Fitness bei Kindern
Warum es zu wenig Schulsport gibt - und warum er so wichtig ist

Unterricht fällt aus, weil Hallen marode sind oder Lehrermangel herrscht: Der Schulsport ist in der Krise. Kinder bewegen sich zu wenig - ein Risiko für ihre Gesundheit. Außerdem vermiesen ihnen Noten oft den Spaß. Wie lässt sich gegensteuern?

    Vier Kinder mit Übergewicht stehen in einer Turnhalle auf einer Matte mit dem Rücken zum Betrachter. Ein Junge rechts hebt das rechte Bein nach hinten.
    Fällt Sportunterricht aus, trifft das Kinder aus sozial benachteiligten Familien besonders: Sie neigen stärker zu Übergewicht (picture-alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Kinder sind weniger fit als sie sein sollten. Rund 90 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Jungen erreichen die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlene Bewegungszeit von mindestens 60 Minuten am Tag nicht. Umso schwerer wiegt es, wenn Sportunterricht häufig ausfällt. Denn Sport und Bewegung sind elementar für Gesundheit, Konzentration und soziales Miteinander.
    Doch selbst wenn Unterricht stattfindet, mögen ihn viele Kinder nicht: zu viel Leistungsdruck, zu wenig Abwechslung. Dabei gibt es Konzepte, die mehr Bewegung in den Schulalltag bringen – und auch noch Spaß machen.

    Inhalt

    Warum steckt der Schulsport in der Krise?

    Die Kultusministerkonferenz empfiehlt „in der Regel drei Unterrichtsstunden“ Sport – wöchentlich. Die Realität sieht oft anders aus. Zum Beispiel in Berlin: Dort sind nur in einem Bezirk alle Sporthallen nutzbar. In den übrigen gibt es teils gravierende Einschränkungen. Baufälligkeit, Sanierungsstau oder Fremdnutzung führen dazu, dass Unterricht ausfällt oder lange Wege zu Ausweichhallen notwendig sind. Mitunter wird draußen Sport unterrichtet – auch im Winter, wie Landesschülersprecher Orcun Ilter berichtet. Sein Sportunterricht findet erst ab 18 Uhr statt, wegen der vielen anderen Klassen.
    Ein weiteres Beispiel: In Köln ergab eine Bestandsaufnahme, dass 80 Prozent der Sportstätten dort deutliche oder schwerwiegende Mängel aufweisen. In einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik gaben 59 Prozent der Kommunen an, dass der Investitionsrückstand bei Sporthallen „gravierend“ oder „nennenswert“ sei. Bei Hallenbädern sagten dies 62 Prozent. Auf 31 Milliarden Euro schätzt der Deutsche Olympische Sportbund den Sanierungsstau.
    Bauliche Defizite sind das eine, Lehrkräftemangel das andere Problem. Es falle deshalb viel Unterricht aus, betont der Sportwissenschaftler Daniel Möllenbeck. Er spricht von einer „Krise“ des Schulsports - und von einer „schleichenden Deprofessionalisierung“. Immer mehr Personal sei fachfremd und nicht so ausgebildet wie gewünscht.
    In der Regel fänden die im Lehrplan vorgesehenen Sportstunden statt, versicherten 2024 die meisten der 16 Kultusministerien der Länder auf Dlf-Anfrage. Man werde dem Lehrauftrag Erziehung durch und zum Sport gerecht. In welchem Umfang Sportunterricht jedoch ausfällt, wird von den einzelnen Bundesländern gar nicht separat erhoben.

    Was passiert, wenn sich Kinder zu wenig bewegen?

    Wie fit Kinder in Deutschland sind, dazu liegen nach Angaben der Sportmedizinerin Christine Joisten von der Deutschen Sporthochschule in Köln seit der Pandemie keine repräsentativen Daten vor. Es sei aber ein Trend der vergangenen zehn bis zwanzig Jahre, dass die klassischen Parameter für Fitness - Koordination und Ausdauer - deutlich abnähmen. Es werde 2025 wohl auch nicht besser werden.
    Ein Befund, den die Berliner Schulleiterin Karina Jehniche bestätigt: „Die Erstklässler, die wir einschulen, haben fast alle körperlich-motorische Defizite.“ Manche Kinder seien „noch nie“ eine längere Strecke gelaufen.
    Daten der HBSC-Studie („Health Behaviour in School-aged Children”) von 2022 zeigen: Lediglich ein Zehntel der Mädchen im Alter von 11 bis 15 Jahren und ein Fünftel der Jungen erreichten mindestens 60 Minuten Bewegung am Tag. Das empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In Deutschland liegt die Empfehlung höher: 180 Minuten im Grundschulalter, später 90 Minuten plus. 
    Das so genannte Bewegungs-Zeugnis 2022 attestierte Kindern und Jugendlichen in Deutschland eine 4 -.
    Dabei ist Bewegung entscheidend für die Gesundheit. Bereits Kinder und Jugendliche profitieren physisch und psychisch von sportlicher Aktivität, so die HBSC-Studie. Belegt sei der vorbeugende Effekt für chronische Erkrankungen wie Diabetes Typ II, Herzinfarkt und Darmkrebs. „Bewegte“ Kinder werden demnach mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zu „bewegten“ Erwachsenen.
    Kommt Schulsport zu kurz, trifft es besonders Heranwachsende aus sozial benachteiligten Familien: Sie haben häufiger Übergewicht und Adipositas. Die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) belegte das bereits vor der Covid-19-Pandemie: So lag die Häufigkeit für Übergewicht bei Mädchen zwischen 3 und 17 Jahren bei 15,3 Prozent. Mit niedrigem sozioökonomischen Status lag diese Zahl bei 27 Prozent. Übergewicht bedeutet demnach ein höheres Risiko zum Beispiel für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für geringere Lebensqualität und Mobbing.
    Die Sportmedizinerin Christine Joisten weist darüber hinaus auf die guten „Nebenwirkungen“ von Sport hin - wie das soziale Miteinander, bessere Konzentration und ein angenehmeres Klassenklima.

    Warum ist Sportunterricht bei vielen Kindern unbeliebt?

    Bewegung soll Spaß machen. Doch viele Kinder mögen Sportunterricht nicht sonderlich. Ein Grund dafür ist der Leistungsdruck. Aus einer Umfrage des Online-Reportermagazins „Krautreporter“ ging hervor: 80 Prozent derer, die Schulsport als belastend und in vielen Situationen sogar als beschämend und demütigend empfanden, haben auch später in ihrem Leben keine Freude an Sport und Bewegung. Das heißt auch: Sie leben weniger gesund.
    Christine Joisten von der Deutschen Sporthochschule Köln warnt vor zu viel Druck durch Noten. Es sei wichtig, auch die „Anstrengungsbereitschaft“ zu sehen. Zu lernen: Ich kann mich verbessern - und das ist auch etwas wert für meine Gesundheit, sei etwas sehr Wertvolles.
    Vielfach ist Unterricht noch an klassischen Sportarten orientiert, was ebenfalls nicht zur Beliebtheit beiträgt: Ballspiele, Geräteturnen und Leichtathletik stehen auf dem Lehrplan. Bock und Stufenbarren, Reck und Pferd, Laufen, Springen, Werfen, Stoßen, Liegestütze und Klimmzüge, Hangeln und Klettern - all das spielt weiter eine große Rolle. Doch manche Schülerinnen und Schüler wünschen sich, dass zum Beispiel auch einmal Tanzen möglich ist und Kreativität oder Choreografie bewertet werden.

    Wie ist mehr Bewegung in der Schule möglich?

    Bewegung, die im Schulalltag integriert ist: Dieses Konzept namens „Bewegte Schule“ gibt es bereits, zum Beispiel am Illtal-Gymnasium in Saarbrücken. Dort können die Schülerinnen und Schüler ihre „sportbewegte Pause“ in der Turnhalle verbringen. Sie spielen Ball oder tanzen auch mal zu Musik - und erfahren unmittelbar, wie sie sich danach im Unterricht besser konzentrieren können.
    Schüler, Eltern und Lehrkräfte haben sich dafür engagiert, dass es auf dem Schulhof Basketball-Körbe, Tore und eine Kletterwand gibt. Das Geld für Tischtennisplatten, Schläger, Bälle und andere Ausstattung stammt teils von Unternehmen, teils haben es die Kinder von ihren Eltern und Verwandten durch Sponsorenläufe „erlaufen“.
    Selbst im Unterricht gibt es Hand- und Beinübungen zur Auflockerung. Sportmedizinerin Joisten unterstreicht, wie nützlich das ist: Wenn es bei einem Sechs-Stunden-Schulvormittag nach jeder Unterrichtseinheit fünf Minuten Bewegungspause gäbe, wäre bereits die von der WHO empfohlene Zeit zur Hälfte integriert.
    In der Nachmittagsbetreuung könnten den Kindern darüber hinaus Sportarten nahegebracht werden, die im regulären Sportunterricht nicht stattfinden könnten. Es wäre „wunderbar“, so Joisten, wenn der Schulhof auch am Wochenende als Spiel- und Bewegungsort offen wäre. Auch Transportwege zur Schule hält sie für ein wichtiges Kriterium: Können die Kinder zu Fuß kommen oder mit dem Fahrrad?
    Bewegung müsse in der Schule gelebt und gelernt werden, betont die Medizinerin. So werde auch für spätere Eltern das Bewusstsein dafür geschärft, mit ihren Kindern aktiv zu sein.
    Denn eines sei auch klar: Es werde viel mehr Zeit im häuslichen und familiären Umfeld verbracht. Wichtig seien die Eltern als Rollenvorbilder.

    bth