Wenn man vor ihr steht, im Pariser Louvre, dann ist sie vor allem klein und ziemlich unnahbar. Nur 77 Zentimeter hoch und 53 breit ist die Mona Lisa. Aber für die Kunstgeschichte ist sie eine ganz Große. Giorgio Vasari, dessen Lebensbeschreibungen von Künstlern berühmt sind, kam schon Mitte des 16. Jahrhunderts ins Schwärmen:
"Auf diesem Angesicht aber spielte ein so liebliches Lächeln, dass es eher himmlischer als irdischer Natur zu sein schien. Und das Bildnis wurde wegen seiner Lebenswahrheit als etwas ganz Wunderbares gepriesen."
Napoleon hat sich dieses Bild in sein Schlafzimmer gehängt, um es in Ruhe betrachten zu können. Das ist Normalsterblichen heutzutage nicht vergönnt. Der Andrang derer, die sie sehen wollen, ist groß. Tausende schieben sich Tag für Tag durch die Säle auf dem Weg zu ihr. Denn die Mona Lisa ist eine Ikone – das wahrscheinlich berühmteste Gemälde der Welt.
"Diese Vieldeutigkeit, dieses Lächeln, das sich gerade andeutet, hat die Zeitgenossen fasziniert. Stellen wir uns das Bild in einem Salon vor, mit natürlichem Licht - das Kerzenlicht flackert. Man kann sich vorstellen, dass man sich da fragt: Bewegt sich die Frau? Beginnt sie zu lächeln?"
Josephine Rogers Mariotti ist Kunsthistorikerin. Sie lebt in Florenz und ist Expertin für die Florentiner Renaissance. Das Bild der Mona Lisa umgibt etwas Mystisches, sagt man, und das liegt nicht nur an ihrem sagenumwobenen Lächeln. Das hängt auch mit der Geschichte dieses Bildes zusammen.
Stoff für Legenden
Vieles ist rätselhaft, war und ist Stoff für Legenden. Leonardo da Vinci, dieses Universalgenie, hat selbst vieles im Dunkeln gelassen. Wahrscheinlich hat er im Jahr 1503 begonnen, das Bild zu malen. Wahrscheinlich reiste es mit ihm von Mailand über Florenz bis nach Frankreich. Kurz vor seinem Tod 1519 in Frankreich soll Leonardo das Bild dem französischen König verkauft haben. Es hing im Schloss Amboise, in Fontainbleau und Versailles. Aber vor allem ist die Mona Lisa ein Wendepunkt in der Kunstgeschichte:
"Leonardo ist der erste, der praktisch das Unsichtbare malt, dieses gewisse Etwas, das den Unterschied zwischen lebendig und nicht-lebendig ausmacht. Das ist die besondere Leistung Leonardos. Es ist eigentlich ein ganz gewöhnliches Bild. Er verwandelt es aber in ein Erinnerungsbild, in ein Phänomen des wirklichen Lebens."
Lisa Gherardini del Giocondo war das Modell für das Bild der Mona Lisa: Davon sind heute die meisten Kunsthistoriker überzeugt. Einen entscheidenden Beweis hat ein Dokument geliefert, das erst vor ein paar Jahren in der Bibliothek der Universität Heidelberg entdeckt wurde: Die handschriftliche Notiz eines Florentiner Kanzleibeamten, der notiert, dass Francesco del Giocondo ein Porträt seiner Frau in Auftrag gegeben hat.
Aber wer war die Mona Lisa? In der Via della Stufa in Florenz bezog die Familie del Giocondo 1503 einen neuen Palazzo. Es heißt, Francesco del Giocondo, der Tuchhändler war, habe das Porträt seiner Frau wegen des neuen Heims und der Geburt eines weiteren Kindes in Auftrag gegeben. Fünf Kinder hatten die beiden insgesamt. Lisa war schon die dritte Ehefrau von Francesco, die ersten beiden waren früh im Kindbett gestorben. Als Francesco und Lisa heirateten, war sie erst 15, er war mit 30 schon doppelt so alt. "Mona Lisa war sehr schön", schreibt Vasari. Als das Bild in Auftrag ging, war sie Anfang 20.
Sie kam aus der wohlhabenden Familie Gherardini – manche sprechen von einer Liebesheirat. Aber das ist wohl Spekulation. Um Lisa Gherardini del Giocondo gibt es noch viele Rätsel. Die Versuche, sie zu lösen, sind zu einer Art Schatzsuche geworden. Und das liegt vor allem an Silvano Vinceti.
Man kann ihn am Bahnhof in Reggio Emilia treffen. Vinceti wohnt in der Nähe. Er sieht etwas kauzig aus mit seinem weißem Vollbart; ständig raucht er selbstgedrehte Zigaretten. Er erinnert eher an einen gealterten Indiana Jones als an einen beharrlichen Forscher, der viel Zeit in Bibliotheken und Archiven verbracht hat. Das Rätsel der Mona Lisa treibt ihn schon seit ein paar Jahren um. Die Geschichte fasziniert ihn.
"Verrückt, wahnsinnig, ein Abenteuer der Wissenschaft. Aber wie es in der Geschichte der Forschungsentdeckungen immer ist: Man braucht einen, der auch mit wenigen Erkenntnissen den Mut hat, Dinge anzupacken."
Und daran, wer das ist, lässt er keinen Zweifel. Immer wieder hat es Silvano Vinceti in den letzten Jahre geschafft, mit spektakulären Meldungen aus der Kunstgeschichte auf sich aufmerksam zu machen. Und natürlich interessieren ihn nur die großen, medienwirksamen Namen: 2010 hat er verkündet, die sterblichen Überreste von Caravaggio gefunden zu haben. Da man gerade den 400. Todestag des tragischen Malerfürsten beging, passte das gut.
Auch zur Mona Lisa hat Vinceti, der kein studierter Wissenschaftler ist, natürlich so seine Theorien. Ein Rätsel, ein Geheimnis ist für ihn ein Schatz, der zu heben ist. Die Mona Lisa ist für seine Ambitionen ideal. Es gibt noch viele offene Fragen.
"Auch, weil viele Historiker in den letzten Jahrzehnten sehr fantasievolle Theorien über Mona Lisa entwickelt haben. Einige sind begründet, andere ähneln eher einem Roman als historischer Forschung."
Silvano Vinceti hat sich vorgenommen, ihr Grab zu finden.
Im Zentrum von Florenz, der Stadt, die so sehr vom Tourismus lebt, nur knapp 500 Meter nördlich vom weltberühmten Dom, liegt ein Ort, den die Geschichte vergessen hat.
Ruine des ehemaligen Kloster Sant'Orsola
Das ehemalige Kloster Sant'Orsola ist heute eine Ruine. Dem verfallenen Gebäude ist aber noch anzusehen, wie groß und bedeutend das Kloster einstmals war. Der Gebäudekomplex wurde auf einem halben Hektar errichtet.
Inzwischen sind die meisten Fenster von außen zugemauert. Die Eisentür, durch die man heute eintritt, ist der Eingang zu einer Baustelle und nicht das Tor eines früher prächtigen Klosters. Gianfranco Romandetti hat eine schwierige Aufgabe: Etwas aus Sant'Orsola, dieser Klosterruine, zu machen. Er arbeitet als Architekt für die Metropolregion Florenz. Zuerst musste er sich einen Überblick verschaffen:
"Alles, was man hier sieht, sind Bauarbeiten, die die Finanzpolizei in den 90er-Jahren vorgenommen hat. Sie wollte aus dem Komplex eine Kaserne machen. Am Anfang haben wir gedacht, es gibt gar nichts mehr vom Kloster. Die haben Tabula Rasa gemacht. Aber nein. Wir haben alles ziemlich vollständig vorgefunden."
Was immer man für vollständig hält. Die Guardia di Finanza hat, bevor sie in Sant'Orsola einziehen wollte, so ziemlich alles mit Stahlbeton überzogen. Im größten Innenhof hat sie ein riesiges, tiefes Loch graben lassen. Hier sollte eine Garage entstehen. Die Finanzpolizei zog aber nicht ein. In der Garage steht nun meterhoch das Wasser.
Den ersten großen Eingriff in die Klosteranlage gab es schon nach 1799, als Napoleon mit seinen Truppen in die Stadt einzog und das Kloster säkularisierte. Die Nonnen mussten ausziehen, alles wurde leer geräumt, auch die beiden Kirchen, die es hier gab. Nach 1810 wurde aus Sant'Orsola eine Tabakfabrik. Angeblich wurde hier die starke toskanische Zigarre erfunden.
Gianfranco Romandetti kann sich an der Geschichte dieses Klosters begeistern. Und das liegt auch an der Lisa Gherardini, der Mona Lisa. Schon seit etwa zehn Jahren weiß man, dass sie hier begraben worden ist. In der großen Kirche nebenan, San Lorenzo, wird das Archiv des alten Klosters aufbewahrt, unter anderem ein Sterbebuch aus dem 16. Jahrhundert. Ein Eintrag ist der Beweis:
"Lisa donna fu di francesco del giocondo morì addì 15 de luglio 1542 sotterrossi in Santa Orsola tolse tutto il capitolo."
Was in etwa so viel heißt wie:
"Lisa, die Frau von Francesco del Giocondo, starb am 15. Juli 1542 und wurde in Sant'Orsola begraben. Das gesamte Kloster hat sich darum gekümmert."
Grabungsarbeiten im Kloster
Gianfranco Romandetti, der Architekt, wusste also schon vor Beginn seiner Arbeit, dass er einen besonderen Ort vor sich hatte. Wo aber genau das Grab der Mona Lisa lag, blieb zunächst ein Rätsel – wie so vieles über die geheimnisvolle Frau.
"Wir haben mit der historisch dokumentierten Tatsache angefangen, dass sie hier in der älteren Klosterkirche 1542 begraben wurde. Mehr wussten wir zunächst nicht. Nicht einmal, wo die Kirche genau war. Durch die ersten Forschungen haben wir dann herausbekommen, wo die Kirche stand. Heute kann man von ihr nichts mehr sehen. Und dann haben wir angefangen, zu graben."
Wir, das war genauer gesagt, nicht etwa Gianfranco Romandetti und auch nicht Silvano Vinceti, der Schatzsucher, sondern das war Valeria d'Aquino. Die junge Frau ist eine gestandene Archäologin und hat einfach nur ihren Job gemacht. Oft, wenn in der Innenstadt von Florenz gebaut wird, ruft man sie, um zu prüfen, ob es im Untergrund etwas historisch Wertvolles gibt. So kam sie auch ins Kloster Sant'Orsola:
"Es gab den Wunsch, das archäologische Potenzial auf dem Gebiet des ehemaligen Klosters aus dem 14. Jahrhundert einzuschätzen. Das ist eine Prozedur, die in der Altstadt normal ist. Jedes Mal, wenn ein Bau oder Renovierungsprojekt beginnt, verlangt die Kulturbehörde ein archäologisches Gutachten."
Dass Sant'Orsola ein besonderes Kloster ist, mal ganz abgesehen von der Mona-Lisa-Geschichte, war ihr bekannt:
"In Florenz war es eines der wichtigsten Nonnenklöster, enorm groß. Die Nonnen, erst Benediktinerinnen und dann Franziskanerinnen, waren sehr aktiv. Sie haben Heilkräuter verkauft, sie führten eine Herberge, sie webten Stoffe und klöppelten Spitzen und verkauften sie. Im 15. und 16. Jahrhundert waren sie also ein wichtiger Bezugspunkt im Viertel."
Auch für Lisa Gherardini del Giocondo, die Mona Lisa. Lisa Gherardini und das Kloster Sant'Orsola - das war eine außergewöhnlich enge Verbindung. Es gibt Rechnungsbücher im Archiv des Klosters, die belegen, dass Lisa dort Einkäufe gemacht hat. "Acqua die Chiocciola" hat sie hier gekauft, einen Schneckensud, von dem man damals sagte, er sei gut für die Haut. Eine Spezialität der Klosterschwestern.
Und dann gab es noch ein familiäres Band. Marietta, eine der Töchter Lisas und Francescos, spürte eine religiöse Berufung. Sie wurde Nonne, zog 1521 ins Kloster und nahm den Namen Schwester Ludovica an. Josephine Rogers Mariotti hat das enge Band zwischen Lisa und dem Kloster erforscht:
"Das Kloster lag nahe an ihrem Zuhause. Die Via della Stufa, wo die Del Giocondos lebten, grenzt an Sant'Orsola an. Dadurch, dass Lisas Tochter ins Kloster eintrat, hatte sie ständigen Kontakt zu den Nonnen."
Für die Klosterschwestern war der Kontakt zur Familie del Giocondo durchaus lukrativ. Francesco spendete einen großen Betrag für den Bau einer zweiten Kirche innerhalb der Klostermauern und für die neue Sakristei. Die Tochter Marietta brachte, als sie ins Kloster einzog, ihre Aussteuer mit.
Weiteres Schicksal weitestgehend unbekannt
Über das weitere Schicksal der Mona Lisa ist nicht viel bekannt. Die Quellenlage ist dünn. 1539 stirbt ihr Mann Francesco mit 79 Jahren an der Pest. Vor seinem Tod hat er verfügt, dass seine Frau Lisa ihre Mitgift zurückbekommen soll. Lisa Gherardini zieht ins Kloster Sant'Orsola zu ihrer Tochter, wo sie drei Jahre später mit 62 Jahren stirbt.
Die Geschichte könnte hier zu Ende sein. Aber nicht, wenn Leute wie Silvano Vinceti im Spiel sind. Für den Wissenschaftsschatzsucher fängt die Geschichte nun erst an. Er will das Grab der Mona Lisa finden. Sein Traum ist, aus den Knochen der Mona Lisa ihre DNA zu entschlüsseln, um auch ihr Aussehen rekonstruieren zu können. Deshalb hat er sich auf Sant'Orsola gestürzt. Da, wo Kunsthistoriker und Archäologen gern im Verborgenen arbeiten, betreibt Vinceti sein Marketing. Dazu gehört die altbekannte Mischung aus zu lösendem Rätsel und vorgeblicher Seriosität:
"Wir kannten den Ort des Begräbnisses aufgrund historischer Forschungen. Wir haben mit nur wenigen Erkenntnissen begonnen, doch sie reichten, um die Forschungsarbeit zu rechtfertigen. Während der Arbeiten haben wir dann auch Glück gehabt."
Relativ wenige Gräber hätten die Archäologen in der ehemaligen Klosterkirche gefunden, erzählt Valeria D'Aquino. Während sie gruben, wartete die Presse aus aller Welt, ob die Knochen der Mona Lisa zutage kommen würden.
Münzenfund bei den Ausgrabungen
Valeria D'Aquino hat in der Erde auch Münzen gefunden, die verraten, wann die Kirche umgebaut wurde. Diese Grabung ist für sie ein einziger Glücksfall. Auch ohne Mona Lisa. Silvano Vinceti sieht das ganz anders. Er braucht als Ergebnis ihr Grab. Und wenn er die Untersuchungen der in der Klosterkirche gefundenen Gräber medial verkauft, klingt das so:
"Es blieb nur ein einziges Grab, das mit dem Tod der Gherardini in Verbindung gebracht werden konnte. Und das haben wir ja auch gefunden - mit hoher Wahrscheinlichkeit haben wir Lisa Gherardini gefunden."
Links in der ehemaligen Kirche soll es sein. Eine kleine Grabkammer befindet sich dort. Wenn das Grab der Mona Lisa in der Kirche sei, dann müsse es an dieser Stelle liegen, meint auch Valeria D'Aquino.
"Es ist die seitliche Grabstelle, die man in der Kirche sehen kann. Wir sind uns sicher, weil die anderen Grabstellen nicht aus dem 16. Jahrhundert sein können. Die acht anderen Grabstellen sind fast ein Jahrhundert älter."
"Ich bin mir ganz sicher, dass es ehr Grab ist. Denn alle Anzeichen, alle Ergebnisse sprechen dafür. Und auch der Teil, den die Rationalität nicht ans Licht bringen kann, diese Intuition, dieses Gefühl, das einem Kraft gibt, sagt mir: Das ist es! Wie oft passiert es, dass diese glückliche Intuition am Ende durch die nüchterne Forschung bestätigt wird."
Allerdings gibt es ein Problem. Das sieht bei aller Begeisterung auch Signor Venceti so. Mona Lisa war nach ihrem Tod nämlich nicht allein:
"In dieser Grabstellen haben wir die Reste von drei Begräbnissen gefunden und wenige Knochen einer vierten Person. Ich kann nicht sagen, ob unter den Knochen die von Lisa Gherardini sind. Es ist meiner Meinung nach aber auch nicht so wichtig, unbedingt den Fußknöchel von Lisa Gherardini zu finden."
Die Knochen, die Valeria D'Aquino in der Kirche gefunden hat, liegen jetzt in der Universität Ravenna. Schwer zu sagen, welche davon der Mona Lisa gehören. Als unter Napoleon das Kloster aufgelöst wurde, haben die Franziskanerinnen auch die Gräber in der Kirche gelehrt, um die Knochen in einem neuen Kloster noch einmal zu bestatten. Nicht alle Gräber haben sie gefunden, vieles ist durcheinander geraten.
Silvano Vinceti, der immer neue Geschichten braucht, träumt jedoch weiter von einem endgültigen Beweis, einem DNA-Vergleich. Es wird wohl ein Traum bleiben.
So hat die Mona Lisa, so hat ihre Familie del Giocondo ihr Geheimnis mit ins Grab genommen. Letzte Gewissheit wird es wahrscheinlich nie geben.