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Fluch oder Segen?

Der Edelsteinmarkt erholt sich langsam von der Finanzkrise, die Preise für Rohdiamanten steigen wieder. Viele fürchten daher, Sierra Leone könnte erneut dem Fluch der teuren Steine erliegen. Dabei bräuchte das Land vor allem eins: Eine funktionierende Landwirtschaft.

Von Alexander Göbel |
    Abubakarr Dukri hatte einmal eine Kakaoplantage in einem Dorf im Osten von Sierra Leone, aber das ist lange her. Der Krieg hat ihm damals alles genommen. Seine Familie, sein Haus, sein Land. Und seitdem steht er bis zur Hüfte in einem Wasserloch der Kensay-Mine von Kono und macht den Rücken krumm. Wie die anderen Männer hier gräbt er nach Diamanten - mit Schaufel, Eimer und Sieb. Eine Knochenarbeit, die Abubakarr gerade so das Überleben sichert - Lohn gibt es keinen, schuften muss er für eine Schale Reis pro Tag.

    "Natürlich will ich wieder Farmer sein, aber keine Chance, wer hilft mir denn, aus den Minen rauszukommen - weißt Du - ein leerer Sack bleibt eben nicht stehen. Und deshalb suche ich weiter nach Diamanten. Auch wenn ich keine finde."

    Und wenn er doch einen Edelstein findet, muss er ihn beim Minenbesitzer abliefern - und bekommt vielleicht ein paar Leones dafür. Im Krieg waren die Diamanten eine blutige Währung, dann nutzten findige ausländische Konzerne die Übergangsphase, um Sierra Leones Regierung die Schürfkonzessionen für lächerliche Preise abzukaufen – nicht selten gegen kräftige Schmiergelder. Privatisierung und extreme Korruption haben dazu geführt, dass der Edelstein-Export nur noch zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes beträgt. Und doch ist das Land noch immer auf seine Bodenschätze angewiesen. Ein historischer Fehler, sagt Abu Brima vom Netzwerk für Gerechtigkeit und Entwicklung.
    "Wir haben uns von einem Wirtschaftssektor abhängig gemacht, den wir noch nicht einmal selbst managen und kontrollieren konnten – wir hatten keine Ahnung und taten das, was die ausländischen Konzerne uns diktierten. Wir haben anderen in die Hände gespielt, uns selbst in die Obhut der Ausbeuter begeben, das ist für mich die größte Schande. Aber so war’s."

    Deswegen ist auch Abubakarrs Freund Tom Yomah so wütend: Auch er hat genug davon, für einen Hungerlohn im lösungsmittelverseuchten Wasser zu stehen. Seinem Präsidenten Ernest Bai Koroma würde er das gerne ins Gesicht sagen. Er hat ihn gewählt, damit sich die Lage in Kono endlich verbessert. Geschehen ist nichts.

    "Ernest Bai Koroma, bitte hilf uns! Wir brauchen hier Landwirtschaft! Vergiss` die Diamanten. Sie sind ein Fluch! Wenn ich Saatgut bekomme und ein bisschen Land, dann pflanze ich hier morgen Reis, direkt auf der Diamantenmine. Nur mit Landwirtschaft kommen wir hier weiter!"
    Doch die Landwirtschaft liegt am Boden. Sierra Leone muss weiter teuren Reis aus China und Indien einführen, Palmöl aus Malaysia, Tomaten und Zwiebeln aus Holland. Gleichzeitig gibt es immer noch keine verarbeitende Industrie, um Maniokpulver herzustellen oder Saft aus Mangos, Orangen und Ananas, die an jeder Ecke wachsen. Handelsminister David Carew fürchtet, dass dringend nötige Investitionen in die Landwirtschaft ausbleiben und stattdessen das Geschäft mit den Diamanten sogar neuen Schwung bekommt. Denn der Edelsteinmarkt erholt sich langsam von der Finanzkrise, und die Preise für Rohdiamanten steigen wieder. Der Minister fürchtet, sein Land könnte erneut dem Fluch der teuren Steine erliegen.

    "Das ist traurig, aber wahr. Jeder kennt das Problem. Und trotzdem sitzen wir hier und tun nichts. Auf einer Prioritätenliste von eins bis zehn sollten die Diamanten gar keine Rolle mehr spielen. Es ist ein Weckruf an alle, die Diamanten zu vergessen und uns endlich auf das Wesentliche zu konzentrieren – damit dieses Land wieder zu einem gesunden Agrarstaat wird!"

    Trotz allem hofft David Carew auf den Tag, an dem Sierra Leone Reis exportiert - statt Diamanten, die niemanden wirklich satt machen und die in Westafrika eine so blutige Geschichte haben.