Archiv

Fitnesshype
Der Körper als Visitenkarte

Im Park, im Studio oder in der Halle - überall schwitzende Menschen, die ihre Muskeln trainieren. Mehrmals die Woche. Stundenlang. Neun Millionen Deutsche betreiben Fitnesssport, joggen, schwimmen oder trainieren in einem der zahlreichen Fitness-Studios.

    Eine junge Frau trainiert im Park mit einer Kettlebell, einem runden gewicht aus Metall mit Griff.
    Beliebtes Trainings-Tool unter Fitnessbegeisterten: Die Kettlebell. (imago / Westend61)
    Die 25-jährige Johanna Oeser trainiert vier bis fünf mal die Woche - ungefähr drei Stunden am Tag: "Das kommt immer darauf an, wie ich es neben der Uni und der Arbeit schaffe. Ich habe einen eigenen Trainingsplan auf mich zugeschnitten und deswegen dauert es manchmal etwas länger."
    Es trainieren so viele Menschen wie nie zuvor. Die Fitnessbranche ist der am schnellsten wachsende Bereich im Sport in Deutschland. Eine Entwicklung, die die Sport Business Gruppe Deloitte um Fabian Menzel regelmäßig untersucht:
    "Die Fitnessbranche ist ein Wachstumsmarkt. In den letzten fünf Jahren konnte der Markt jährlich seine Mitgliederanzahl um 5,6 Prozent steigern."
    Vielen geht es dabei nicht mehr nur darum, gesund zu leben. Professor Michael Meuser von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie findet folgende Erklärung für das Phänomen: "Der fitte Körper ist inzwischen eine Anforderung geworden. Und zwar in dem Zusammenhang, dass man sagen kann, dass der Körper mehr und mehr zur Visitenkarte des Subjekts geworden ist. Diese Anforderungen, einen fitten, disziplinierten Körper zu präsentieren, ist im deutlichen Maße gewachsen."
    Im Trend: Selbstoptimierung
    Der Körper wird zum Ausstellungsstück. Er wird wie eine Skulptur bearbeitet, bis zur Perfektion. Michael Meuser beobachtet eine Tendenz der Selbstoptimierung und der Selbstdisziplinierung: "Dass also auch das einzelne Individuum immer mehr unter der Erwartung steht, über eine Optimierung des eigenen Körpers, eine Disziplinierung des eigenen Körpers seine Leistungsfähigkeit in der Gesellschaft zu demonstrieren. Dass es mehr und mehr die Einschätzung gibt: Jemand, der seinen eigenen Körper nicht unter Kontrolle hat, hat auch sein Leben nicht unter Kontrolle."
    Alleine in Deutschland gibt es mittlerweile über 8.000 Fitnessanlagen. Dazu gehören aber nicht mehr nur die klassischen Fitnessstudios. Der Markt wird überschwemmt von "Special Interest"-Anbietern, die mit einem Nischenprodukt eine bestimmte Zielgruppe ansprechen wollen. Freeletics, Bootcamp oder Crossfit – so heißen die neuen Programme, in denen das HIT-Training, das Hoch-Intensitäts-Training, angewandt wird. Das heißt: kurze, aber dafür intensive Trainingseinheiten. Meist sind sie anspruchsvoller, anstrengender und härter als ein normales Training. Für den Sportpsychologen Lothar Linz eine nachvollziehbare Entwicklung.
    "Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass wir in der Gesellschaft sehr stark propagieren, dass man besondere Dinge erleben muss, dass man kein langweiliges Leben möchte. So ist es eben auch im Fitnessbereich. Ins normale Fitnessstudio zu gehen ist schon nichts Besonderes mehr, und wenn ich irgendwo gegenüber anderen zeigen will, dass ich etwas Besonderes mache, dann muss ich auch ein entsprechendes Mittel wählen. Und dann ist Crossfit oder dergleichen in dem Moment attraktiv, weil ich wieder etwas zu erzählen habe, etwas darzustellen habe."
    Digitale Selbstdarstellung
    Weiter verstärkt wird der Körperkult durch die Fotos, die täglich über die Medien und besonders über soziale Netzwerke wie Facebook oder Instagram transportiert werden. Die digitale Selbstdarstellung gewinnt für Michael Meuser auch im Sport immer mehr an Bedeutung: "Man vergleicht die eigenen Werte mit den Werten der anderen und ist damit auch angehalten zu schauen, dass man die eigenen Werte immer weiter verbessert."
    Fitnesstraining wird für viele zu einer Daueraufgabe und hat einen hohen Stellenwert. Auch für Johanna Oeser: "Ich muss schon sagen, dass es fast an erster Stelle bei mir steht. Früher war Sport zum Ausgleich und zum fit werden da. Mittlerweile mache ich das, weil ich selbst sehen will, was ich alles erreichen kann, wie fit ich werden kann."
    Neben der Anstrengung, Muskelkater und dem hohen Zeitaufwand steht für Johanna Oeser aber auch vor allem eines im Vordergrund: Spaß an der Bewegung.