Uli Blumenthal: In der Arktis brennt es. Seit Wochen kommt es in Alaska und in Sibirien immer wieder zu Flächenbränden. Die Weltorganisation für Meteorologie WMO spricht von einem beispiellosen Ausmaß der Feuer. Dabei sind Brände innerhalb des Polarkreises nicht ungewöhnlich, sie gehören quasi zum natürlichen Kreislauf des Ökosystems Arktis. Ich bin telefonisch verbunden mit Dr. Stefan Kruse vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Potsdam. Herr Dr. Kruse, was ist das Besondere an den Bränden in diesem Jahr?
Stefan Kruse: In diesem Jahr ist das ganz Besondere, dass schon im Juni große Flächen brennen, und zwar zusätzlich viel größere Flächen als in den Jahren davor. Das kommt nun daher, dass es im letzten Jahr schon trocken und warm war, aber in diesem Jahr, besonders in Alaska, eine große Wärme- und Dürreperiode vorherrscht. Das bedeutet dann am Ende, dass die Oberfläche, die ja zumeist aus Torfböden, Moosen und anderen Pflanzen besteht, sehr früh trockenfällt und dann durch Blitze, die auch sehr häufig in der Region sind, und durch den Klimawandel, durch mehr Energie im System auch häufiger werden, dann ganz einfach entfachen, was dann, wenn es an vielen Orten gleichzeitig passiert, natürlich zu dieser unvorhergesehenen Situation führt, dass weite Landstriche, Hunderttausende von Hektar gerade brennen.
"Das Feuer taut noch viel tiefere Schichten auf"
Blumenthal: Was ist das Besondere, welche Nahrung findet das Feuer, um so ausdauernd und großflächig zu brennen?
Kruse: Die Oberfläche, also die weiten Teile der Arktis, sind durch Permafrostböden unterlegt. Das bedeutet, der Boden ist sehr kalt, und einige Teile, die nicht im Sommer auftauen, sind über mindestens zwei Jahre hinweg gefroren. Da sammelt sich natürlich über Jahre, auch wenn das System unproduktiv ist, eine große Menge an Kohlenstoff, also an Pflanzenresten an. Wenn die jetzt trockenfallen an der Oberfläche und dann austrocknen und in Brand geraten, können die einmal direkt durch das Feuer verbrannt werden und als CO2 in die Atmosphäre gelangen.
Aber das Feuer hat noch weitreichendere Auswirkungen, und zwar tauen noch viel tiefere Schichten dann auf, die dann entweder durch Bakterien oder andere Organismen abgebaut werden, also weiter CO2 in die Atmosphäre emittieren, oder aber dieser Effekt, dass sich die Landschaft regeneriert. Die kann wiederum Vegetationsschicht und Moosschicht ausbilden, sodass der Permafrost sich stabilisiert. Das ist aber ein Prozess, der über lange Jahrzehnte hinweg andauert, und da ist natürlich jetzt die Frage, wie schnell auch Feuer wiederkehren in der hohen Arktis.
Blumenthal: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, diese Feuer fressen sich quasi in die Torfschichten immer tiefer hinein.
Kruse: Ja, sofern sie aufgetaut sind. Die organische Auflageschicht ist ja der oberste Teil von den Böden. Es gibt in manchen Regionen 30 bis 40 Zentimeter dicke Torfschichten, aber andernorts gibt es meter- bis mehrere Hundert Meter dicke Torfschichten, die sich über Jahrhunderte oder eher Jahrzehntausende angehäuft haben. Der ist natürlich auch feucht und nass, das heißt, das Feuer kann jetzt aktiv nicht diese zehn Meter tief reinbrennen. Aber die Folge ist natürlich, im nächsten Jahr, wenn die Oberfläche schwarz ist von der Kohle, kann der Boden tiefer auftauen, und die Feuchtigkeit kann auch dann besser abgeführt werden, und dann fallen tiefere Schichten trocken, sodass auch weitere Feuer dann wiederum Nahrung finden.
"Zehn- bis 20-fache CO2-Emission"
Blumenthal: Kann man da eigentlich quantifizieren, wie viel Kohlendioxid bei solchen Feuern freigesetzt wird? Diese Torfschichten, die speichern ja CO2, und wenn das jetzt freigesetzt wird, welche Mengen gibt es da eigentlich bei diesen Bränden, die man jetzt 2019 untersucht hat?
Kruse: Es wurde über die aktuelle Situation - besonders im Juni 2019 wurden die CO2-Mengen, die emittiert wurden in den Bränden, quantifiziert. Das hat man in einem Vergleich zu den vorhergehenden ungefähr zwei Jahrzehnten aufgetragen, und da sieht man ganz deutlich, dass in diesem Jahr ungefähr 50 Millionen Tonnen CO2 schon durch die Feuer emittiert wurden, was im Vergleich zu den vorherigen Jahren ungefähr das 10- bis 20-Fache im Juni gewesen ist.
"Aufgetauter Permafrostboden kann zusammenfallen"
Blumenthal: Wir haben schon über Permafrostböden gesprochen – wie weit wird der Boden dann eigentlich aufgetaut durch diese Feuer?
Kruse: Die Situation ist so, dass der Permafrostboden in Nordamerika, also Alaska und Kanada, ein bisschen anders beschaffen ist als der Permafrostboden in der sibirischen Arktis. Die Böden in Nordamerika sind jetzt schon im Oberflächenbereich wärmer, das heißt um und bei minus ein bis zwei Grad nahe der Oberfläche, wohingegen in der sibirischen Arktis diese Böden bei ungefähr sechs bis acht Grad minus liegen. Das heißt jetzt also, wenn ein Feuer die Oberfläche verbrennt und die Oberfläche schwarz ist und damit mehr Sonnenlicht dann den Boden erwärmen kann, hat das zur Folge, dass dieser Boden sehr tief auftaut, und besonders tief halt in Nordamerika, wo die Böden eh schon ein bisschen wärmer sind. Wie lange das dauert, bis sozusagen sich wieder der normale Zustand eingestellt hat, also der Permafrostboden stabilisiert ist, das kann man nicht ganz genau sagen. Es dauert auf jeden Fall mehrere Jahrzehnte, bis sich wieder eine isolierende Moosschicht oben auf einer Permafrostoberfläche gebildet hat.
Was insgesamt in beiden Systemen natürlich zur Folge hat: Wenn Permafrostboden auftaut, heißt das, dass der auch zusammenfallen kann, sprich, das Eis, was darin enthalten ist, taut auf und fließt ab. Der Boden fällt zusammen, das heißt dann Thermokarst-Prozesse, und wenn man dann auch noch zusätzlich Infrastruktur in der Region hat, dann werden die davon ganz besonders stark betroffen in den Folgejahren.
"Rußpartikel beschleunigen das Abschmelzen der Eismassen"
Blumenthal: Gibt es auch noch andere Rückkopplungen dieser Prozesse? Man könnte sich vorstellen, Rauch und Ruß, die bedecken Wasser- und Schneegebiete und führen andererseits wieder zu einer stärkeren Erwärmung dann dieser Regionen.
Kruse: Ja, das ist halt auch ein Prozess, den man beobachten kann. Eine hellere Oberfläche grundsätzlich strahlt ja mehr Sonnenlicht zurück. Legt sich jetzt Staub oder andere dunklere Partikel auf zum Beispiel Eisschichten, Gletscher, dann kann natürlich das Sonnenlicht diese Flächen stärker erwärmen und schneller abtauen. Das heißt, man erwartet besonders in diesem Jahr, wenn so große Flächen brennen und viel Ruß und viele kleine Kohlepartikel auch in die Umgebung getragen werden, dass das wiederum auch das Abschmelzen der Eismassen beschleunigt.
"Wenn es weiterhin so warm bleibt, wird es auch mehr Feuer geben"
Blumenthal: Wenn man jetzt von so großen, ausgedehnten Flächenbränden in der Arktis spricht, kann man eine Prognose abgeben, wie es in den nächsten Jahren sein wird? Wird es mehr oder weniger Feuer geben, werden sie stärker oder nicht so stark wie jetzt 2019 sein?
Kruse: Die Entwicklung hat sich ja aktuell so gezeigt, dass besonders die Arktis in dem menschengemachten Klimawandel sich sehr stark erwärmt. Das heißt, das, was wir jetzt beobachten mit diesen langen Dürreperioden, die dann zur Folge haben, dass weite Landstriche noch mehr brennen, als sie es sonst tun, daraus kann man jetzt natürlich auch weiter in die Zukunft extrapolieren und sagen, ja, wenn es weiterhin so warm bleibt und sogar wärmer wird, wird es auch mehr Feuer geben. Aktuell zeigt es sich, es nimmt zu, es brennen mehr Flächen in den letzten Jahren, und das wird natürlich auch zur Folge haben, dass in Zukunft die Flächen weiterbrennen, da es nicht ersichtlich ist, dass unsere Aktionen jetzt innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu einer drastischen Reduzierung von CO2 führen.
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