Archiv


Fischerei am Abgrund?

Politik. - Die Fischereipolitik der Europäischen Union wird seit langem heftig kritisiert. Zu viele und zu große Schiffe jagen einer rasant schwindenden Zahl von Fischen hinterher. Jetzt hat ein deutscher Fischereibiologe in "Nature" eine Bilanz gezogen. Doch bei viel Schatten gibt es auch einzelne Lichtblicke.

Von Tomma Schröder | 07.07.2011
    Obwohl Rainer Froese seit Jahren für niedrigere Fischfangquoten in der EU wirbt, stellt er eines gleich zu Beginn klar:

    "Ich bin Fischereibiologe, und ich glaube daran, dass Fisch ein gutes Nahrungsmittel ist. Und ich glaube, wir können auch sehr viel mehr davon essen. Es gibt Schätzungen, wenn wir weltweit die Bestände vernünftig bewirtschaften würden, könnten wir über 20 Prozent mehr Fisch haben pro Jahr."

    Doch mit der vernünftigen Bewirtschaftung, so Rainer Froese, hapere es seit Jahren. Für das Fachmagazin "Nature" analysiert der Wissenschaftler vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften die Gemeinsame Fischereipolitik der EU und kommt zu einem verheerenden Ergebnis: Seit Jahren verhindere eine schlagkräftige Lobby Reformen, verteidige sinnlose Subventionen und habe einen Dschungel bürokratischer Vorschriften entwickelt. Am schlimmsten aber für den Fischereibiologen: Immer wieder fordere die Politik die Wissenschaft dazu auf, Fangquoten zu empfehlen, welche die Bestände am Rande des Zusammenbruchs halten.

    "Natürlich fragt man sich als Fischereiwissenschaftler, habe ich dafür studiert, dass ich Bestände an den Abgrund des Zusammenbruchs fahre oder wollte ich nicht möglichst gute Nahrung mit möglichst wenig Einfluss auf das Ökosystem erzielen. Es ist so ein bisschen wie ein Arzt, der an einer Foltersession teilnimmt und sagt: 'OK, den Kopf nicht so lange runterhalten, jetzt muss er mal wieder atmen.' Das ist wirklich nicht das, was ich mir als Fischereiwissenschaftler vorgestellt habe von meinem Beruf."

    Wenn die EU-Kommissarin Maria Damanaki nächsten Mittwoch die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik vorstellt, könnte allerdings einiges besser werden, hofft Froese. Demnach müssen die Fischer künftig keine gefangenen Fische mehr aus bürokratischen Gründen über Bord werfen. Außerdem wird das Ziel formuliert, die Fischbestände auf einer Größe zu halten, bei der sie für die Fischerei den maximalen Dauerertrag bringen. Ein Ziel, das nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll sei, meint Froese.

    "Das bedeutet für die Fischerei, dass sie ein, zwei Jahre etwas weniger fischen muss, danach aber dann durchaus wieder so viel wie jetzt fischen kann und danach deutlich mehr fischen kann."

    Deutlich werde das an Beispielen wie Neuseeland oder den USA, meint Froese, die wesentlich rigidere Reformen durchgesetzt haben. Dort seien viele Fischerboote abgeschafft und den Fischern ein würdiger Ausstieg ermöglicht worden. Die verbliebenen Fischer erzielten nun Gewinne von bis zu 40 Prozent. In Deutschland, so Froese, lägen sie lediglich bei drei bis vier Prozent. Denn wo die Bestände sich erholen, könne anschließend auch mehr gefischt werden.

    "Stellen wir uns vor, wir haben etwa 1000 Fische im Meer. Dann könnten wir pro Jahr etwa 250 von denen wegfischen, und der Bestand würde gleich bleiben, weil 250 neue nachwachsen. Also ich habe eine Tischlein-deck-dich-Situation – jedes Jahr 250. Was wir aber gemacht haben in Europa, ist, wir haben nicht 250, sondern 500 rausgenommen. Dann schrumpft natürlich der Bestand. Und heute sind die Bestände etwa auf der Größe von 100 Fischen, wir nehmen aber immer noch 50 raus, die können sich also nicht erholen. Die sind beständig vom Zusammenbruch, vom Verschwinden bedroht."

    So düster wie Rainer Froese sieht Carl O’Brien die heutige Situation nicht. Der Wissenschaftler arbeitet für den Internationalen Rat für Meeresforschung in Kopenhagen – kurz ICES genannt – und gibt jedes Jahr wissenschaftliche Empfehlungen zur Fischereipolitik. Er verweist auf die Erfolge, die bereits gemacht wurden.

    "Seit der Internationale Rat für Meeresforschung 1998 das Vorsorgeprinzip eingeführt hat, wird das Fischereimanagement danach ausgerichtet. Und die Bestände, die sehr stark überfischt waren, erholen sich wieder. Bei einigen Arten dauert das länger als bei anderen, aber diese erste Erholung ist eine wichtige Voraussetzung, um von dort wieder Bestandsgrößen zu erreichen, die den möglichen maximalen Dauerertrag garantieren können. Ich denke also, die Anzeichen sind alle gut."

    Rainer Froese reichen diese Anzeichen nicht. Er will die Bestandsgrößen, die einen maximalen Ertrag garantieren, schneller erreichen. Die geplante Reform, so Froese, könne da zwar ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein. Doch ob der wirklich gegangen werde, sei noch fraglich. Schließlich sei es eben nicht das viel gescholtene Brüssel, das die Fischereipolitik bestimme.

    "Die Europäische Kommission ist sehr daran interessiert, dass die Reform erfolgreich ist. Allerdings wird das nicht von der Kommission beschlossen, sondern von den Landwirtschaftsministern. Die stehen unter Druck ihrer nationalen Fischereilobbys. Also es gibt da durchaus Widerstände, und wir werden sehen, ob die Kommission sich durchsetzen kann."