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Flucht in Hinterhöfe

Rumänien, das im kommenden Jahr in die EU will, wird für seine Minderheitengesetze im Ausland oft gelobt. Zu den Minderheiten im Land gehören auch Schwule und Lesben, die bis vor vier Jahren per Gesetz noch verfolgt wurden. Wer verdächtigt wurde, homosexuell zu sein, musste mehrere Jahre ins Gefängnis. Die Gesetzesänderung nutzt der homosexuellen Szene jedoch wenig, denn öffentlich zeigen darf sie sich dennoch nicht. Zu stark ist der Einfluss der orthodoxen Kirche. Annett Müller berichtet.

25.04.2006
    Jeden Samstag amüsiert sich Alina im Bukarester Tanzklub "Queens". Meist kommt die 27-Jährige mit ihrer Freundin hierhin, so auch heute. Verschmust halten sie sich eng umschlungen, so, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen. Der Tanzklub "Queens" ist der Treffpunkt für homosexuelle Paare. Er liegt im Stadtzentrum von Bukarest im Keller eines Hinterhofes. Kein Schild weißt auf das Tanzlokal hin, nur an den Türstehern kann man erkennen, dass es sich um eine Bar handelt - eine bewachte Insel, rund 70 Quadratmeter groß. Nur hier können Homosexuelle wie Alina und ihre Freundin öffentlich zeigen, was sie sind: ein lesbisches Liebespaar. Doch schon im Taxi auf dem Nachhauseweg wirken sie wie vertraute Freundinnen. Das müssen sie oft vortäuschen:

    "Wenn wir zum Beispiel im Park spazieren gehen, dann sehen wir auf den Bänken Liebespaare sitzen, die sich küssen, weil sie verliebt sind. So etwas dürften wir uns in der Öffentlichkeit nie erlauben. Und jedes Mal fragen wir uns: Warum dürfen es die anderen und wir nicht, obwohl wir uns doch auch lieben? Das ist ganz schön frustrierend."

    Alina und ihre Freundin Ileana führen seit Jahren ein Versteckspiel. Ihre wirklichen Namen wollen sie nicht nennen, weil weder Mutter noch Vater wissen, dass sie lesbisch sind. Sie fürchten, dass ihre Eltern denken wie die meisten Rumänen, dass Homosexuelle abnormal sind, wenn nicht gar psychisch krank. Diese feindliche Einstellung stammt aus der kommunistischen Regimezeit unter Nicolae Ceausescu, der politisch aber auch sexuell Andersdenkende foltern, ermorden oder ins Gefängnis stecken ließ. Seit Jahren ist die Diskriminierung von Homosexuellen in Rumänien per Gesetz verboten. Freiheit bedeutet das für sie aber noch lange nicht.

    Denn in Rumänien zählt wenig, was die politischen Gesetzgeber entscheiden, sondern vielmehr, was die orthodoxe Kirche predigt. Der Bibel schenkt man mehr Glauben. Die orthodoxe Kirche gilt als schärfster Kritiker der homosexuellen Szene. Eine Kritik, so sagt Kirchensprecher Costel Stoica, hinter der die Mehrheit des Volkes stehe:

    "Die Rumänen bewahren die Tradition der Familie und sie sind mit der liberalen Gesetzgebung für Homosexuelle nicht einverstanden. Ihre Sünden sollten sich im privaten und intimen Bereich abspielen. Aber wenn diese Sünde ausartet, öffentlich und damit zur Propaganda wird, dann ist das nicht in Ordnung."

    Dass die Kirche den Homosexuellen rät, ein Leben unter einer Tarnkappe zu führen, lässt die Szene im Niemandsland verschwinden. Offene Türen findet sie nur unter ihresgleichen, im "Queens"-Klub zum Beispiel, auf Internetseiten oder im Bukarester Hauptsitz von Accept, dem landesweit größten Schwulen- und Lesbenverband in Rumänien. Hier treffen sich regelmäßig ein Dutzend Frauen und Männer, um über ihre Alltagsprobleme zu reden.

    Der Verband hat im vergangenen Jahr zum ersten Mal für die Szene eine Love-Parade in Bukarest veranstaltet, in diesem Frühjahr folgt eine zweite. Sie soll dem Versteckspiel Kontra geben. Bei Accept weiß man, wie schwierig es ist, sich öffentlich zur Homosexualität zu bekennen. Viele haben Angst, ihren Job zu verlieren, von den Nachbarn verachtet oder von den Eltern verstoßen zu werden, sagt Accept-Chef Florin Buhuceanu.

    "Es gibt leider auch viele Fälle, dass Eltern ihre Kinder bedrängen zur Psychotherapie zu gehen, wenn nicht gar in eine psychiatrische Anstalt. Sie sollen damit von der Schande geheilt werden. Wir betreuen Jugendliche, die aus dem Elternhaus geworfen wurden, weil sie lesbisch oder schwul sind und die plötzlich mit nichts dastehen, kein Geld haben für eine eigene Wohnung, geschweige denn Geld für Essen oder um ihr Studium fortzusetzen."

    Auch Alina und ihre Freundin Ileana haben sich aus diesen Gründen ihren Eltern noch nicht offenbart. Ileana ist gerade mal 22 Jahre alt. Die junge Frau träumt von einem neuen Leben, ohne Angst, ohne Versteckspiel, deshalb will sie in diesem Jahr zur Love-Parade gehen. Sie wird damit viel riskieren, denn ihre Mutter könnte sie in den Fernsehnachrichten inmitten der Menge entdecken:

    "Sie hat mir gesagt, an dem Tag, an dem sie erfährt, dass ich lesbisch bin, wird sie mich vergessen. Dann soll ich meine Sachen packen und verschwinden. Sie will sich dann nicht mehr um mich kümmern, sondern sich nur noch für mich schämen."