Wettkämpfe in Brasilien?
Wie die Zukunft des Skispringens aussehen könnte

Der Ski-Weltverband FIS will das Skispringen globaler aufstellen. Renndirektor Sandro Pertile brachte nun etwa ein Springen auf Matten im Maracana-Stadion in Brasilien ins Spiel. Der Deutsche Ski-Verband sieht die Prioritäten noch woanders.

Von Raphael Späth | 14.01.2024
Ein Skispringer landet nach einem Sprung auf grünen Matten.
70 Prozent aller Skisprung-Wettbewerbe finden bereits auf Matten statt auf Schnee statt. (IMAGO / Camera 4/JIM)
„Vielleicht ist das eine crazy Idea, wir wissen das nicht, aber wir möchten gerne Richtung Emotionen, Richtung global und Richtung Entertainment gehen.“ Sandro Pertile ist seit 2020 im internationalen Ski-Verband FIS als Renndirektor für das Skispringen zuständig. Am Rande der Vierschanzentournee hat der Italiener seine Ideen vorgestellt, wie das Skispringen in Zukunft aussehen könnte: „Und ein Beispiel ist das Thema der temporären, futuristischen, mobilen Anlage.“
Wie Pertile dem Deutschlandfunk bestätigt hat, gab es schon mehrere Besprechungen mit Interessenten für den Bau einer mobilen Skisprungschanze. Inzwischen gibt es auch einen zweiten, konkreten Plan, wie diese Stahlkonstruktion aussehen könnte und wo sie einsetzbar ist. „Man könnte diese Anlage temporär innerhalb von ein paar Wochen bauen. Und man kann mit dieser Anlage auf einer flachen Zone arbeiten, aber auch in einem großen Fußballstadion.“
Sandro Pertile betont: Kurzfristig gesehen ist und bleibt das Skispringen ein Wintersport. Aber: 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das spüren natürlich auch die Skispringer. „Wir haben schon jetzt mehr Schwierigkeiten mit der Schanzenpräparation im Winter. Weil der Schnee anders ist, es ist wärmer, man muss mehr mit Wasser arbeiten. Und unsere Idee ist, dass wir für den langfristigen Plan schon jetzt über unsere Zukunft nachdenken sollten.“

Schnee für Skispringen keine Grundvoraussetzung mehr

Im Gegensatz zu vielen anderen Wintersportarten befindet sich das Skispringen in einer luxuriösen Ausgangssituation: Schon jetzt absolvieren die Profis gut 70% ihrer Sprünge jedes Jahr im Sommer auf Kunststoffmatten. Inzwischen gibt es auch Kombi-Lösungen mit einer Eisrinne im Anlauf und Matten bei der Landung. Schnee ist für das Skispringen schon lange keine Grundvoraussetzung mehr.
„Die Frage ist nur: Wie möchten wir unseren Sport entwickeln?“
Der Fokus liegt dabei erst einmal nicht auf dem Thema Nachhaltigkeit im ökologischen Sinne. Es geht darum, das Skispringen vom Wintersportprodukt, das bisher hauptsächlich für den europäischen Markt attraktiv ist, zu einer globalen Marke zu machen. Sandro Pertile orientiert sich bei seiner Vorstellung an der Formel 1, die sich in den letzten Jahrzehnten ähnlich entwickelt hat, mit Rennen in fast allen Teilen der Welt. Im Skispringen könnte eine mobile Schanze genau dafür der Türöffner sein.
„Diese Anlage kann transportiert werden. Oder man könnte sich auch vorstellen, wir bauen die erste Schanze in China, eine Kopie dieser Schanze in Brasilien und eine andere Kopie in Las Vegas auf. Und dann könnte man wirklich eine große World Tour organisieren. Und das könnte im Sommer sein oder auch in anderen Perioden.“

DSV-Sportdirektor Hüttel: "Man muss priorisieren"

„Die Idee ist nicht komplett neu, die Frage ist jedoch, ob die jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu unserer Skisprungkultur passt", erwidert Horst Hüttel, der im Deutschen Ski-Verband als Sportdirektor für das Skispringen zuständig ist. „Der Winter ist unsere Skisprung-Kultur, der Winter ist unser Highlight und man sollte sich – neben allen anderen Gedanken, ich will da nichts abwürgen, man muss da halt priorisieren – eher Gedanken machen: Wie kann ich den Sommer wirklich als Highlight, als Ergänzung, als Bereicherung nutzen?“
Für Hüttel sollte die Priorität des Weltverbandes zunächst einmal darauf liegen, die Sommersaison im Skispringen weiterzuentwickeln – das würde aus seiner Sicht auch ohne mobile Schanzen in Südamerika funktionieren. „Die Schanzen, die eventuell im Sommer besprungbar wären, egal ob es jetzt eine Vierschanzentournee Green Edition wäre oder was auch immer, die bestehen ja schon. Und diese Orte sind auch Sommertourismus-Orte. Und deshalb glaube ich, dass grundsätzlich eine Bereitschaft da wäre, den Sommer mehr zu bespielen – auch von Seite der Athleten. Einen Sommer Grand Prix, einen Sommer-Weltcup meinetwegen auch, wo Punkte dann in den Winter reinzählen. Aber gesprungen dann in Innsbruck, in Bischofshofen, in Garmisch-Partenkirchen. Auf den Anlagen, die quasi mit Matte belegt sind. Da finde ich, das wäre aus meiner Sicht der erste und der zweite Step. Und dann kann man schauen, was daraus entsteht.“

Pertile: "Sollten an unsere Zukunft denken"

„Wenn wir unseren Sport vergrößern möchten, sollten wir mindestens open-minded sein“, findet FIS-Renndirektor Pertile. „Dann kann es auch passieren, dass das alles nur auf Papier bleibt und es keine Chance dafür gibt, und wir für die nächsten 100 Jahre in Oberstdorf, Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen springen. Aber ich glaube, wir sollten auch an unsere Zukunft denken.“
„Ich denke, warum auch hier nicht mal die Menschen einfach mal fragen, die als Hauptkonsumenten angesteuert werden: Sprich das Publikum", findet Marketing-Experte Lars Stegelmann, der unter anderem die Rennserie Formel E zu einem globalen Produkt entwickelt hat.
Für ihn ist es keine Überraschung, dass die Athleten und Funktionäre selbst eher kritisch auf die Ideen des Ski-Weltverbandes reagiert haben: „Die aktiven Teilnehmer, sprich die Skispringer oder auch die Funktionäre, die direkt involviert sind, die sind in einem klassischen Prozess involviert. Und damit sind sie in ihrem Turnus, in ihrer Gewohnheit. Und es ist natürlich nur menschlich, dass viele sich sträuben, sich aus diesem Turnus herauszuziehen.“

Marketingexperte Stegelmann: Kernmarkt nicht aus den Augen verlieren

Lars Stegelmann betont, dass der Kernmarkt des Skispringens, also Mittel- und Nordeuropa, auf keinen Fall aus den Augen verloren werden darf. „Ich denke aber, dass man über neue Formate durchaus nachdenken sollte. Dass der Skisprungsport eine so interessante Seite hat, das sieht man ja am Bekanntheitsgrad des Sports, der sehr hoch ist. Und insofern warum nicht andere Märkte ansteuern, ohne die Bedeutung der Heritage-Standorte zu vernachlässigen. Man kann doch beides miteinander kombinieren.“
FIS-Renndirektor Sandro Pertile sieht viel Potenzial, mit dem Skispringen in Zukunft neue Märkte zu erschließen. Das würden auch Zahlen des IOC zu den Einschaltquoten während der Olympischen Spiele bestätigen. „Dort sieht man ganz klar, dass das mediale Interesse bei Olympischen Spielen in großen Ländern unglaublich groß ist. Japan, China, aber auch Südafrika und Brasilien: Diese Länder haben bei Olympischen Spielen ein riesen Interesse am Skispringen.“

Hüttel: Zuerst auf Kanada und USA zugehen

Horst Hüttel vom Deutschen Ski-Verband würde eine Internationalisierung des Skispringens auch durchaus begrüßen: „Definitiv kann man, wenn Infrastruktur geschaffen wird – und da brauchen wir keinen Schnee dazu, da hat der Sandro in der Hinsicht sicherlich recht – sollten wir jedes Land willkommen heißen, wo Skispringen betrieben wird. Aber wir müssen auch alle miteinander aufpassen, dass der Skisprungkernmarkt, und da sehe ich Tschechien, Finnland oder die Schweiz, dass man eher versuchen sollte, Amerika, Kanada – auf solche Länder zuzugehen und hier mit ins Boot zu nehmen, bevor ich Richtung Brasilien oder Südamerika denke.“
Sandro Pertile vom Ski-Weltverband betont weiterhin: Man befinde sich immer noch in der Brainstorming-Phase. Bis die Pläne einer mobilen Schanze in Südamerika oder China umgesetzt werden, benötige es mindestens zehn Jahre – und vor allem viel Geld und Investoren für potenzielle Millionenprojekte.