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Flüchtlinge am Eurotunnel
Spott über EU-Mittel für Großbritannien

Ein knappes Dutzend Menschen starben bisher bei dem Versuch, durch den Tunnel am Ärmelkanal nach Großbritannien zu gelangen. Nun macht die EU 2,5 Milliarden Euro locker, um Staaten wie Frankreich und Großbritannien zu unterstützen. In Sizilien, wo der Flüchtlingsandrang am Größten ist, erscheint das grotesk.

Von Karl Hoffmann |
    Täglich versuchen Hunderte Flüchtlinge, über die Grenze bei Calais zu gelangen.
    Täglich versuchen Hunderte Flüchtlinge, über die Grenze bei Calais zu gelangen. (Imago/ZUMA Press)
    Acht Monate lang irrte Shady Abdulrahman quer durch Europa. Nach seiner Flucht vor den Bomben in seinem Heimatdorf in Syrien landete er zunächst in der Türkei, von dort schaffte er es weiter durch die Balkanstaaten, durch Ungarn, Österreich und Deutschland, bis er schließlich Calais erreichte. 4.000 Kilometer Flucht. Er dachte, er sei nun praktisch am Ziel, 40 Kilometer vor England. Doch er war entsetzt.
    "Als ich in Calais ankam, konnte ich gar nicht fassen, was ich sah. Wie die Menschen hier hausen, was sie essen müssen. Das ist ja ganz furchtbar. Ich wollte noch am selben Tag irgendwie nach England weiterkommen. Bloß nicht hier bleiben."
    Der erste Versuch war ein Reinfall.
    "Am Tag nach meiner Ankunft ließ mich ein Schlepper mit noch 50 anderen Flüchtlingen in einen Laster steigen, der Zucker geladen hatte."
    Doch es gab eine bittere Überraschung: Der LKW fuhr nicht auf die Fähre nach England, sondern Richtung Belgien. Shady musste 50 Kilometer zu Fuß zurück nach Calais. Wo schon seit vielen Jahren Migranten vor allem aus dem Nahen Osten und Asien nach England übersetzen, entweder auf Lastwagen durch den Euro-Tunnel oder auf den Fähren, die den Ärmelkanal kreuzen. Shady Abdulrahman ist einer von 4.000 Migranten, die derzeit in Calais immer von neuem versuchen, nach England zu gelangen.
    Als sie jüngst zu Hunderten den Tunnel Richtung England stürmen wollten, gab es Hilferufe aus London und Paris. Europa solle helfen, um die Menschenflut zu stoppen. In Italien, wo alleine in diesem Jahr 90.000 Menschen anlandeten, gab es prompt beißende Kommentare. Bruno Caruso, Minister für Arbeit und Soziales in der sizilianischen Regionalregierung:
    "Wir könnten jetzt sagen: geteiltes Leid ist halbes Leid. Wir könnten jetzt mal richtig hämisch sein, aber damit ist letztlich auch niemandem geholfen. Immerhin geben auch die anderen Partner zu, dass die Immigration ein gesamteuropäisches Problem ist."
    Bissige Kommentare in der italienischen Presse
    Die rechte Tageszeitung "Il Giornale" brachte es auf den Punkt:
    "Solange Zigtausende von Flüchtlingen in Griechenland oder in Italien an Land gingen, wurden sie keinesfalls als gesamteuropäisches Problem betrachtet. Jetzt, wo sie wie ein Schwarm Calais heimsuchen, so der englische Premierminister David Cameron wörtlich, sind sie plötzliche ein globaler Notstand, den Paris und London angeblich nicht alleine lösen können."
    Und die unabhängige Tageszeitung "Il Fatto Quotidiano" kommentierte:
    "Es ist doch zum Lachen: Frankreich und England gehören mit insgesamt 130 Mio. Einwohnern zu den reichsten Ländern der Welt, Garanten der Demokratie und der Menschenrechte. Und sie schaffen es nicht, das Problem von 5.000 Menschen zu lösen, die an ihren Grenzen stehen."
    Probleme, die das wirtschaftlich schwächelnde Sizilien mit fünf Millionen Einwohnern und etwa 20.000 Immigranten nicht kennt, sagt stolz der Regionalminister Bruno Caruso.
    "Das verdanken wir wahrscheinlich vor allem der Tatsache, dass sich in Sizilien schon immer alles vermischt hat. Wir empfinden die Aufnahme von Menschen als etwas Natürliches, das es schon immer gegeben hat. Und nicht als Bedrohung oder Zwang. Die Menschenströme, die zu uns kamen, haben offenbar bei uns mehr Erfahrung und Sensibilität hinterlassen als bei den Menschen in anderen Ländern."
    Sizilien lag weit abseits von Shady Abdulrahmans Reiseroute. Er wollte unbedingt von Calais nach England und wäre um ein Haar gestorben. Der 32-jährige Syrer war auf das Dach der Zollstelle im Hafen geklettert. Von dort stürzte er neun Meter in die Tiefe.
    "Dabei brach ich mir beide Arme, die Nase, Zähne, meine Brille."
    Seit fünf Wochen nun liegt er im Krankenhaus, er muss gefüttert und gewaschen werden und wartet sehnlichst auf den Tag, an dem er entlassen wird. Er will nach London, auch wenn die Kontrollen noch so scharf sind, er werde es schon schaffen, sagt Shady.