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Fluchthilfepreis
Illegale Heldentat

Im Sommer 2014 setzt sich Franziska Hagelstein in ihren VW-Bus und fährt nach Athen, um einen 14-jährigen afghanischen Jungen zu seinem Bruder nach Deutschland zu bringen. Legal ist diese Fluchthilfe nicht: Hagelstein wird in Bulgarien festgenommen und sitzt 32 Tage in Haft. Für ihren Mut wurde sie nun ausgezeichnet.

Von Alexander Budde |
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    Fluchthilfe endet an der bulgarischen Grenze: Der Junge wird im Auto von Franziska Hagelstein entdeckt. Beide werden inhaftiert. (picture alliance / dpa / Vassil Donev)
    Als der 14-jährige Ramesh Kuhestani aus Afghanistan auf dem Weg zu seinem Bruder nach Deutschland in Athen festsitzt, beschließt Franziska Hagelstein, ihm zu helfen. Die Grafikerin aus Hitzacker kennt bereits Rameshs älteren Bruder. Wie über 2 Millionen seiner Landsleute war Omid selbst aus dem kriegsversehrteb Afghanistan geflohen - der Hoffnung auf eine Zukunft wegen und mit wenig mehr als dem Segen seiner Eltern im Gepäck. Durch ihn erfährt Hagelstein von Ramesh und auch von den Gefahren, die dem jüngeren Bruder auf seiner Odyssee noch bevorstehen:
    "Die Jungs reisen in Radkästen von LKWs, verstecken sich irgendwo, binden sich unter Züge und fahren da stundenlang, tagelang unter Umständen, die können wir uns überhaupt nicht vorstellen – und da habe ich gedacht: OK. Ich fahre einfach los und hole ihn ab", erzählt Franziska Hagelstein.
    Tatsächlich türmen sich vor Ramesh nach monatelanger Flucht immer neue Hürden auf. Schon damals, im August 2014, schottet sich Europa mit immer höheren Zäunen ab.
    "Der einzige Hoffnung, die ich habe, war Franziska. Ja, ich bin stolz auf Franziska", sagt Ramesh Kuhestani.
    32 Tage sitzt Hagelstein in Bulgarien in Haft
    Im VW-Bulli bricht Franziska Hagelstein auf, tatsächlich gelingt es ihr, Ramesh aus Athen herauszuholen. Doch an der bulgarisch-rumänischen Grenze wird der Junge entdeckt. 32 Tage sitzt Hagelstein in bulgarischer Haft, eine Zelle ohne Tageslicht. Als traumatisch beschriebt sie ihre Erfahrungen in dem in vieler Hinsicht überforderten Land, das symbolhaft für Europas zynisches Grenzregime steht.
    Zurück in Deutschland setzt die verurteilte "Schleuserin" alle Hebel in Bewegung, um Ramesh legal nach Deutschland zu holen. Monate später schafft es der Junge, sich selbst über die so genannte Balkanroute bis Hitzacker durchzuschlagen. Franziska Hagelstein und ihr Mann nehmen Ramesh bei sich auf, den die Behörden schließlich als unbegleiteten minderjährigen Flüchtling anerkennen.
    Afghanistan gilt als sicheres Herkunftsland - zu unrecht?
    Der Preisverleihung in Hannover wohnen auch Bubujan und Edi Mohammed Kuhestani bei – die leiblichen Eltern und die drei jüngeren Geschwistern von Ramesh und Omid hatten viele Jahre als Illegale im Iran gelebt. Sicheren Anspruch auf ein Visum zum Nachzug zu ihrem minderjährigen Sohn in Deutschland hätten nur die Eltern, nicht aber die Geschwister gehabt.
    "Afghanistan ist ganz sicher kein sicheres Herkunftsland, da die letzte Runde des Krieges, die mit dem Sturz der Taliban eingeleitet wurde und die eigentlich den Krieg beenden sollte, auch schon wieder 15 Jahre dauert, die Taliban im letzten Jahr und auch in diesem Jahr Fortschritte erzielt haben in diesem Krieg, die westlichen Truppen zum großen Teil abgezogen worden sind – und all das wirkt sich jetzt auf das Leben der Afghanen aus. Und viele haben gesagt: Wir wissen nicht, ob wir zuhause überleben, wir verlassen das Land", sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network, ein unabhängiger Thinktank, der in Kabul und Berlin ansässig ist. Die Bundesregierung hat Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt.
    Franziska Hagelstein weiß nur "dass die Politiker in Afghanistan mit einer kugelsicheren Weste aus dem Hubschrauber steigen, in dem sicheren Herkunftsland. Und dass Jungen, wie Ramesh beispielsweise, wenn er n ach Afghanistan zurückgehen würde, er würde in den Krieg geschickt werden, entweder von der Regierung oder von den Taliban oder von irgend einer anderen Gruppe. Er würde vereinnahmt werden und könnte sich nicht dagegen wehren."
    Preis als Ermutigung fürs Anpacken
    Den Fluchthilfepreis versteht sie als Ermutigung, für all jene, die anpacken, sich zuständig fühlen - und nicht zusehen wollen, wie Menschen vor der eigenen Haustür zugrunde gehen:
    "Es ist mir auch ein Rätsel, wo der Punkt war, wo es sich gewendet hat und wo die Medien ja auch ganz doll, und auch die Politik, den Fokus eigentlich woandershin gerichtet hat: nämlich auf die Menschen, die aus der Enge des Herzens agieren und aus ihrer eigenen Angst auf die gucken, die wirklich in Not sind, und Angst davor haben, dass sie ihnen etwas wegnehmen könnten."
    Im Wendland, wo die Preisträgerin mit ihrer Familie lebt, soll ein Dorf für 300 Menschen entstehen – über alle Generationen und kulturellen Erfahrungen hinweg. Auch die Kuhestanis bringen sich dort ein. Im Dezember ist Baubeginn.