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"Fliegender Holländer" mit Nazi-Tattoo

Er sollte die Geschichte vom ewigen, vom unerlösten Juden singen - und trägt selbst Symbole der NS-Ideologie am Körper. "Die Festspielleitung ist regelrecht entsetzt darüber und hat mit allem Nachdruck betont, dass das überhaupt nicht geht", sagt Peter Emmerich, Sprecher der Bayreuther Festspiele. Nikitin reiste ab. Eine neue Besetzung ist bereits gefunden.

Peter Emmerich im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Wir dachten schon, es würde unaufgeregt, dieses Jahr auf dem Grünen Hügel in Bayreuth, so ganz normal: eine Neuinszenierung, der Rest Repertoire. Nächsten Mittwoch ist Premiere mit der Neueinstudierung des "Fliegenden Holländer". Und dann das vor einer Stunde etwa. Es hätte gut die leitende Idee für eine Inszenierung sein könne: 38-jähriger russischer Bassbariton singt in Bayreuth die Geschichte vom ewigen, vom unerlösten Juden, mit jeder Menge einschlägiger Tattoos auf dem Oberkörper. Nein, das ist die Wirklichkeit! Wegen Tätowierungen mit Nazi-Symbolen hat Bassbariton Evgeny Nikitin, der eine Vergangenheit als Heavy-Metal-Schlagzeuger hat, seine Premiere in Bayreuth bei den Richard Wagner Festspielen abgesagt. Er singt nicht die Titelpartie im "Fliegenden Holländer" nächsten Mittwoch.

    - Ich habe Festspielsprecher Peter Emmerich gefragt,: Warum sagt der ab?

    Peter Emmerich: Nikitin hat offensichtlich eingesehen, dass seines Bleibens hier am Hügel nicht sein kann. Unter den Gegebenheiten und unter den Sichtbarkeiten, muss man sagen, die jetzt zutage getreten sind. Das sind Symbole entweder des Nationalsozialismus selbst, beziehungsweise sind Symbole, die in sehr enger Verbindung zur NS-Ideologie stehen: also Runen und Ähnliches in bestimmten Kombinationen.

    Köhler: Er sagt in einer Presseerklärung, dass er weiß, dass das Irritationen ausgelöst hat und dass das eine Jugendsünde war. Er hat sich aber nicht distanziert von diesen Symbolen, die ja allerlei bedeuten können. Sie können neonazistische Gesinnung ausdrücken, sie können Protestausdruck sein, sie können eine Jugendsünde sein. An einer Distanzierung fehlt es?

    Emmerich: Das ist richtig, das ist auch sehr bedauerlich. Die Festspielleitung hat mit ihm ein ausführliches, etwa halbstündiges Gespräch geführt darüber. Hat ihm versucht, auch klarzumachen, was das bedeutet, was überhaupt diese Symbolhaltigkeit, die er da am Körper trägt, aussagt und was sie insbesondere in Deutschland für eine Bedeutung hat und wie sie wahrgenommen wird. Im Nachgang dieses Gespräches hat er diese Erklärung abgegeben. Und die wird vonseiten der Festspiele so akzeptiert. Daraufhin ist er auch sogleich abgereist.

    Köhler: Sie sagen es: Er ist bereits abgereist. Aber Sie haben einen Ersatz schon gefunden für die Generalprobe heute Abend um 18 Uhr?

    Emmerich: Ja, das ist richtig – glücklicherweise. Ganz ohne Netz arbeiten die Festspiele selbstverständlich nicht, gerade in solch wichtigen, in den Hauptpartien. Und den "Fliegenden Holländer" heute Abend in der Generalprobe wird Attila Jun singen, ein Sänger, der in diesem Jahr bei den Festspielen unter anderem den Heerrufer im Lohengrin geben wird und jetzt innerhalb von wenigen Stunden eingesprungen ist.

    Köhler: Die Frist ist um. "Abermals verstrichen sind sieben Jahr", fällt mir da ein, singt der Holländer, was ja eine Hassgeschichte ist. Und das zu einer Zeit, wo auch noch in Bayreuth eine Ausstellung zur rassistischen Besetzungspolitik stattfindet. Das klingt fast wie ein riesiger PR-Coup, aber die Wirklichkeit ist viel dramatischer?

    Emmerich: Ja einen solchen PR-Coup, das könnte sich wirklich nur ein krankes Hirn ausdenken eigentlich. Die Wirklichkeit schlägt alle Fantasie hier und es ist natürlich eine Sache, die man sich nie hätte vorstellen können und auch bis gestern tatsächlich nicht wusste, denn niemand kontrolliert Körperbemalung, Tätowierungen oder ähnliche Dinge, die jemand trägt, die aber auf der Bühne nicht sichtbar sind.

    Köhler: Solche Prüfungen hat es noch nie gegeben und wird es künftig auch nicht geben, aufgrund dieses Falles jetzt?

    Emmerich: Nein, das kann man nicht machen. Man kann weder, sagen wir mal, die Gesinnung eines Sängers überprüfen und man kann auch nicht überprüfen, ob er jetzt irgendwelche Symbole am Leibe trägt, die man dann ohnehin nicht zu Gesicht bekommt. Was anderes ist, wenn er sie ausstellen würde auf der Bühne. Dann kann es sein, es ist Teil der Inszenierung, wenn es aufgemalt würde, aber wenn er sie sozusagen als Privatperson trägt, dann dürfte er sie nicht zeigen und dann wäre eben auch zu überlegen, wie geht man mit einem um, der so etwas trägt und sich davon nicht distanziert.

    Köhler: Letzte Frage: Wie reagiert Regisseur Gloger, das Ensemble und auch die Festspielleitung?

    Emmerich: Ja, das ist eigentlich sehr einhellig, kann man sagen. Regisseur Jan Philipp Gloger ist natürlich tief enttäuscht, dass er auch auf Nachfrage, ob es sich denn um ein Hakenkreuz handele, ob er jemals ein solches getragen habe, ihm mit "Nein!" geantwortet wurde und es sich dann doch herausstellte, dass dem so war und ist. Und die Festspielleitung ist regelrecht entsetzt darüber und hat mit allem Nachdruck betont, dass das überhaupt nicht geht. Dass man das in Bayreuth nicht machen kann, woanders natürlich genauso wenig, aber dass natürlich Bayreuth als ein besonderer Ort, der durch die Geschichte ohnehin sehr stark kontaminiert ist, das schon gar nicht in irgendeiner Weise hinnehmen kann. Und das war ganz unmissverständlich, denn alles nationalsozialistische Gedankengut, das lehnt die Festspielleitung selbstverständlich ab. Und das mit allem Nachdruck und da gibt es dann auch Konsequenzen. Wobei sie ihn nicht etwa entlassen hat oder gekündigt hat, sondern sie hat das, was er geschrieben hat, was von sich aus kam, akzeptiert.

    Köhler: ..., sagt Peter Emmerich heute Nachmittag, der Sprecher der Bayreuther Festspiele, der Richard Wagner Festspiele in Bayreuth, zur Absage des 38-jährigen russischen Bassbariton, der nicht die Eröffnungspremier des "Fliegenden Holländer" singen wird aufgrund von Nazi-Symbolen und Tatoos auf seinem Oberkörper.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Peter Emmerich, Sprecher der Bayreuther Festspiele
    Peter Emmerich, Sprecher der Bayreuther Festspiele (picture alliance / dpa)