So hört sich die kalkuliert auf eine popkulturelle Oberfläche setzende Selbstbehauptung - oder sollte man sagen Erfindung - einer Generation aus dem Mund des damals 28- oder 29-jährigen Florian Illies an, der sich mit "Generation Golf. Eine Inspektion” im Jahr 2000 zum öffentlichkeitswirksamen Sprecher der zwischen 1965 und 1975 in der Bundesrepublik Geborenen erhob. Gezeichnet wird darin ein Bild von Nutella schleckenden Marktapologeten, deren prägendstes Erlebnis das ziellose und verletzungsfreie Herumkrabbeln im Kinderparadies von IKEA gewesen sein soll. Doch ganz so ziel- und harmlos kann der weitere Gang nicht gewesen sein. Immerhin hat Illies es zum Chef der Berliner Seiten der FAZ gebracht. Dass ein Manifest, in dem eine geradezu schon maniriert anmutende antiintellektuelle und dezidiert zur Schau getragene materialistische Haltung zum rühmlichen Gegenstand gemacht wird, zum Bestseller avanciert und sein irgendwie kreuzbraver Schreiber, ein Streber mit Neigung zum gebügelten Hemd, zum Starautor, das ist eine ernst zu nehmende gesellschaftliche Tatsache. Auch wenn es schwer fällt, einem rhetorisch systematisch im Unernsten schwebenden und raffiniert sich entziehenden Text tatsächlich ernsthaft zu begegnen. Doch Vorsicht: Auch das Unpolitische ist hier Kalkül, denn an politischen Aussagen ist im von Illies propagierten Diskurs kein Mangel.
Jetzt, drei Jahre später, ist ein Fortsetzungstext erschienen: "Generation Golf zwei”. Ein paar wesentliche Dinge haben sich verändert. Die Wirtschaftskrise meint es Ernst, auch mit Illies & Co. Die New Economy ist Vergangenheit und selbst Illies jetzt eine Ich-AG. Einst vom Autor als "vollwertige Generationsmitglieder” geadelte Chefs investitionswürdiger Start-Up-Unternehmen wie die Haffner-Brüder, sie stehen inzwischen vor Gericht. Und die Lebensweise einer Generation von angeblich nur auf Markenfetischismus gepolten Youngstern auf dem Prüfstand. Jetzt geht´s ans Eingemachte. Und schon wird ein Generationenkrieg heraufbeschworen. Auch Illies hat das ein oder andere zum Generationsverhältnis beizutragen. Schon in Band eins gibt es eine signifikante Stelle, die wegen ihrer ungewohnten Heftigkeit ins Auge fällt. Oskar Lafontaine wird da - Zitat - zur "Unperson” erklärt. Endlich war der letzte abgetreten, der tatsächlich noch "an Utopien und Ideale glaubte und nicht nur so tat”, ist da zu lesen. Und man freute sich, dass das lang angekündigte Ende der Geschichte nun offenbar auch in Deutschland eingetreten war. IKEA-Paradies for ever, hatte man, ganz posthistorisch gestimmt, frohlockt.
Wenig bis nichts analytisch Gescheites ist vom Autor in Teil zwei darüber zu erfahren, wie man der Geschichte denn nun ins Auge blickt. Aber was hat man auch erwartet von einer von ihrem Chronisten ins mediale Anerkennungsrennen geschickten Generation, die Immunitätsverhalten aller Art – immun gegen Erfahrung, Reflexion, Theorie, Leidenschaft, Eigensinn you name it - zu ihrer zentralen Eigenschaft erklärt. Interessant ist aber, wie der Generationskonflikt ins Spiel kommt. Eine neue Runde sei eingeläutet, heißt es an einer Stelle. Hatte der Autor bislang nämlich gedacht, besagter Konflikt sei ausgefallen, weil die Eltern in ihrem Verstehens- und Toleranzexzess jedwede Reibung verunmöglicht hatten, so werden jetzt eine paar tiefer liegende Dimensionen eines eben doch irgendwie konfliktiven Verhältnisses freigelegt. Wohl auch, weil es der Zeitgeist einer fürs Erste nicht mehr konsensuell operierenden Gesellschaft so verlangt. Aber auch, weil neoliberale Ideen jetzt auch hier zu Lande zum guten Ton gehören und die Generation Golf ja vielleicht doch noch politische Aufgaben wittert. Das könnte durchaus belebende Konsequenzen haben, wenn denn die Post-68er in ihrer ganzen Polyphonie in Erscheinung träten. Dass es kein Deutungsmonopol gibt, zeigt das Beispiel Mauerfall. Als Illies sich mit dem von Seiten der Sozielterngeneration gemachten Vorwurf konfrontiert sieht, selbst dieses emblematische Ereignis habe keine Politisierung ausgelöst, verteidigt er sich mit dem sonderbar verqueren Argument – Zitat – "dass wir in Sachen Nationalgefühl tatsächlich einen Knacks weghaben”. Aus einer anderen politischen Perspektive ist eben diese, jeder Form von Patriotismus oder Nationalismus abholde Haltung der wirklich große Gewinn der von Illies immer bloß verteufelten sozialdemokratischen Bildungspolitik. Aber wir haben es hier eben mit einem jungen Konservativen zu tun.
Am Ende setzt der Autor dann zum 68er Bashing ein: Besitzstandswahrer sind sie, mit ihnen ist kein Staat mehr zu machen in von Knappheit geplagten Zeiten. Nun, das ist nichts Neues. Die Herolde der neokonservativen Mitte müssten jetzt wohl selber einmal auf die Barrikaden steigen, heißt es. Nur zu! Aber auch das wird in gewohnt unpolitischer Attitüde gleich wieder verworfen. Zu guter Letzt wird der eigene Unernst, dem etwas Trojanisch-Pferdiges anhaftet, in einer Persiflage aufs Korn genommen und noch einmal die popkulturelle Karte gezogen. Man lacht kurz auf und legt das Buch beiseite. "Rette sich, wer kann, das Leben”, möchte man mit Jean-Luc Godard den Kindern von Golf und IKEA entgegen rufen. Und hofft, dass der Satz wenigstens bei einigen von ihnen nicht auf taube Ohren stößt.
Barbara Eisenmann war das über Florian Illies: "Generation Golf 2". Das im Karl Blessing Verlag erschienene Buch hat 256 Seiten und kostet 16,90 Euro.