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Firma Weicon aus Münster
Kleben auf hoher See

Die Klebstoffe des Münsteraner Unternehmens Weicon müssen sich mitunter bei Sturm auf hoher See bewehren. Schließlich sollen sie die Teleskopbeine von Ölplattformen für die Dauer des Transports stabilisieren. Aber auch Sekundenkleber oder Montagefette werden in Münster produziert.

Von Claudia Ullrich-Schiwon |
    Eine Ölbohrplattform in der Barentssee.
    Für Bohrplattformen hat Weicon ein spezielles flüssiges Epoxyd-Harz entwickelt, das in die Spalten der Teleskopbeine eingefüllt und dort steinhart wird. (picture alliance / dpa - Vorkunkov Maxim)
    "In Sachalin war das Ende Oktober, und da ging ein wahnsinniger Sturm los und Wellen schlugen über das Deck. Es ging dann soweit, dass wir zu kentern drohten," berichtet Stefan Hardelt, einer der Experten für die Transportsicherung bei Weicon. Die Bohrplattform sollte Richtung Atlantik verlegt werden. Ihre drei 125 Meter langen teleskopischen Stahlbeine waren bereits vom Meeresgrund hochgezogen und ragten in voller Länge in die Luft: "Das sind gewaltige Kräfte, die dort wirken, und unser Job besteht darin, die Füße in ihrer Verankerung zu fixieren für einen Überseetransport."
    Hierfür hat Weicon ein spezielles flüssiges Epoxyd-Harz entwickelt, das in die Teleskopspalten eingefüllt und dort steinhart wird: "Sodass wir einen 100 prozentigen Formschluss haben, kein Spiel in der Führung und damit keine Bewegung im Bein. Es geht darum, die Schwingung aus der ganzen Konstruktion zu nehmen."
    Das Hochseeabenteuer habe Ende der 90er-Jahre mit dem Hilferuf eines befreundeten niederländischen Ingenieurs begonnen, erzählt Firmenchef Ralph Weidling. Eine Ölbohrplattform war auf dem Weg von Südamerika nach Europa in Seenot geraten und lag vor Portugal: "Und er fragte, gibt es nicht einen Klebstoff, den man dafür einsetzen könne, um halt den Weitertransport zu machen, um die Beine entsprechend zu fixieren."
    Eine Herausforderung, und bei Weicon wurde getüftelt: "Somit haben wir jetzt ein Drei-Komponenten-Material mit einem Harz und zwei Härten entwickelt für Minusgrade in Chile und Hitze in Südostasien. Und wir sind weltweit die Einzigen, die diese Aufträge durchführen und durchführen können."
    "Ohne Kleben funktioniert fast nichts mehr"
    Zu Hause, am Firmenstandort Münster, geht es um das Alltagsgeschäft. Hier werden die unterschiedlichsten Klebstoffe für fast alle Industriezweige produziert.: "Ohne Kleben funktioniert fast nichts mehr. Viele technische Konstruktionen wären gar nicht möglich, wenn man sie schweißen müsste."
    Klebstoffe verbinden heute unterschiedlichste Materialien: alle Arten von Kunststoffen, Holz, auch Beton sowie Metalle. Geklebt wird in der Automobilindustrie, im Maschinen- Schiffs- und Flugzeugbau, in der Möbelherstellung, der Papier-, Öl- und Gasförderindustrie. In dem münsterschen Familienunternehmen sind heute knapp 200 Mitarbeiter beschäftigt. Sie arbeiten am Hauptsitz in der Produktion, im Lager sowie in Niederlassungen in Dubai, in Kanada, in der Türkei, Rumänien und in Südafrika.
    Die Zentrale in Münster, ein Bau aus Glas- und Klinker, besteht aus vier Gebäuden, die mit Fußgängerbrücken verbunden sind. Produktion und Verpackung finden nicht in großen Hallen statt, sondern in überschaubaren zum Teil ineinander übergehenden Räumen. Das liege unter anderem daran, dass die Produkte von Weicon nach der Herstellung nur ein paar Monate gelagert werden, erklärt der Firmenchef Ralph Weidling: "Unsere Produkte haben eine gewisse Lebensdauer, das muss immer frisch sein.Zwölf Monate ist die Lagerstabilität, und da ist vieles, was wir hier machen, Handarbeit. Also Produktion in Millionen Stückzahlen macht für uns keinen Sinn. "
    Als Beispiel zeigt Ralph Weidling auf zwei Abfüllanlagen für flüssigen Klebstoff. Zwei Mitarbeiter sind hier tätig: "Ich fülle Sekundenkleber ab in 20 Gramm. Ich mache nicht immer dasselbe, das ist ja kundenbezogen. Also es sind mal große Flaschen, mal kleine Flaschen, ovale Flaschen und hohe Flaschen."
    Dieser Auftrag hier lautet auf 6.000 Fläschchen á 20 Gramm flüssiger Klebstoff.
    "Das ist keine Serienproduktion"
    Und weiter geht der Rundgang: "Hier sind wir in der Abteilung Epoxyd-Harze, wo Harz und Härter angefüllt werden. Das ist keine Serienproduktion wie zum Beispiel Margarine. Jetzt kommen wir hier zur Abteilung Fette. Montagefette, Montagepasten. Auch da gibt es unterschiedliche Verpackungen. Von der kleinen Pinseldose bis hin zum 20 Liter Hobbock muss alles entsprechend passgenau abgefüllt werden."
    Welchen Weg Weicon nehmen würde, hätte sich der Firmengründer Paul Wilhelm Weidling nicht im Traum vorstellen können. Er hatte sich 1947 auf den Handel mit Werkzeugen spezialisiert. Sein Sohn Gerd Weidling, der Vater des heutigen Firmenchefs, war an neuen Entwicklungen interessiert: "Mein Vater hat 1957 im Readers Digest gelesen über Kunststofftechnik, Epoxydharze, ist in die USA geflogen und hat die Vertretung der Firma Devcon mit rüber gebracht, hat das 20 Jahre hier sehr erfolgreich gemacht."
    Der Vater beschloss, sich selbstständig zu machen, stellte die amerikanischen Wartungs- und Reparaturprodukte nach eigener Rezeptur her. Er bewies damit eine gute unternehmerische Spürnase, denn die Entwicklung von Klebstoffen und technischen Sprays entwickelte sich ab den 1960er-Jahren rasant. Firmenchef Ralph Weidling betont, dass sein Unternehmen kaum konjunkturanfällig sei, denn: "Wenn es der Automobilindustrie schlecht geht, geht es vielleicht der Windenergie gut. Oder der Lebensmittelindustrie, essen müssen wir immer. Also gerade Produktionsanlagen für den Lebensmittelbereich werden weiter gefertigt."
    Neben den routinierten unternehmerischen Tätigkeiten gibt es hin und wieder besondere Einzelaufträge. So erzählt der sportbegeisterte Firmenchef, dass ein Kunde mit einer Carboneinlage seine Biathlon-Ski beschleunigen wollte. Ein Auftrag, der nur individuell gelöst werden konnte: "Der Klebstoff muss natürlich dementsprechend Stabilität aufweisen, der muss bei minus 20 Grad noch funktionieren. Er muss restelastisch sein, denn gerade Ski sind ja bei den Spitzensportlern extrem gefordert, und bei den letzten Meisterschaften hätte es ohne
    diese Art des Verklebens nicht zu einer Medaille gereicht."