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Fischler (ÖVP)
"In absehbarer Zeit keine gemeinsame Basis mit der FPÖ mehr"

Der ehemalige österreichische EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP) hat die Koalitionsbildung seiner Partei mit der FPÖ vor zwei Jahren verteidigt. Es habe keine Alternativen gegeben, sagte er im Dlf. Nach dem Video-Skandal müsse man nun aber darauf hinarbeiten, andere Regierungspartner zu finden.

Franz Fischler im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Der ÖVP-Politiker Franz Fischler.
Der ÖVP-Politiker Franz Fischler. (Imago / Eibner Europa)
Fischler nannte die Lage in Österreich "eine veritable Regierungskrise", die zur Staatskrise werde, sollte Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz durchgehen. Sehr wahrscheinlich werde der Bundespräsident dann eine Expertenregierung einsetzen.
Gestern hatte Kurz Innenminister Kickl entlassen. Er habe zunächst veruscht, ihn vom Rücktritt zu überzeugen, sagte Fischler. "Die Bemühungen, Kickl loszuwerden, haben am Samstag begonnen, auf eine amicale Weise. Das war vielleicht ein Fehler." Die Verzögerung sei jedoch nicht "spielentscheidend".
"Keine gemeinsame Basis mehr"
Dass die ÖVP überhaupt mit der FPÖ koaliert habe, verteidigte Fischler. Es sei vorab nicht absehbar gewesen, wie sich die FPÖ verhalten würde. "Niemand hätte gedacht, dass sie dazu fähig sind". Kurz habe geglaubt, dass die jetzige Generation der FPÖ anders sei. Zudem habe es keine Alternativen gegeben. Mit der SPÖ habe man nach "Jahren des Stillstands" keine Möglichkeit der Koalition gesehen. Fischler sagte, bei den Neuwahlen solle seine Partei danach streben, dass "man diese Leute nicht mehr als Regierungspartner braucht". "In absehbarer Zeit gibt es keine gemeinsame Basis mehr. Das ist vorbei."
Misstrauensvotum gegen Kurz?
Am Abend war Österreichs Bundesregierung infolge der Video-Affäre um Vizekanzler Strache zerbrochen. Nachdem Bundeskanzler Kurz die Entlassung von Innenminister Kickl von der FPÖ gefordert hatte, machte dessen Partei ihre Drohung wahr und kündigte den Rückzug all ihrer Minister an. Ihre Posten sollen nun bis zur vorgezogenen Neuwahl im September mit Experten und Spitzenbeamten besetzt werden. Zudem muss Kurz sich voraussichtlich einem Misstrauensvotum des Parlaments stellen. Die oppositionelle Liste "Jetzt" kündigte einen entsprechenden Antrag an. Mehrere FPÖ-Politiker deuteten eine mögliche Unterstützung an.

Das Interview in voller Länge:
Jörg Münchenberg: Herr Fischler, ist das, was wir in Österreich derzeit erleben, schon eine Staatskrise?
Fischler: Das ist noch gerade nicht eine Staatskrise, aber es ist natürlich eine veritable Regierungskrise. Nur wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen, weil einige Oppositionsparteien und deren Sprecher angekündigt haben, dass sie einen Misstrauensantrag gegen den Bundeskanzler stellen werden. Und wenn dieser im Parlament durchginge, dann haben wir tatsächlich die Staatskrise, weil dann ist nach unserer Verfassung der Bundespräsident verpflichtet, die gesamte Regierung zu entlassen.
Münchenberg: Und dann kommt die Expertenregierung?
Fischler: Nicht automatisch. Es steht dann dem Bundespräsidenten frei, wen er nominiert als Nachfolger als Bundeskanzler, und mit diesem zusammen wird er dann die Liste der Minister zusammenstellen. Aber bei den gegebenen Verhältnissen ist es sehr wahrscheinlich, dass das dann eine Expertenregierung wäre.
"Verzögerungen sind verständlich"
Münchenberg: Herr Fischler, warum hat der Kanzler Sebastian Kurz so lange gezögert, den Innenminister Kickl von der FPÖ abzusetzen? Denn der Innenminister spielt ja bei der Aufklärung dieser Ibiza-Affäre eine zentrale Rolle.
Fischler: Na ja. Ich glaube, der Bundeskanzler hat gedacht, dass es ihm gelingen würde, den Herrn Kickl davon zu überzeugen, dass es besser wäre, dass er freiwillig geht, und da hat es ja mehrere Versuche gegeben, ihn davon zu überzeugen. Aber letztendlich hat das zu nichts geführt, und dann hat er ja auch die Reißleine gezogen. Zusätzlich musste er sich natürlich auch im Vorfeld jeweils mit dem Bundespräsidenten und auch mit seinen eigenen Leuten absprechen. So gesehen sind diese Verzögerungen verständlich. Ob das etwas schneller gegangen wäre, ich glaube, das ist letztlich nicht spielentscheidend.
Münchenberg: Aber hätte der Kanzler nicht doch einfach viel früher reagieren müssen und den Innenminister absetzen müssen?
Fischler: Die Frage ist, was heißt viel früher.
Münchenberg: Die Krise hat ja am Samstag schon begonnen und es war ja klar, dass der Innenminister bei der Aufklärung und bei der Aufklärung dieser ganzen Vorwürfe gegen die FPÖ eine zentrale Rolle spielt.
Fischler: Na ja, das stimmt schon. Aber am Samstag haben ja auch die Bemühungen begonnen, den Herrn Kickl loszuwerden. Man wollte das auf eine quasi amicale Weise zunächst tun. Das war vielleicht ein Fehler. Sicher wäre es richtig gewesen, wenn er sofort ihm einfach den Stuhl vor die Tür gesetzt hätte. Nur man muss schon auch in dieser aufgeheizten Atmosphäre überlegen, ob das dann nicht auch wiederum zu Proteststürmen führen hätte können, dass sich dann das ganze Thema auf die Straße verlegt hätte. Eine gewisse Vorsicht, glaube ich, ist durchaus angebracht in dieser emotional schwierigen Situation.
"Eine Zeit lang hat das Regieren ganz gut funktioniert"
Münchenberg: Herr Fischler, der Kanzler steht jetzt nicht nur wegen seinem Krisenmanagement zunehmend in der Kritik. Kurz hat sehr lange zugeschaut. Es gab die ständigen Angriffe jetzt durch die FPÖ gegen den öffentlich-rechtlichen Sender ORF. Es gab das ständige Schüren von Ängsten und Vorurteilen gegen Flüchtlinge und Ausländer. Es gibt die Nähe zu Russland. Hätte der Bundeskanzler nicht schon viel früher die Reißleine ziehen müssen?
Fischler: Hinterher betrachtet ist man da immer klüger, weil dem steht entgegen, dass der Bundeskanzler und die Regierung ja auch etwas weiterbringen wollte, und die haben ja auch etwas weitergebracht.
Münchenberg: Zum Beispiel?
Fischler: Eine Zeit lang hat ja das Regieren ganz gut funktioniert.
Münchenberg: Zum Beispiel? Sie sagen, sie haben das Land vorangebracht. Wo würden Sie da Pluspunkte vermerken?
Fischler: Na ja. Es gibt eine ganze Reihe von gesetzlichen Maßnahmen, ob das jetzt im Bereich der Sozialversicherungen ist, ob das in der Vorbereitung der Steuerreform ist, ob das die Neuordnung in verschiedenen anderen sozialen Bereichen ist. Man kann nicht sagen, dass da nichts geschehen ist.
Münchenberg: Trotzdem: Die FPÖ steht schon lange in der Kritik. Bei der Hochzeitsfeier der Außenministerin kam der russische Präsident Putin, der gleichzeitig die Krim hat völkerrechtswidrig besetzen lassen. Es gibt einen Innenminister, der eine Razzia gegen den eigenen Geheimdienst initiiert hat. Das sind dann alles Bagatellen?
Fischler: Nein, das sind keine Bagatellen. Das können Sie mir jetzt nicht unterstellen. Sondern die Sache ist die: Man muss ja immer auch über die Alternativen nachdenken. Wenn die Zusammenarbeit mit der FPÖ schon viel früher zu Ende gegangen wäre, dann hätte das geheißen, man braucht einen anderen Koalitionspartner. Nachdem aber vorher jahrelang in Österreich Stillstand geherrscht hat in der Zusammenarbeit beziehungsweise nicht Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten mit den Sozialdemokraten ist diese Möglichkeit auch nicht offen gestanden. Es war eigentlich dann immer die Frage, wenn man dieses Verhältnis mit diesen Leuten beendet, dann muss es Neuwahlen geben. Dazu gibt es – und das sieht man jetzt ja auch – keine Alternative.
"Kurz wird Schrammen davontragen"
Münchenberg: Das heißt, Herr Fischler, Ihrer Einschätzung nach: Geht der Bundeskanzler ohne jede politische Schramme aus dieser Affäre hervor?
Fischler: Das ist sicher nicht der Fall. Aber er ist nicht, wie manche gerne glauben möchten, jetzt politisch tot. Schrammen wird er davontragen. Das ist überhaupt kein Zweifel.
Münchenberg: Auch diese Zusammenarbeit mit der FPÖ war aus Ihrer Sicht kein Fehler?
Fischler: "Kein Fehler" ist etwas extrem ausgedrückt. Unter den möglichen Alternativen, die die ÖVP nach der letzten Wahl zur Verfügung gehabt hat, war das wahrscheinlich eine logische Konsequenz, weil wie gesagt andere Zusammenarbeitsmöglichkeiten nicht bestanden haben und weil für eine Alleinregierung der Sieg der ÖVP bei der letzten Wahl nicht groß genug war.
Münchenberg: Nun hat der Bundeskanzler, Herr Fischler, ja offenkundig darauf spekuliert, er könne die Rechtspopulisten zähmen. Das ist gründlich gescheitert. War er zu naiv, jetzt im Rückblick?
Fischler: Ob das Naivität ist, das möchte ich ihm jetzt nicht gerade unterstellen. Aber er hat eigentlich geglaubt, dass diese jetzige Generation anders wäre. Das glaube ich schon, dass er das angenommen hat. Und da hat er sich getäuscht. Das ist überhaupt keine Frage. Da haben sich aber alle getäuscht in Österreich. Niemand hätte gedacht, vor einer Woche noch, zu was so Leute wie der Parteihauptmann der FPÖ und seine sogenannten Freunde fähig sind.
Münchenberg: Welche Konsequenzen, Herr Fischler, muss denn die ÖVP jetzt aus diesem mittlerweile ja zweiten gescheiterten Versuch ziehen, mit den Rechtspopulisten zusammen regieren zu wollen?
Fischler: Na ja. Ich glaube, die erste logische Konsequenz ist, dass man sagt, man muss in den Neuwahlen danach streben, dass man diese Leute wirklich nicht mehr braucht als Regierungspartner. Man muss hier neue Achsen schmieden und versuchen, eine neue Form der Koalition zustande zu bringen. Das ist meiner Meinung nach das Wichtigste.
Münchenberg: Eine jegliche Zusammenarbeit mit der FPÖ aus Ihrer Sicht in Zukunft vollkommen ausgeschlossen?
Fischler: Wissen Sie, in der Politik zu sagen, niemals und nie, da macht man dann häufig schlechte Erfahrungen. Aber ich sage mal so: Für absehbare Zeit sehe ich da keine gemeinsame Basis mehr. Das ist vorbei.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.