von den Leuten nicht angenommen werden. Weil viele Leute Angst haben vor einem Karriereknick, wenn sie auf einmal kürzer arbeiten. Das wird dann häufig so ausgelegt: Der oder die will sich ja gar nicht richtig engagieren.
Familienfreundlichkeit, ein Schönwetterthema? In manchen Vorstandsetagen macht angesichts der ökonomischen Lage das böse Wort vom "Sozialklimbim” die Runde. Andere Personalverantwortliche sind hingegen überzeugt, dass Mitarbeiter Spielräume für ihr Privatleben brauchen; dass eine gesunde Distanz der beruflichen Leistung nicht schadet, sondern sogar gut tut. Isabella Quist von Weleda:
Ich fände es schön, wenn man das ganze Thema nicht unter dem Aspekt 'familien- und frauenfreundlich’ behandelt, sondern unter dem Thema 'menschenfreundlich’. Denn das hat schon wieder was Abschätziges: Familien und Frauen und Behinderte und Kranke und Schwache, die muss man besonders unterstützen. Von der Schiene sollte man wegkommen, in dem man der Familie eine neue Wertigkeit gibt. Die geben wir nicht durch noch so viel Geld, sondern in dem das Selbstbewusstsein der Eltern steigt und die gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit steigt, die in den Familien geleistet wird.
Die engagierten Führungskräfte müssen einen regelrechten Kulturwandel organisieren. Sie wissen, dass sie ihre jungen Mitarbeiter, auch die Männer, nicht mehr allein mit teuren Dienstwagen und edlen Tagungshotels beeindrucken können. Loyalität zu einem Unternehmen speist sich heute auch daraus, ob Firmen Angebote machen, die ein Gleichgewicht der verschiedenen Lebensbereiche ermöglichen.
Mobilität zum Beispiel, das Zauberwort am Arbeitsmarkt, verträgt sich schlecht mit den Bedürfnissen von Familien. Kinder und Jugendliche wollen verlässliche Eltern und keine hochflexiblen Arbeitnehmer, die selten zu Hause sind oder dauernd umziehen.
Vielleicht sind die unterschiedlichen Wünsche gar nicht miteinander 'vereinbar’, wie es die gut gemeinte Berater-Rhetorik behauptet. Vielleicht geht es im günstigsten Fall um persönlich tragbare biografische Kompromisse. Der Optimismus, die spielerische Leichtigkeit, die das Wort von der "Work-Life-Balance" nahe legt, ist jedenfalls eine individuelle und kollektive Selbsttäuschung.