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Firmament und Hohlform

In einem Gehirn spielt sich so allerlei ab und die Innenseite eines Schädels wölbt sich, so gesehen, weitreichender als ein Firmament. Was geschieht dem Wagemutigen, der sich unter dieses Halbrund begibt und versucht, auf einer Expedition das eigene Denken zu erkunden? Dieser Reisende gerät, je weiter er vordringt - ins Dunkel! Der schwedische Schriftsteller Aris Fioretos, ist gerade von einer solchen Expedition zurückgekehrt. Er gab seinem Reise-Essay den Titel "Mein schwarzer Schädel". Fioretos bezeichnet sich als Kranionaut. Darunter stelle man sich einen Astronauten bei seinen Gängen vor auf dem noch immer weithin unerforschten Planeten des Kraniums, des Schädels also.

von Cornelia Jentzsch |
    Spieglein, Spieglein vor mir, sag, wessen mein Gehirn sein mag!’ Die Reichweite einer solchen Aufforderung kann ins Unendliche erweitert werden, denn es liegt eine Sehsucht in ihr, die ebenso ungestillt ist wie der Gesang, der einst aus Orpheus treibendem Kopf erklang. Aber die Frage hat auch eine Rückseite. Skeptisch will sie zudem wissen: ‚Blende ich mich nicht selbst? Ist mein Gehirn nicht möglicherweise das eigentliche Hindernis für Erkenntnis?'

    Wüstenreisenden ist dieses Phänomen als Fata Morgana bekannt, je näher man dem Ziel vor Augen zu kommen glaubt, desto weiter weg scheint es zu sein. Eine Spiegelung, die sich im Inneren des Schädels abspielt und nach außen Welt suggeriert.

    Auch der alte Brecht wußte um dieses Erscheinung, er schrieb in etwas nachdrücklicherer Formulierung: ‚Je mehr man hinsieht, desto weniger erscheint der Mensch als Mensch’.
    Und trotzdem oder gerade deshalb hat Aris Fioretos den Gang ins Gehäuse des Denkens gewagt, unternimmt er architektonische wie historische Streifzüge durch die Innenlandschaft des Ichs. Man ist, was man sieht; man sieht, was man weiß; man weiß, daß man ist und was man sein könnte. Die Reise erweist sich als eine Auflösung ins Fragile, ins Fragliche – ins Fragmentarische.

    Eines dieser Fragmente besagt, daß es im Labyrinth jedes Textes einen leuchtendroten Ariadnefaden gibt. Texte sind Widerspiegelungen aus dem Schädelinneren, praktisch ihre Textur. Was einen Roman zusammenhält, meint Aris Fioretos, sei weniger die Handlung, sondern ihr Ton. Er entsteht durch das Erzählen selbst. Dieser Ton ist es, der dann im Schädelgewölbe des Lesers wiederaufersteht und klingt. In seiner Ungreifbarkeit, seiner Flüchtigkeit, aber auch in der Stärke der von ihm erzeugten Resonanz und Wirkung entspricht dieser Ton sehr genau dem obskuren Objekt der Begierde selbst, dem "svarta Skalle". Schwarzschädel, wie er im Schwedischen genannt wird. Und Fioretos wäre nicht Fioretos, würde er unter diesem Wort nicht eine weitere Bedeutung versteckt halten: Schwarzschädel nennen die Schweden dunkelhäutige Einwanderer, Fremde.

    Der Text spielt ja unter anderem mit dem schwedischen Idiom für Kanake, also für Ausländer, für Emigrantenkinder. Was soviel bei uns heißt wie Schwarzschädel. Und ich wollte dieses Idiom nehmen in der Hoffnung, es doch etwas umzudrehen, es in eine andere Meinung als die Herkömmliche zu geben. Und mit diesem Bild anzufangen, daß es im Inneren des Schädels eigentlich kein Licht gibt. Sondern das Licht entsteht nur durch das Bewußtsein. Wenn man sich ich den eigenen Erfahrungen und Erinnerungen hineinbegibt, kann man natürlich verloren gehen. Aber die Hoffnung bleibt ja, irgendwann dann nach außen zu kehren mit diesen Fundstücken, die man da gemacht hat. Und da stellt sich im Laufe des Textes heraus, daß das eigentlich das Paradigma wenigstens der Literatur ist, von der ich träume. Daß das von einem aufgehobenen schwarzen dunklen Inneren, daß das sich irgendwann nach außen kehrt. Und daraus auch aus allen, die das hinter sich bringen, Schwarzschädel macht. Daß wir alle irgendwie schon Fremde unserer Selbst sind, das wir alle auch Ausländer in unseren eigenen Gedanken, in unserem eigenen Bewußtsein, im Tiefstinneren bleiben. Man muß sich auch manchmal als Fremder begegnen dürfen in der Hoffnung, sich besser auch ab und zu kennen zu lernen.

    Ein Passage aus den Expeditionsnotizen von Aris Fioretos beschreibt die Literatur als eine Black Box, die all das aufnimmt, was man auf den Reisen in die Dunkelheit zwar sieht, aber nicht begreift. Eine Black Box notiert jede Bewegung, jedes Gespräch im Cockpit eines Flugzeuges, um es im nachhinein nachlesen zu können. Diese Spurensicherung ist auch notwendig, denn im menschlichen Gehirn sind unendliche Schichten von Vorstellungen, Bildern und Gefühlen dicht übereinander abgelagert. Würde man auf seinen inneren Reisen nichts notieren, oder, man könnte auch sagen, keine Landkarten anlegen, würde man sonst recht bald den Überblick verlieren. Denn das Gehirn, dieses unerschöpfliche Reservoir, speichert selbst Dinge, von denen man nicht einmal merkt, daß sie wahrgenommen wurden.
    Aris Fioretos’ Essay ist eine raffinierte doppelte Spiegelung. Er beschreibt den Mechanismus, der beschreibt und er denkt über das Denken nach.

    Hinter all diesen essayistischen Überlegungen verbirgt sich bei Fioretos eine weitere grundsätzliche Frage. Diese zielt nicht nur auf das Denken allein, sondern nach dem sich einander bedingenden Verhältnis von Körper und Geist. Als zwölfjähriger sah er einen Antikriegsfilm des amerikanischen Regisseurs Dalton Trumbo. In "Johnny zieht in den Krieg" verliert der Held nicht nur Arme und Beine; auch Augen, Mund und Ohren bleiben ihm fortan verschlossen. Von den Ärzten nur noch als Forschungsobjekt am dürftigen körperlichen Leben erhalten, beginnt er umso intensiver, in den Gedanken seines immerhin noch vorhandenen Schädels zu leben. Seit diesem Filmerlebnis, sagt Fioretos, beschäftige ihn die Frage, wieviel von einem Menschen verschwinden kann, ohne daß er deshalb aufhöre, Mensch zu sein.

    Es war nicht nur eine fixe Idee, sondern auch eine Aufforderung, mit sich selber ins Klare zukommen. Denn dieser Mensch, der dort liegt, dieser Johnny, versucht desparat mit sich selber klarzukommen. Was will er, was kann er überhaupt jetzt mit sich machen?

    In dem ebenfalls in diesem Jahr auf Deutsch erschienene Roman von Aris Fioretos, Die Wahrheit über Sascha Knisch wird der Transvestit Sascha Knisch in einen Mordfall verwickelt. In einem durchtriebenen literarischen Spiel, das von Metaebenen und Substrukturen lebt, geht es aber auch hierbei, wie überhaupt grundsätzlich in allen Werken von Aris Fioretos, um die materielle und ideelle Definition des Menschlichen. Doch liegen zwischen Körper und Schädel zahlreiche graue Verbindungszonen, die eindeutige Zuweisungen erschweren. Im Roman ging Fioretos, als Pendant zum Essay, vom Körperlichen aus und von dessen Irritierungen die Untersuchung an.

    Ich habe ziemlich skurrile und komische Briefe bekommen von Lesern, die sich irgendwie angesprochen fühlten. Das Buch handelte ja von einem Transvestiten, und ich habe ja selber keine Erste-Hand-Erfahrung von Transvestismus. Aber schon von Transvestismus des zweiten Grades, sprich als Kind von Einwanderern, hat man ein Verhältnis glaube ich zur Sprache, das zwangsläufig dem Verhältnis eines Transvestiten zur Kleidung ähnelt. Man kleidet sich in der neuen Sprache, man fühlt sich da manchmal pudelwohl, manchmal wirklich ganz traurig.... Auf der einen Seite will man als Native-Speaker durchgehen, man will also nicht auffallen, man will genauso normal wie die Eingeborenen sein. Aber auf der anderen Seite will man auch sich selber beweisen, man will zeigen, ich beherrsche diese Sprache genauso gut wenn nicht besser als ihr Eingeborenen. Man will sich auch ausstaffieren, schönkleiden, sich ornamentieren.

    Und dieses Paradox habe ich dann, was wirklich meiner Spracherfahrung entspricht, habe ich eben so umzusetzen versucht, daß es eher um Geschlechtsfragen ginge. Sascha Knisch - der Held, oder Antiheld - kleidet sich in Frauenkleider, er fühlt sich da am wohlsten, in diesen sogenannten fremden Kleidern. Mit anderen Worten, für sich selber wenigstens ist es nicht so, daß der sich verkleidet oder sich versteckt. Sondern ganz im Gegenteil, seine Art von Wahrheit kommt da zum besseren Vorschein.

    Was mir wirklich sehr angenehm war, daß das Buch nicht als eins über die Golden Twenties gelesen wurde hier in Deutschland, da waren die Leser wesentlich feinfühliger und differenzierter. Ich wollte jetzt nicht die schicke und geisteshistorisch gesehen vielleicht interessanteste Epoche der Weimarer Republik schildern.... ich wollte irgendwie unter der Haut oder unter der Kleidung der damaligen Republik gehen und die Kehrseite etwas aufdecken. In Schweden wurde es ziemlich, bei manchen, einfach als Porträt der damaligen Zeit gelesen.


    Aris Fioretos literarische Meisterschaft liegt im Spiel mit Andeutungen und versteckten Hinweisen, die, wenn man sie zu beachten versteht, ganze Kosmen eröffnen können an natur- und geisteswissenschaftlichen Phänomenen und Fragen.

    Auf die Bemerkung, ob sich denn der Mensch irgendwann dank wissenschaftlicher Hilfe einmal vollends auf sein Gehirn reduzieren könnte, um den vergänglichen Körperballast und damit eine ganze Palette ungelöster Probleme abzuwerfen, antwortet Aris Fioretos:

    Ich glaube nicht daran. Aus dem einfachen Grund, daß auch das Gehirn selber Teil eines Körpers ist. Man kann ja nicht behaupten, nur weil man die graue Substanz aus dem Körper entfernt, würde man den Körper loswerden. Also es bleibt ja noch immer ein Teil des Körpers, die graue Substanz. Insofern, glaube ich wirklich, ist das Bewußtsein durchaus mit dem Körper vermischt... Und vielleicht haben wir ab und zu Bewußtsein in unserem Knie oder in unserem Bauch. Ich glaube, das gehört alles zu unserem Bewußtsein. Nur funktionieren wir besser, wenn wir doch mit dem Gehirn denken.

    Aris Fioretos
    Mein schwarzer Schädel
    Reihe "Spurensicherung", Bd. 14, hrsg. vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD.
    66 S., EUR 8,60