"Das Herzogtum Schleswig – Teil des dänischen Gesamtstaats – Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Zeit, in der Hunger, Armut und Krankheit allgegenwärtig sind. In diese Welt wird Hans geboren – der Sohn eines Bauern…"
"Rummuseum" heißt der Bereich im Kellergeschoss des Flensburger Schifffahrtsmuseums, in dem Besucher in einer rund viertelstündigen Multimedia-Produktion die Gründung und den Aufstieg einer Flensburger Kaufmannsfamilie nachverfolgen können. Der Rum hat nicht nur die Familie – sondern im 18. und 19. Jahrhundert die ganze Hafenstadt wohlhabend gemacht.
Bis 1864 gehörte Flensburg zu Dänemark und war die drittgrößte Stadt des Königreichs. Viel Geld verdienten Kaufleute damals mit Produkten aus der Karibik – vor allem durch Zucker, der in Flensburg später zu Rum weiterverarbeitet wurde.
Die Jungferninseln liegen am östlichen Rand der Karibik und sind heute Territorium der USA. Die Vereinigten Staaten hatten die drei Hauptinseln St. Croix, St. John, St. Thomas 1917 Dänemark abgekauft. Die Inseln hatten bis dahin den Namen Dänisch-Westindien getragen und auch Flensburg viel Wohlstand gebracht. Dass dieser vor allem auf dem Einsatz von afrikanischen Sklaven beruhte, die unter elenden Bedingungen auf den Zuckerrohrplantagen schuften mussten, wird in dem Video im Schifffahrtsmuseum zumindest erwähnt:
"Das Rohr braucht mehr als ein Jahr zum Wachsen, dann ist es fünf bis sieben Zentimeter dick und muss von uns Sklaven gekappt werden. Am selben Tag bringen wir es zur Zuckermühle, ziehe es durch’s Weizenöl und pressen es aus. Das Zeug verdirbt im Handumdrehen. Was zurückbleibt ist die Melasse."
Thema Versklavung kam bisher zu kurz
Seit 2012 gibt es im Schifffahrtsmuseum sogar einen eigenen Ausstellungsbereich. Und doch komme das Thema Versklavung bisher zu kurz meint Museumsleiter Dr. Thomas Overdick. Er sagt: Flensburg aber auch Schleswig-Holstein insgesamt haben die Verstrickungen in die Kolonialgeschichte immer noch nicht aufgearbeitet.
"In Flensburg gibt es eine - ich sag mal - dominante Erzählung, die man mit der Überschrift Flensburg ist durch den Handel mit Dänisch-Westindien reich geworden. Das ist die Art und Weise, wie man bis heute mit dem Thema umgeht. Was natürlich auch ein Fakt ist: Wenn Sie heute durch die Stadt laufen, Sie sehen diese wunderbaren Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die repräsentieren diese Blütezeit, diese wirtschaftliche Blütezeit Flensburgs sehr, sehr augenfällig. Es manifestiert sich wirklich in der Architektur."
Auch wenn es heute nur noch zwei Rumhäuser gäbe habe Flensburg weiterhin das Image der "Rumstadt". Wie positiv dieses Kapitel besetzt sei zeige auch der Name des großen Flensburger Hafenfestes "Rumregatta", das jedes Jahr um Himmelfahrt stattfinde, sagt Overdick.
Doch mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes soll all dies nun hinterfragt werden. Im kommenden Jahr jährt sich zum 100. Mal der Verkauf der Jungferninseln durch Dänemark an die USA.
"Wir haben uns halt gefragt ob diese Geschichte nicht viel zu kurz erzählt wird. Denn was völlig ausgeblendet wird sind einfach die kolonialhistorischen Zusammenhänge, die überhaupt es Flensburg ermöglicht haben, diesen Status zu erreichen. Und was wir eben in diesem Projekt versuchen, ist tatsächlich das gesamte Bild in den Fokus zu nehmen, wirklich die historischen Zusammenhänge herauszuarbeiten. Einerseits: Unter welchen Bedingungen wurde Zucker produziert – und damit letztendlich auch der Rum. Also, das wir hier im Grunde über ein System von Zwangsarbeit reden, von dem System des transatlantischen Dreieckshandels, der einfach auf dem System der Sklaverei, auf der Verschleppung von Menschen aus Afrika in die Karibik oder auch die verschiedenen Amerikas basierte Prozess der Enthumanisierung von Menschen, Entwurzelung von Menschen, im Grunde etwas, was wir heute ohne Probleme als Menschenrechtsverletzung bezeichnen würden."
Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Afrikanern aus, die vor allem für die Arbeit auf den Zuckerrohrplantangen in der dänischen Karibikkolonie Westindien versklavt wurden. Dort herrschten drakonische Strafen: Folter, Amputationen, die Todesstrafe - all dies war auf den drei Hauptinseln an der Tagesordnung.
Besondere Unterstützung beim Forschungsprojekt erhofft man sich in Flensburg von Dr. Imani Tafari-Ama. Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin ist seit dem Frühjahr in Norddeutschland und wird für eineinhalb Jahre als Kuratorin mitarbeiten. Sie soll vor allem die europäische Geschichtsschreibung "aufbrechen". Tafari-Ama begrüßt diese Vorhaben:
"Die meisten Leute in meiner Heimatregion wäre sehr erstaunt darüber, dass so eine Initiative von europäischer Seite kommt. Denn wir haben ja schon seit Jahrzehnten an die Türen der Europäer gehämmert und uns für eine Übergangsjustiz stark gemacht. Doch darauf gab es keine Antwort. Im letzten Jahr kam der britische Premierminister David Cameron zu einem Staatsbesuch nach Jamaika. Er hielt eine Rede vor dem dortigen Parlament und bat uns höflich darum, unsere eigene Geschichte zu vergessen. Dabei gehörten Camerons Vorfahren doch zu den Plantagenbesitzern, die für ihren Landverlust entschädigt wurden."
Tafari-Ama wird nun forschen - auf den heutigen Jungferninseln aber auch in Ghana, wo die meisten Sklaven von damals herkamen. Und natürlich in Flensburg. Ihr Eindruck sei, dass die Leute hier und in Dänemark nur sehr wenig über die koloniale Vergangenheit wüssten. Und dann sagt sie mit Blick auf ein berühmtes dänisches Märchen
"Es gibt auch einen gewissen Widerstand dagegen, die Dinge beim Namen zu nennen. Als ob dieses Geheimnis die Wahrnehmung der Europäer und vor allem der Deutschen und Dänen ändern wurde. Denn sie haben sich große Mühe gegeben, dieses Familiengeheimnis so lange zu hüten. Und diese Psychologie finde ich sehr außergewöhnlich: Wenn man nicht merkt, dass man keine Kleider am Leibe trägt und alle um einen herum sagen, du bist nackt, dann ist es doch schon etwas besonderes sich hinzustellen und zu sagen: Also, ich bin ziemlich gut gekleidet!"
Flensburg war nicht am Sklavenhandel beteiligt, sagt Museumsleiter Thomas Overdick, denn dafür besaß Kopenhagen das Monopol. Doch sei diese Frage auch gar nicht entscheidend: Vielmehr gehe es darum, warum so lange das Bild von den ehrbaren Kaufleuten hochgehalten wurde, und damit ein höchst ungerechtes und menschenverachtendes System unterstützt wurde.
Eine Wanderausstellung soll entstehen
Ziel des Projektes ist die Erarbeitung einer Wanderausstellung - die möglichst auch auf den Jungferninseln und in Ghana gezeigt werden soll. Zudem soll zusammen mit dem dänischen Museum Sønderjylland in Apenrade und der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg eine Publikation entstehen.
All dies gehe in die richtige Richtung, sagt Martin Krieger, Professor für nordeuropäische Geschichte an der Uni Kiel. Wobei es gleichzeitig auch etwas bizarres habe, im nächsten Jahr den Verkauf der dänischen Karibikkolonie zu feiern:
" Also, man gibt etwas auf und erinnert daran, das macht man ja üblicherweise nicht. Das zeigt aber doch, wie wichtig das Thema ist. Und an diesen Jahrestag wird ja nicht nur erinnert in Flensburg, sondern auch in Dänemark. Ich finde das wichtig, weil es zeigt uns doch, dass Schleswig-Holstein schon vor Jahrhunderten Teil eines globalen Kolonialgeschäfts war und gerade über den Sklavenhandel auch mächtig Verantwortung aufgeladen hat. Und darüber muss man diskutieren. Es geht gar nicht so sehr darum, diese sicherlich spannende Geschichte von Zucker und Rum verklärend darzustellen, sondern es geht in erster Linie auch um Verantwortung: Also, wie stellen wir uns denn diesem Thema heute, welche Fragen richten wir an das Thema und wie stellen wir uns auch gegenüber den Gesellschaften in Afrika, auf deren Kosten Flensburg seinerzeit reich geworden ist."