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Flucht vor Elon Musk?
Deutsche Wissenschaftler in Sorge um Twitter

Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt: Twitter ist ein wichtiges Werkzeug für Wissenschaftler, auch aus Deutschland. Viele haben dort über Studien diskutiert, Ergebnisse auf schnellem Wege geteilt. Doch nach der Übernahme durch Elon Musk und den damit verbundenen Umwälzungen ist das jetzt bedroht.

Von Piotr Heller |
Collage eines Twitter-Spatzen auf einem Computerbildshirm, im Hintergrund ist der Schriftzug "What's happening" mehrfach untereinander zu sehen.
Twitter unter Musk - die Wissenschaftscommunity sieht ihren Austausch in Gefahr. (picture alliance / Geisler-Fotopress / John Nacion)
Letztes Jahr hat Jens Foell einen Kommentar bei Nature Human Behaviour geschrieben. Darin vergleicht er die Sozialen Medien mit einer Art virtuellen wissenschaftlichen Konferenz, an der jeder teilnehmen kann. Twitter spielt hier eine wichtige Rolle.
"Twitter hat sich zu einer sehr wertvollen Plattform für Wissenschaftlerinnen entwickelt. Viele Leute in der Forschung nehmen das, um auf ihre Paper hinzuweisen. Es ist auch viel Small Talk dabei, aber es hat sich einfach als Plattform herausgestellt, auf der sehr viel Wissenschaft diskutiert wird, was natürlich dann auch wiederum bei Journalismus und Politik angekommen ist.“

"Die Community auf Twitter ist stark bedroht"

Es geht um den wissenschaftlichen Austausch untereinander und mit der Öffentlichkeit. Jens Foell ist Teil dieser Community. Seinem Account @fMRI_guy folgen knapp 17.000 Nutzer. Als Neuropsychologe hat er selbst von diesem Austausch profitiert, sich etwa Tipps zu Laborequipment geholt. Inzwischen arbeitet er als Wissenschaftskommunikator.
Sieht er diese akademische Konferenz nun in Gefahr, wo Twitter durch Elon Musk übernommen wurde? „Ich würde sagen ja! Es kommt von mir einfach daher, dass das, was Twitter jetzt vorrangig ausmacht, ist die Community, die sich zusammengefunden hat. Und die ist eben ganz stark bedroht.“

Abschaffung des blauen Haken

Was die Übernahme genau für Twitter bedeuten wird, ist nicht ganz klar. Die Befürchtungen: Weil Elon Musk einen Teil der Leute gefeuert hat, die die Beiträge moderieren, könnten Hassrede und Bedrohungen zunehmen. Er hat das Verifikationssystem – also den blauen Haken – im Grunde abgeschafft. Dieses Kennzeichen vertrauenswürdiger Quellen fehlt nun und soll durch ein Bezahlmodell ersetzt werden. Jens Foell: „Ich mag es nicht, wenn Wissenschaftskommunikation elitär wird.“
Generell herrscht in der Wissenschaftscommunity Unsicherheit. Dem Haupt-Account der Max-Planck-Gesellschaft folgen 185 000 Nutzer. Die Gesellschaft sagt, sie verfolge die Übernahme „sehr kritisch“, wolle ihre Präsenz aber nicht aufgeben. Die Leibniz-Gemeinschaft mit knapp 60 000 Followern beobachtet die Situation ebenfalls und wartet ab. Sie hat einen blauen Haken, will dafür aber nicht bezahlen. Ähnlich handhabt es die Helmholtz-Gemeinschaft, die auf ihrem Hauptaccount knapp 90 000 Follower versammelt.

Twitter aber auch vorher schon mit Schwächen

Doch nicht alle Forscher halten das Netzwerk für ein geeignetes Medium, um Wissenschaft zu diskutieren. Etwa, weil die Länge einzelner Nachrichten auf 280 Zeichen begrenzt ist oder die Art und Weise, wie Antworten dargestellt werden, teilweise verwirrend, zum Beispiel die Physikerin Sabine Hossenfelder: „Was halt irgendwie für Wissenschaftskommunikation einfach schlecht ist. Und dann ist es auch diese komische Struktur von den Antworten.“
Sabine Hossenfelder ist hier nicht irgendwer. Sie hat 92 000 Follower auf Twitter. Sie ist zwar vor allem für ihren Youtube-Kanal bekannt, aber auch auf Twitter diskutiert sie über Dinge wie die Bellsche Ungleichung oder was Einstein dereinst wirklich mit der „spukhaften Fernwirkung“ meinte. Doch Twitter ist für sie nicht einzigartig: „Das hat man auf anderen Social Media Plattformen auch - zum Beispiel auf Facebook. Auf Facebook gibt es sehr viele aktive wissenschaftliche Communities.“  

Mastodon aktuell ein Ausweichort

Schon vor Musk habe Twitter Schwächen gehabt, sagt Hossenfelder. So sei die bisherige Verteilung der „Blauen Haken“ durchaus willkürlich gewesen. Die Erfahrung hat auch die Helmholtz-Gemeinschaft machen müssen: Nur acht von 18 ihrer deutschsprachigen Zentren mit Twitter-Account seien auf die Art verifiziert worden – obwohl sich alle darum bemüht hätten.
Helmholtz erwägt, verstärkt auf Mastodon auszuweichen – eine dezentrale Plattform. Aber noch hat sie gerade einmal etwas mehr als sieben Millionen aktiver Nutzer – zum Vergleich: Allein der Virologe Christian Dorsten hat eine Million Follower auf Twitter. Neuropsychologe und Wissenschaftskommunikator Jens Foell zu Mastodon: „Aufwind werden sie auf jeden Fall bekommen. Aber es ist die Frage, ob Twitter einzigartig war. Mastodon hat bestimmte Unterschiede zu Twitter, die bewusst gewollt sind und da kann ich noch nicht abschätzen, ob sie es besser oder schlechter machen.“
Die Übernahme durch Musk hat zumindest dazu beigetragen, dass diese virtuelle wissenschaftliche Konferenz sich ihrer eigenen Bedeutung bewusster geworden ist. Das zeigt nicht zuletzt ein Projekt der Initiative „OpenCheck“: Sie ruft Forscher auf, ihren Twitter-Account mit ihrer ORCID-ID zu verknüpfen – einer elektronische Identifizierungsnummer, mit der man sich im Wissenschaftsbetrieb ausweisen kann. Das Ziel ist, das komplexe soziale Geflecht zwischen Wissenschaftlern auf Twitter zu dokumentieren und es – sollte Twitter tatsächlich irgendwann untergehen – auch jenseits von dieser Plattform zu erhalten.