Die weltberühmte "Landschaft mit der Flucht nach Ägypten": Pieter Bruegel hat sie auf dünne Platten aus Eichenholz gemalt. Maria und Josef fliehen mit dem Jesuskind vor Herodes. Mehr als 450 Jahre später erzählt der Street-Art-Künstler Piotr Szlachta die Geschichte auf seine Weise. Und dafür nutzt er gleich eine ganze Häuserwand, und zwar mitten im Brüsseler Marollenviertel.
Piotr Szlachta: "Es geht für mich um Migration. Die gab es immer schon, sie kennt keine Grenzen und keine Epochen. In meinem Bild wollen die Menschen ins vermeintliche Paradies, nach Europa, sie tragen hier Plastiktüten, sie werden von der Jungfrau Maria angelockt - mit einer virtuellen Karotte."
Links unten sticht die blaue Europafahne mit den goldenen Sternen heraus. Weiter oben, auf dem Berg, weist ein Menschenschmuggler den Weg. Er hat einen Spiegel in der Hand, der das Sonnenlicht reflektiert.
Piotr Szlachta: "Das Thema Migration ist sehr präsent in diesem Viertel. Das Thema verbindet alle, die hier leben, egal, woher sie kommen."
Bruegels Heimatviertel: bodenständig und von Einwanderern geprägt
Bruegel würde diese Idee bestimmt gefallen, ist Piotr Szlachta überzeugt. Tatsächlich hat der berühmte Maler damals hier gelebt, und hier ist er auch gestorben – in den Marollen. Dieses bodenständige und von Einwanderern aus aller Welt geprägte Arbeiter- und Künstlerviertel hat so gar nichts mit den Glaspalästen und Bürotürmen der EU zu tun. Dafür umso mehr mit dem prallen Leben. Und das hat schon damals Bruegel fasziniert.
Piotr Szlachta: "Bruegel hat die Straße gemalt, wie sie ist. Ungeschönte Szenen aus dem Alltag, ohne Pathos, das war sehr mutig. Für mich ist Bruegel Street Art im besten Sinne. Das Harte, das Raue, der Dreck, der Müll, das Verruchte, der tägliche Kampf ums kleine Glück, aber auch die pure Lebensfreude – all das gab es damals genauso wie heute."
Bruegel gilt als Chronist der Marollen, und deshalb haben Piotr und seine Freunde vom Künstlerkollektiv Farm Prod keine Sekunde gezögert, als die Stadt Brüssel ihnen den Auftrag gab, den Flämischen Maler buchstäblich nach Hause zu holen.
Guillaume Desmarets: "Das ist schon etwas Besonderes, wenn man bedenkt, dass Street Art, dass Graffiti noch vor 10, 15 Jahren keinerlei Renommee hatte – damals war das für viele eher Vandalismus als Kunst. Wir freuen uns jedenfalls, dass wir hier unsere eigenen Visionen von Bruegels Werken umsetzen konnten, mit einer aktuellen Prägung."
Ironische Brechung gesellschaftlicher Codes
Das Ergebnis: Ein schräger Rundgang durch die Marollen. So surreal wie Bruegels Kunst und so absurd wie Belgien, sagt Guillaume schmunzelnd. Kostenlose Kunst - auch für die, die noch nie ein Museum von innen gesehen haben. 14 Werke, an 14 Hauswänden, alle brechen sie ironisch die gesellschaftlichen Codes.
Aus Bruegels "Turmbau zu Babel" wird eine Apokalypse in düsterem Lila, die "Jäger im Schnee" werden zu Rattenfängern und versprühen rosafarbenes Gift, der "Gute Hirte" trägt nicht mehr den Mantel eines Schäfers, sondern einen bunten, afrikanischen Umhang, statt einem Schaf trägt er einen Fuchs – der viel zu schlau ist, um sich bekehren zu lassen...
In der Kapellenkirche soll Pieter Bruegel der Ältere beerdigt sein. Draußen, auf dem kleinen Platz vor der Kirche, ist er als Bronzefigur verewigt – lebensgroß. Hier sitzt der Alte Meister und malt für die Ewigkeit. Mit einem Äffchen auf der Schulter und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Was würde er wohl zur Street Art sagen?
Piotr Szlachta: "Ich glaube, er hätte Spaß mit unseren Ideen… wir müssten ihm ein bisschen was erklären, dass heutzutage eigentlich alles Kunst sein kann… Aber ich bin sicher, wir würden mit Bruegel das eine oder andere Bier trinken, hier in den Marollen. Ich glaube, der hat sehr gern einen drauf gemacht!"