Im Gebüsch hinter den Sanddünen von Calais verstecken afrikanische Flüchtlinge ein Schlauchboot und einen Außenbordmotor:
"Morgen wollen wir nach Großbritannien übersetzen und hoffen, dass die Polizei uns nicht erwischt", zieht einer der jungen Männer eine Reporterin des britischen Fernsehsenders Channel 4 ins Vertrauen.
Großbritannien sei das einzige Land, in dem die Menschenrechte respektiert würden und Rassismus nicht zu spüren sei, glaubt ein anderer.
Großbritannien, ein gelobtes Land
Wenn er da Mal nicht irrt. Immer wieder protestieren Menschen vor allem in Dover und Folkestone gegen die "Welle illegaler Einwanderung". Ihre Botschaft ist klar: Flüchtlinge sind nicht willkommen.
8.000 - mehr als vier Mal so viele wie 2019 - sind bisher in diesem Jahr über den Ärmelkanal nach England gelangt. Sehr viele von ihnen kamen in Schlauchbooten. Bridget Chapman vom "Kent Refugees Action Network":
"Das ist immer noch eine relative geringe Zahl. Es stört mich, wenn Menschen von einer Einwanderungskrise sprechen. Eine Krise ist es für die Menschen in den Schlauchbooten, aber nicht für uns als Land. Man kann nur im Land selbst Asyl beantragen. Und da wir eine Insel sind, müssen die Menschen irgendwie übers Wasser kommen: Entweder im Schlauchboot oder auf einem LKW. Das ist ein sehr gefährliches Unterfangen. Meine Organisation, das Kent-Flüchtlings-Netzwerk, verlangt von der Regierung, für diese Menschen legale und sichere Möglichkeiten der Einreise zu schaffen."
Daran denkt Priti Patel derzeit nicht. Die britische Innenministerin, deren Vorfahren aus Indien stammen und aus Kenia eingewandert sind, will vor allem eines: Den Zustrom stoppen. Sie sucht dafür den Schulterschluss mit Frankreich.
Investitionen in Radartechnik, doppelt soviel Polizei
Am Wochenende unterzeichnete sie ein neues Abkommen mit ihrem französischen Amtskollegen Gérald Darmanin:
"Die neuen Maßnahmen sehen vor, dass die Zahl der Polizisten auf den französischen Stränden verdoppelt und mehr in unterstützende Überwachungs- und Radartechnologie investiert wird."
31,4 Millionen Euro werden zusätzlich bereitgestellt für eine bessere Unterbringung der Flüchtlinge in Frankreich, vor allem aber, um den langgezogenen Küstenstreifen am Ärmelkanal zu überwachen.
Diese "militärisch–technologische Reaktion" sei schrecklich, sagt Clare Moseley von der Organisation "Care4Calais", es handele sich doch um ganz einfache Leute, die fürchterlich gelitten hätten und nur Asyl beantragen wollten.
Es ist wahrhaftig nicht die erste Vereinbarung der beiden Länder. Erst vor zwei Jahren unterzeichneten Präsident Macron und Premier May das Sandhurst-Abkommen zur gemeinsamen Kontrolle der Migration im Lichte des Brexits. Letzten Juli wurde die Zusammenarbeit beim Kampf gegen Menschenschmuggler verschärft. Innenministerin Priti Patel:
"Wir wissen, dass die französischen Behörden über 5000 Migranten davon abgehalten haben, ins Vereinigte Königreich zu reisen. Dank des Informationsaustausches konnten hunderte Personen festgenommen werden."
Risiko steigt im Herbst und Winter
Dennoch sind bis zuletzt fast 100 Flüchtlinge pro Woche auf Booten angestrandet – trotz des kalten Herbstwetters und der rauen See in der meistbefahrenen Schifffahrtstraße der Welt.
Gerade jetzt scheint das Risiko beim Versuch der Ärmelkanalüberquerung zu ertrinken allerdings besonders hoch. Anfang November starb ein kurdisch-iranisches Ehepaar mit seinen beiden kleinen Kindern. Die Dunkelziffer der Verstorbenen ist groß. Genaue Statistiken existieren nicht. Bekannt ist jedoch, dass seit 1999 ca. 300 Menschen ums Leben gekommen sind, die illegal von Frankreich nach Großbritannien wollten.
Verglichen mit den Zahlen im Mittelmeer erscheint das nicht viel. Der bevorstehende Brexit und die geplante Verschärfung der Asylbestimmung werden jedoch nicht zur Entspannung der Lage beitragen - im Gegenteil: Jetzt werden viele verzweifelte Menschen erst recht versuchen, irgendwie die weißen Klippen von Dover zu erreichen.