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Fischer und Jachtbesitzer retten Expeditionskorps

Am 26. Mai 1940 begann eine der größten Evakuierungsaktionen der Geschichte. Kurz nach Beginn des Krieges gegen Frankreich brachten die Navy und private Schiffsbesitzer große Teile des britischen Expeditionskorps in Sicherheit. Es hatte sich gemeinsam mit französischen Truppen vor dem deutschen Vormarsch in die Hafenstadt Dünkirchen geflüchtet.

Von Bernd Ulrich |
    Bis heute hat die nordfranzösische Hafenstadt Dünkirchen in der britischen Öffentlichkeit einen hohen Symbolwert. Sie steht für die selbstlose und solidarische Hilfe der ganzen Nation für ihre in Not geratenen Bürger. Denn in Dünkirchen fand im Mai 1940 eine der gigantischsten Evakuierungsaktionen der Geschichte statt. Und das mitten in einem Krieg, der mit dem Angriff der großdeutschen Wehrmacht auf Frankreich am 10. Mai 1940 begonnen hatte, einem Angriff, der alle Beteiligten, nicht zuletzt das zur Hilfe entsandte britische Expeditionskorps, mit seiner Wucht und Schnelligkeit überraschte.

    Mit der "Operation Dynamo", so der britische Codename für das Unternehmen, konnten zwischen dem 26. Mai und dem 4. Juni 1940 fast 370.000 Soldaten, darunter über 120.000 Angehörige der Französischen Armee, vor der Vernichtung oder Gefangenschaft gerettet werden. Eingesetzt wurde dafür eine, wie es schon damals umgangssprachlich genannt wurde, wahre Mücken-Armada. Sie bestand, so der Militärhistoriker Karl-Heinz Frieser in seinem Standardwerk zum Blitzkrieg,

    "... neben einem Kreuzer sowie 56 Zerstörern, Minensuchern und Torpedobooten der Navy aus einer bunten Ansammlung von Privatjachten, Fischerbooten, Lastkähnen von der Themse und Ausflugsdampfern."

    Möglich war dies indessen auch deshalb, weil noch vor der glücklichen Rettung der Truppen im Mai 1940 etwas weiteres schier Unglaubliches geschah. Ehe die bei Dünkirchen eingekesselten Alliierten von den deutschen Panzerdivisionen überrollt werden konnten, ließ Hitler die vorrückenden Einheiten am 23. Mai 1940 anhalten. Der Chef des Generalstabs des Heeres, General Franz Halder, in seinem Tagebuch:

    "Die Panzer und motorisierten Verbände stehen nach allerhöchstem Befehl wie angewurzelt auf den Höhen zwischen Betune und Saint Domaire und dürfen nicht angreifen. Auf diese Weise kann das Aufräumen des Einkreisungskessels noch wochenlang dauern - sehr zum Schaden unseres Prestiges und unserer weiteren Absichten."

    Was war geschehen? Darüber rätseln die Militärhistoriker bis heute. War es die Gewissheit des Sieges, wie sie noch im Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 29. Mai zum Ausdruck kam?

    "Seit gestern ist auch das englische Expeditionsheer in völliger Auflösung. Sein gesamtes, unübersehbares Kriegsmaterial zurücklassend, flüchtet es zum Meere."

    Sollten die eigenen, müden Truppen geschont werden? Oder gar die Briten selbst, deren, wie Hitler es nannte, guten Rasseeigenschaften sie eigentlich zu idealen Verbündeten der deutschen Herrenmenschen machten? Als wahrscheinlich gilt heute, was der Militärhistoriker Karl-Heinz Frieser so formuliert:

    "Hitler wollte bei Dünkirchen eigentlich nicht die Panzer, sondern die Generalität im Oberkommando stoppen. Es ging ihm schlichtweg ums Prinzip, nämlich ums Führerprinzip."
    Kurz nach der Wiederaufnahme des Angriffs am 26., 27. Mai stießen die Deutschen auf den entschiedenen Widerstand alliierter Einheiten. Sie gaben der Evakuierung ihrer Kameraden Deckung. Zugleich verhinderte das schlechte Wetter und britische Jagdflieger den wirksamen Einsatz der Luftwaffe gegen die englische Flotte. Zwar notierte Goebbels am 29. Mai 1940:

    "Der Führer ruft mich an. Er ist übervoll von Freude und Befriedigung. Er meint, dass nun die Vernichtung der eingeschlossenen Truppen keine allzu großen Schwierigkeiten mehr machen könne. Er sieht die Lage außerordentlich optimistisch an."

    Das sollte sich für Dünkirchen als Fehleinschätzung erweisen. Zwar konnte Frankreich kurz darauf endgültig besiegt werden und der Frieden, freilich ein nationalsozialistischer, rückte in greifbare Nähe. Doch nur wenigen Menschen war klar, dass der Sieg noch lange nicht das Ende des Krieges verhieß. Der Journalist und Publizist Erich Kuby vermerkte als deutscher Soldat kurz nach der Kapitulation Frankreichs in seinen Aufzeichnungen:

    "Für uns wird eine Zeit beginnen, die viel unangenehmer sein wird als die bisherige. Besatzungstruppen in Frankreich? Ein anderer Kriegsschauplatz? Beides im Bereich des Möglichen. Erwarte jedenfalls nicht ein baldiges Wiedersehen."

    Vor allem die geretteten Briten, durchweg erfahrene Berufssoldaten, sollten in den kommenden Jahren den Grundstock der englischen Truppen bilden, die schließlich gemeinsam mit den amerikanischen Bundesgenossen im Juni 1944 in der Normandie landeten.