Wie ist die Situation der Flüchtlinge auf den Inseln?
Zwischen Januar und Mitte November sollen nach Informationen der "International Organisation for Migrants" (IOM) über 16.000 Menschen auf die Kanarischen Inseln gekommen sein - und weitere Boote kommen an. Das Auffanglager im Hafen der Hauptstadt von Gran Canaria ist überlastet. Untergebracht werden die Menschen teils in großen Zelten mit 30 bis 40 Personen. Dort müssen sie auf dem Boden schlafen, die hygienischen Bedingungen sind schlecht, berichtet Human Rights Watch. Ein anderer Teil der Geflüchteten wohnt in leerstehenden Hotels.
Wie ist der Umgang mit COVID-19?
Reporter und Menschenrechtsorganisationen berichten, dass alle Ankommenden sofort getestet werden. Allerdings gibt es unterschiedliche Aussagen darüber, ob infizierte Menschen tatsächlich isoliert werden. Human Rights Watch berichtet von Fällen, in denen zwei positiv getestete Frauen weiter in einem großen Zelt auf engstem Raum mit anderen Geflüchteten zusammen untergebracht waren.
Bericht de "International Organisation for Migrants" (IOM) zur Situation auf den Kanaren vom 16.11.2020
Bericht der Organisation Human Rights Watch (HRW) zur Situation auf den Kanaren vom 11.11.2020
Warum kommen jetzt mehr Menschen über die Atlantikroute?
Der Weg über den Atlantik ist eine Alternative zur Mittelmeerroute. Diese Route wird inzwischen viel stärker kontrolliert. Ein Grund dafür könnte unter anderem ein Abkommen zwischen der spanischen und der marokkanischen Regierung sein, über das keine Details bekannt sind, aber nach dem die Migration über den Mittelmeerweg deutlich abgenommen hat, wie Deutschlandfunk-Reporter Marc Dugge berichtet.
Aus welchen Ländern kommen die Geflüchteten?
Die Menschen, die die Kanaren ansteuern, kommen aus Marokko, dem Senegal, Guinea, der Elfenbeinküste oder Mali. Oft sind es junge Männer, die sich auf den Weg gemacht haben.
Was sind die Fluchtgründe?
Als Grund für den Anstieg der Flüchtlinge gibt die IOM nicht nur die Abschottung der Mittelmeerroute an. Nach Angaben der Organisation fliehen viele Menschen aus westafrikanischen Staaten unter anderem vor den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, vor Hunger, Klimawandel und der unsicheren Situation in der Sahelzone. Reporter berichten, dass besonders viele junge Männern unter den Flüchtlingen sowohl aus westafrikanischen Staaten als auch aus Marokko sind.
Vielfältige Gründe treiben die Menschen zur Flucht aus Marokko. Sie wollen einer aussichtslosen Zukunft entkommen, der Armut - sie fliehen aber auch wegen der weiterhin angespannten politischen Situation in ihrem Land. Denn trotz zahlreicher Proteste gibt es in Marokko massive Probleme durch Korruption.
Wie reagiert die spanische Regierung?
Die spanische Regierung hat ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik verschärft:
- Sie weigert sich, Menschen von den Kanaren aufs Festland zu lassen.
- Es wird deutlich rigoroser abgeschoben.
- Auf den Inseln sollen Gelände des Militärs geöffnet werden, um die Flüchtlinge dort unterzubringen.
- Die Regierung versucht kurzfristig, mit den Herkunftsländern eine Lösung zu finden und Abkommen zu schließen. Darum hat sie Diplomaten in die betroffenen Länder entsandt
Was sagen Menschenrechtler über die Situation?
Human Rights Watch (HRW) war eine der wenigen Menschenrechtsorganisationen, denen schon Anfang November Zutritt zu den Unterkünften gewährt wurde. Die Organisation kritisiert unter anderem mangelnde Hygiene in den Sammelunterkünften. Teilweise gebe es für 30 bis 40 Personen nur eine mobile Toilette, so die Beobachter.
Ein weiterer schwerer Vorwurf, den HRW erhebt: Die Polizei macht keinen Unterschied, woher die Geflüchteten kommen, und lässt offenbar alle sofort nach der Ankunft einen Ausweisungsbefehl unterschreiben.
Weiterhin heißt es im HRW-Bericht, dass es keinen Zugang zu Information und keine Aufklärung über Rechte gibt. Alle von HRW Befragten haben nach Aussage der Organisation eine Ausweisungsanordnung erhalten, oft "ohne klare Informationen in einer ihnen verständlichen Sprache oder ohne Zugang zu einem Anwalt".
Was sagen die Einwohner der Kanaren?
In einer Reportage kritisiert der Inselpräsident von Gran Canaria, Antonia Morales, die Asylpolitik der Europäischen Union. Sinngemäß sagt er, man wolle aus den Inseln Gefängnisinseln machen, um die Flüchtlinge abzuschrecken. Insgesamt ist die Solidarität groß. Reporter berichten jedoch, dass es deutlich mehr Vorbehalte gegen Geflüchtete aus Marokko gibt als gegen Geflüchtete aus westafrikanischen Staaten wie dem Senegal oder Mali.
Mit Informationen von Marc Dugge, Dunja Sadaqui, Human Rights Watch, "International Organisation for Migrants" (IOM) zusammengefasst von Cornelia Crumbach