Doris Simon: Die CDU in Baden-Württemberg hatte bis zuletzt auf ein Wunder gehofft, aber das blieb aus. Erwartungsgemäß hat gestern der 57-jährige Grüne Fritz Kuhn den Chefsessel in der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg erobert. Der Kandidat der CDU, FDP und der Freien Wähler, Sebastian Turner unterlag – sehr hart für die CDU. Stuttgart wählt also grün und damit wird ganz Baden-Württemberg politisch noch ein bisschen grüner, mit einer grün geführten Landesregierung und grün regierten Städten wie Freiburg und Tübingen, für die CDU wie gehört ein weiterer schlimmer Schlag im Südwesten, wo sie viele Jahrzehnte die Zügel fest in der Hand hatte.
Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Professor Hans-Georg Wehling von der Universität Tübingen. Herr Professor Wehling, erst mal guten Tag.
Hans-Georg Wehling: Ja, guten Morgen, Frau Simon.
Simon: Sie beobachten seit langem die Landes- und Kommunalpolitik in Baden-Württemberg. Was macht die CDU derzeit so falsch im Land, in Stuttgart, dass sie so abgewählt wird?
Wehling: Na ja, sie war zu lange selbstgewiss, weil sie eben seit Existenz des Landes oder fast seit Existenz des Landes, seit 58 Jahren, hier die Regierung und den Ministerpräsidenten stellt. In Stuttgart ist es nicht so lange, der erste Oberbürgermeister von Stuttgart war parteilos, und seit den 70er-Jahren haben wir hier eben keine grünen Bürgermeister – die gibt es ja erst seit 1980, die Grünen –, sondern eben CDU-Oberbürgermeister. Und das ist dann schon bemerkenswert, dass es dann gelungen ist, dass die Grünen hier eine Alternative auch für CDU-Anhänger darstellt.
Bis die Grünen kamen, bis die Grünen hier sich etabliert haben, gab es für die CDU, für bestimmte Wählerkreise – denken Sie an das katholische Oberschwaben oder an das katholische Südbaden – keine Alternative. SPD wählen und FDP wählen war für die nicht drin. Aber die wertkonservativen Grünen, die sind Fleisch vom Fleische der ehemaligen CDU-Anhänger, und das ist ihr großes Potenzial, das die Grünen hier haben, und man kann es eben nicht nur in Stuttgart sehen, sondern auch auf dem, was man als plattes Land bezeichnen würde, die von mir charakterisierten Gebiete. Auch da sind die Grünen langsam und sicher im Vormarsch, sagen wir mal, so ein Prozess pro Jahr, das sie der CDU abnehmen. Das ist eben das, wo der grüne Erfolg drauf beruht.
Sie sind besser angepasst an die Großstädte, an die dort vorhandenen urbanen Mittelschichten, und sie können aber gleichzeitig auch mit der Bevölkerung "draußen", die ja auch nicht mehr Landwirte sind, sondern dort haben sie in hohem Maße Hochtechnik, und da passen die Grünen mit ihrem wertkonservativen Profil sehr gut hin.
Simon: Jetzt hatte sich die CDU in der Großstadt Stuttgart ja wirklich angestrengt und keinen typischen Landes-Provinzpolitiker aufgestellt, sondern einen eher breit wählbaren Werbefachmann, Typ moderner Bürgerlicher. Warum wurde er trotzdem nicht gewählt?
Wehling: Zunächst, muss man mal sagen, war das kein schlechter Schachzug vom CDU-Kreisvorsitzenden Kaufmann, dass er so jemand mit diesem Profil nach Stuttgart geholt hat. Es war sonst auch wenig da, was man hätte präsentieren können. Aber ihn als Parteilosen zu präsentieren, das haute nicht so ganz hin. Das war ein Stück weit fadenscheinig. In einer Großstadt wie Stuttgart, immerhin die sechsgrößte Stadt in Deutschland, da brauchen sie die finanzielle und die organisatorische Unterstützung, die nur eine Partei liefern kann. Und wenn dann Turner noch einen Haufen von Fehlern begeht, wie beispielsweise nach der ersten Wahl vor 14 Tagen Angela Merkel zu holen und auch den früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel zu holen zur Unterstützung, dann wird das vollends offenbar.
Simon: Wieso war das ein Fehler?
Wehling: Weil er damit seine Parteilosigkeit nicht mehr für sich in Anspruch nehmen konnte. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist natürlich, dass man es gar nicht schätzt, wenn ein Kandidat einen Großkopferten holen muss. Dann sagt sich jeder, schafft der das nicht alleine, braucht der Mutti, braucht der den Großvater, der ihn dort unterstützt? Und man traut Kandidaten dann schon mehr Selbstbewusstsein zu, das man aber dadurch eigentlich verspielt.
Simon: Würden Sie sagen, dass das Problem Stuttgart für die CDU ein Problem Großstadt insgesamt für die CDU darstellt?
Wehling: Ja. Hier ist ja deutlich: Baden-Württemberg hat ja nur vier Städte, die mehr als 200.000 Einwohner haben. Das ist ganz anders als in Nordrhein-Westfalen. Und wenn jetzt die Hälfte davon, nämlich Stuttgart und Freiburg, einen grünen OB haben, dann ist das schon sehr, sehr deutlich. Und andere Städte wie Konstanz – das ist zwar jetzt vorbei – und Tübingen, die hatten eben auch grüne Oberbürgermeister. Das zeigt schon ganz deutlich, dass die CDU hier im Großstadtmilieu Schwierigkeiten hat. Sie muss sich dringend modernisieren, wenn sie mit den Grünen mithalten will.
Simon: Gibt es denn anders herum so was wie das baden-württembergische Erfolgsrezept für alle Grünen, nach dem Motto "je bürgerlicher desto wählbarer"? Oder passt das eben auch nur auf bestimmte Gegenden?
Wehling: Das stimmt sicher nur für bestimmte Gegenden. Man muss dort sehr flexibel sein. Die Grünen müssen sich hüten, allzu zentralistisch zu sein. In dem O-Ton, den Sie eben von Fritz Kuhn hatten, wurde das ja auch angesprochen. Wenn Sie Trittin in Berlin sehen, der hat ganz andere Vorstellungen, wie Grüne auszusehen haben. Für den gilt ja nur koalieren mit der SPD und niemandem sonst, und das will man hier in Baden-Württemberg nicht und das will man auch in anderen Ländern nicht, wenn ich etwa an Schleswig-Holstein denke. Da hat man das ja auch vor der Wahl zurückgewiesen, ausschließlich auf die SPD fixiert zu sein. Eigentlich verstehen sich hier in Baden-Württemberg CDU und Grüne ganz gut. Nur die CDU hat zur Zeit Personalmangel, und das ist, glaube ich, ein anderes großes Problem, was die CDU hier im Land hat.
Simon: Und das kann man wahrscheinlich auch nicht mit Importen von außen verbessern?
Wehling: Nein, da ist man empfindlich. Also es ist durchaus Potenzial da, aber noch wenig sichtbar. Da muss sich die CDU noch erheblich anstrengen.
Simon: Ganz herzlichen Dank für diese Informationen – das war der Politikwissenschaftler Professor Hans-Georg Wehling von der Universität in Tübingen. Schönen Tag, Herr Professor Wehling.
Wehling: Ja, Ihnen auch, Frau Simon.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Professor Hans-Georg Wehling von der Universität Tübingen. Herr Professor Wehling, erst mal guten Tag.
Hans-Georg Wehling: Ja, guten Morgen, Frau Simon.
Simon: Sie beobachten seit langem die Landes- und Kommunalpolitik in Baden-Württemberg. Was macht die CDU derzeit so falsch im Land, in Stuttgart, dass sie so abgewählt wird?
Wehling: Na ja, sie war zu lange selbstgewiss, weil sie eben seit Existenz des Landes oder fast seit Existenz des Landes, seit 58 Jahren, hier die Regierung und den Ministerpräsidenten stellt. In Stuttgart ist es nicht so lange, der erste Oberbürgermeister von Stuttgart war parteilos, und seit den 70er-Jahren haben wir hier eben keine grünen Bürgermeister – die gibt es ja erst seit 1980, die Grünen –, sondern eben CDU-Oberbürgermeister. Und das ist dann schon bemerkenswert, dass es dann gelungen ist, dass die Grünen hier eine Alternative auch für CDU-Anhänger darstellt.
Bis die Grünen kamen, bis die Grünen hier sich etabliert haben, gab es für die CDU, für bestimmte Wählerkreise – denken Sie an das katholische Oberschwaben oder an das katholische Südbaden – keine Alternative. SPD wählen und FDP wählen war für die nicht drin. Aber die wertkonservativen Grünen, die sind Fleisch vom Fleische der ehemaligen CDU-Anhänger, und das ist ihr großes Potenzial, das die Grünen hier haben, und man kann es eben nicht nur in Stuttgart sehen, sondern auch auf dem, was man als plattes Land bezeichnen würde, die von mir charakterisierten Gebiete. Auch da sind die Grünen langsam und sicher im Vormarsch, sagen wir mal, so ein Prozess pro Jahr, das sie der CDU abnehmen. Das ist eben das, wo der grüne Erfolg drauf beruht.
Sie sind besser angepasst an die Großstädte, an die dort vorhandenen urbanen Mittelschichten, und sie können aber gleichzeitig auch mit der Bevölkerung "draußen", die ja auch nicht mehr Landwirte sind, sondern dort haben sie in hohem Maße Hochtechnik, und da passen die Grünen mit ihrem wertkonservativen Profil sehr gut hin.
Simon: Jetzt hatte sich die CDU in der Großstadt Stuttgart ja wirklich angestrengt und keinen typischen Landes-Provinzpolitiker aufgestellt, sondern einen eher breit wählbaren Werbefachmann, Typ moderner Bürgerlicher. Warum wurde er trotzdem nicht gewählt?
Wehling: Zunächst, muss man mal sagen, war das kein schlechter Schachzug vom CDU-Kreisvorsitzenden Kaufmann, dass er so jemand mit diesem Profil nach Stuttgart geholt hat. Es war sonst auch wenig da, was man hätte präsentieren können. Aber ihn als Parteilosen zu präsentieren, das haute nicht so ganz hin. Das war ein Stück weit fadenscheinig. In einer Großstadt wie Stuttgart, immerhin die sechsgrößte Stadt in Deutschland, da brauchen sie die finanzielle und die organisatorische Unterstützung, die nur eine Partei liefern kann. Und wenn dann Turner noch einen Haufen von Fehlern begeht, wie beispielsweise nach der ersten Wahl vor 14 Tagen Angela Merkel zu holen und auch den früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel zu holen zur Unterstützung, dann wird das vollends offenbar.
Simon: Wieso war das ein Fehler?
Wehling: Weil er damit seine Parteilosigkeit nicht mehr für sich in Anspruch nehmen konnte. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist natürlich, dass man es gar nicht schätzt, wenn ein Kandidat einen Großkopferten holen muss. Dann sagt sich jeder, schafft der das nicht alleine, braucht der Mutti, braucht der den Großvater, der ihn dort unterstützt? Und man traut Kandidaten dann schon mehr Selbstbewusstsein zu, das man aber dadurch eigentlich verspielt.
Simon: Würden Sie sagen, dass das Problem Stuttgart für die CDU ein Problem Großstadt insgesamt für die CDU darstellt?
Wehling: Ja. Hier ist ja deutlich: Baden-Württemberg hat ja nur vier Städte, die mehr als 200.000 Einwohner haben. Das ist ganz anders als in Nordrhein-Westfalen. Und wenn jetzt die Hälfte davon, nämlich Stuttgart und Freiburg, einen grünen OB haben, dann ist das schon sehr, sehr deutlich. Und andere Städte wie Konstanz – das ist zwar jetzt vorbei – und Tübingen, die hatten eben auch grüne Oberbürgermeister. Das zeigt schon ganz deutlich, dass die CDU hier im Großstadtmilieu Schwierigkeiten hat. Sie muss sich dringend modernisieren, wenn sie mit den Grünen mithalten will.
Simon: Gibt es denn anders herum so was wie das baden-württembergische Erfolgsrezept für alle Grünen, nach dem Motto "je bürgerlicher desto wählbarer"? Oder passt das eben auch nur auf bestimmte Gegenden?
Wehling: Das stimmt sicher nur für bestimmte Gegenden. Man muss dort sehr flexibel sein. Die Grünen müssen sich hüten, allzu zentralistisch zu sein. In dem O-Ton, den Sie eben von Fritz Kuhn hatten, wurde das ja auch angesprochen. Wenn Sie Trittin in Berlin sehen, der hat ganz andere Vorstellungen, wie Grüne auszusehen haben. Für den gilt ja nur koalieren mit der SPD und niemandem sonst, und das will man hier in Baden-Württemberg nicht und das will man auch in anderen Ländern nicht, wenn ich etwa an Schleswig-Holstein denke. Da hat man das ja auch vor der Wahl zurückgewiesen, ausschließlich auf die SPD fixiert zu sein. Eigentlich verstehen sich hier in Baden-Württemberg CDU und Grüne ganz gut. Nur die CDU hat zur Zeit Personalmangel, und das ist, glaube ich, ein anderes großes Problem, was die CDU hier im Land hat.
Simon: Und das kann man wahrscheinlich auch nicht mit Importen von außen verbessern?
Wehling: Nein, da ist man empfindlich. Also es ist durchaus Potenzial da, aber noch wenig sichtbar. Da muss sich die CDU noch erheblich anstrengen.
Simon: Ganz herzlichen Dank für diese Informationen – das war der Politikwissenschaftler Professor Hans-Georg Wehling von der Universität in Tübingen. Schönen Tag, Herr Professor Wehling.
Wehling: Ja, Ihnen auch, Frau Simon.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.