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Fischerei
Gratisfutter vom Fischkutter

Die Europäische Union will Fischern verbieten, den sogenannten Beifang wieder zurück ins Meer zu werfen, weil er unverkäuflich ist. Damit will Brüssel die Bestände schonen. Doch Experten warnen: Die Umweltschutzmaßnahme könnte sich negativ auf das marine Ökosystem auswirken.

Von Marieke Degen |
    Fischer Martin Lange schlachtet mit einem Messer Dorsche.
    Ab 2015 müssen die Fischer ihren Beifang an Land bringen, wo die Fische dokumentiert werden sollen. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Niemand entkommt ihnen, den Schleppnetzen der Fischtrawler. Die Netze werden direkt über den Meeresgrund gezogen und nehmen alles mit, was sich im Sand oder zwischen den Algen versteckt: ausgewachsene Fische, Jungfische, Krebse, Garnelen. Vieles davon können die Fischer aber gar nicht gebrauchen.
    "Sie können nur bestimmte Fischarten und nur bestimmte Größen verkaufen. Fische, die zu jung sind oder für die die Fischer keine Fangquote haben, werden zurück ins Meer geworfen."
    Zwei Millionen Tonnen Beifang pro Jahr
    Mike Heath ist Professor für Fischerei an der Universität Strathclyde in Glasgow. In ganz Europa werden jedes Jahr fast zwei Millionen Tonnen Fisch ins Wasser zurückgekippt - soviel, wie in Belgien in einem Jahr gegessen wird. Die meisten Fische sind dann schon tot. Doch damit ist jetzt Schluss: Ab 2015 müssen die Fischer ihren Beifang an Land bringen, wo die Fische dokumentiert und, wenn möglich, verarbeitet werden sollen. Das Anlandegebot wird stufenweise eingeführt - im Jahr 2019 sollen alle Fischarten erfasst sein. So will es die Fischereireform der Europäischen Union. Doch hilft das wirklich, die Fischbestände zu schonen? Mike Heath hat da so seine Zweifel:
    "Wenn man weiter fischt wie bisher, aber alles an Land bringt, dann wird sich das eher negativ auf das Ökosystem im Meer auswirken. Es gibt eine ganze Reihe von Tieren, die sich auf das Gratis-Futter eingestellt haben - und für sie fällt eine wichtige Nahrungsquelle weg."
    Vogelfutter vom Fischkutter
    Mike Heath und seine Kollegen haben die Auswirkungen berechnet, mithilfe eines Computermodells - am Beispiel der Nordsee. Dort gehen 40 Prozent aller gefangenen Fische wieder über Bord:
    "Die ersten, die sich auf den Beifang stürzen, sind Vögel und Säuger wie Seehunde. Gerade Möwen verfolgen die Fischkutter regelrecht. Alles, was sie nicht gleich von der Oberfläche wegschnappen, sinkt ab und wird von Krabben und Fischen gefressen. Bakterien zersetzen dann die letzten Überreste und geben die Nährstoffe zurück ins Wasser, wo sie von Pflanzen genutzt werden. Die Nährstoffe werden also im ganzen Ökosystem verwertet."
    Beifang ganz vermeiden
    Wenn der Beifang an Land gebracht wird, bedeutet das: Dem Ökosystem werden mehr Nährstoffe entzogen. Also weniger Futter für alle - auch für die Fische. Außerdem können sich Jungfische, die an Land gebracht werden, genauso wenig vermehren wie Jungfische, die tot ins Meer zurückgeworfen werden. Die Fischbestände werden sich durch diese Maßnahme allein nicht erholen, meint Mike Heath:
    "Wenn allerdings die Fischer den Beifang von vorneherein verhindern, würden alle profitieren. Die Jungfische bleiben im Meer, wachsen und vermehren sich. Die Bestände erholen sich schneller, damit gibt es auch mehr Nahrung für andere Tiere. Und gleichzeitig würde für die Fischer auch die Zahl der großen, marktfähigen Fische steigen."
    Den Beifang von vorneherein vermeiden - das ist auch das Ziel der Europäischen Union. Dass die Fischer den Beifang an Land bringen müssen, hoffen die Behörden, ist da der erste Schritt. Für die Fischer bedeutet das nämlich mehr Arbeit - und dass sie an Bord weniger Platz für die Fische haben, die sie eigentlich verkaufen wollen. Die Fischer sollen dazu gebracht werden, gezielter zu fischen: Statt großer Schleppnetze könnten sie zum Beispiel Fallen oder lange Leinen einsetzen, die mit speziellen Ködern bestückt werden. Die EU will dafür Anreize schaffen - und den Fischern neue Netze und Fanggeräte mitfinanzieren.