Die Bilder von Flüchtlingen, die von griechischen Grenzschützern mit Tränengas oder Schlagstöcken davon abgehalten wurden, aus der Türkei in die EU zu gelangen, haben die vergangenen Tage bestimmt. Die Türkei erhebt Vorwürfe, Athen habe auch scharfe Munition eingesetzt. Griechenland weist das energisch zurück. Über die Krise an der EU-Außengrenze berieten gestern die EU-Innenminister.
Andrea Lindholz (CSU), die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, zeigte sich im Dlf-Interview offen für eine Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge. Dabei brauchten nicht alle Staaten den gleichen Beitrag zu leisten, sagte sie. Skeptisch äußerte sich Lindholz zur Initiative einiger Kommunen und Länder, die Kinder aus Flüchtlingslagern aufnehmen wollen.
Silvia Engels: Greifen wir die Beschlüsse der Innenminister auf. Die EU will Griechenland mit weiteren Grenzschützern unterstützen, außerdem mit bis zu 700 Millionen Euro an Griechenland zur Flüchtlingsaufnahme unterstützen. Genügt das?
Andrea Lindholz: Erst mal sind das gute und richtige Schritte. Es muss darum gehen, unseren Außengrenzenschutz zu sichern. Das ist ein wichtiges Zeichen, damit wir an unseren Binnengrenzen keine Maßnahmen einleiten müssen. Dass die Griechen da entsprechend unterstützt werden mit Geld und Personal und dass man da Ordnung schafft und zeigt, Europa sichert seine Außengrenzen, dass wir uns dann mit der Situation in Griechenland beschäftigen, das sind eigentlich genau die richtigen Schritte und über die bin ich auch sehr froh, und es ist wichtig, dass die EU hier geschlossen handelt. Das war das Allerwichtigste aus den letzten fünf Jahren, die Erkenntnis. Wir wissen alle, es geht nur gemeinsam.
Griechisches Vorgehen "in Ordnung"
Engels: Die harte Abriegelung der Grenze zur Türkei von Griechenland wurde beim Treffen der EU-Innenminister ausdrücklich gelobt. Die Weigerung Athens, im nächsten Monat Asylanträge anzunehmen, nannte Bundesinnenminister Seehofer "in Ordnung". Finden Sie das auch in Ordnung?
Lindholz: Ich teile die Auffassung von Horst Seehofer und auch den übrigen Innenministern, dass es wichtig ist zu zeigen, dass wir unsere Außengrenze schützen können und auch schützen werden, weil das ist auch im Verhältnis zur Türkei wichtig und zum EU-Türkei-Abkommen.
Zum zweiten: Griechenland steckt in einer besonderen Situation. Da muss man auch mal kurzfristig zu besonderen Maßnahmen greifen. Insofern finde ich das in Ordnung.
"Griechenland kann nicht parallel alles schultern"
Engels: Aber was entgegnen Sie Kritikern, die ja davor warnen, dass das europäische Asylrecht letztendlich unterminiert wird, wenn Griechenland einfach einen Monat lang keine Asylanträge mehr annimmt?
Lindholz: Es geht jetzt zunächst mal darum klarzumachen, dass die Menschen, die momentan von der Türkei nach Griechenland rein wollen, eigentlich keine Flüchtlinge im klassischen Sinne sind. Sie kommen nicht aus einem Kriegsgebiet. Das ist das eine und dann muss man einfach sehen, dass Griechenland hier nicht parallel alles schultern kann. Und wenn man da sagt, einen Monat lang hauen wir einen Stopp rein, um es mal auf gut Deutsch zu sagen, dann ist das nachvollziehbar und das ist auch in Ordnung.
Engels: Die EU-Innenminister wollen nun aber auch 160 Entscheider extra abstellen, um Griechenland bei der Bearbeitung von Asylanträgen zu helfen. Müsste es nicht so laufen und nicht über einen Stopp, wie Sie sagen?
Lindholz: Wir sehen doch, wie viele Menschen in Griechenland aktuell Asylanträge gestellt haben, und wir sehen, vor welchen Herausforderungen Griechenland steht. Wenn man jetzt sagt, wir kümmern uns jetzt mal vorrangig um die Sicherung der Außengrenze, danach um die Struktur und dann bearbeiten wir auch wieder Asylanträge – sie haben auch hier vier neue Kategorien gebildet -, dann ist das eine absolut richtige und nachvollziehbare Maßnahme bei der Flut an Themen und Aufgabenstellungen, die die Griechen gerade zu bewältigen haben, und ich finde, da haben sie auch mal unsere Solidarität und auch unser Verständnis verdient und nicht immer nur Kritik. Wir machen es uns hier "relativ leicht". Wir haben keine Außengrenzen.
"Wir haben immer gesagt, wir wollen die Griechen mehr unterstützen"
Engels: Darauf kommen wir zu sprechen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl fordert heute in der Zeitung "Die Welt", dass die Bundespolizei kurzfristig Griechenland bei der Grenzsicherung helfen sollte. Stimmen Sie einer solchen Idee zu? Dann wird es ja sehr konkret.
Lindholz: Wir haben schon zugesagt, dass wir, ich glaube, 25 Bundespolizisten nach Griechenland entsenden, und es wird auch eine Abfrage geben möglicherweise, welche Bundesländer noch bereit wären, auch Personal abzustellen, so wie auch alle anderen EU-Staaten angefragt werden, dass sie noch Personal zur Verfügung stellen. Wir haben immer gesagt, wir wollen die Griechen mehr unterstützen, durch Frontex-Aufstockungen auch die Griechen unterstützen, und es ist ein Teil, dass wir auch mit Personal helfen. Das gehört dazu. Frontex soll ja ohnehin aufgestockt werden.
Engels: Nun ist es so, dass das Vorgehen der griechischen Behörden an der Grenze mit Tränengas und Gummigeschossen von Flüchtlingsorganisationen und auch beispielsweise der Linken sehr hart kritisiert wird, die Frage gestellt wird, ob das mit europäischen Werten vereinbar ist. Soll dann auch die Frage, wie Grenzen gesichert werden, eine europäische Diskussion werden, wenn man auch deutsche Polizisten dorthin entsendet, oder werden die dann Athen unterstellt?
Lindholz: Nach der derzeitigen Rechtslage sind dann auch Frontex-Beamte, die zur Unterstützung dazu kommen und die auch schon unterstützen, auch Bundespolizisten den Griechen unterstellt. Das ist so, das ist die Rechtslage, und dass man gemeinsam den Grenzschutz betreibt, das gehört dann dazu. Wir haben noch nicht die Regelung, dass Frontex dann eigene Befugnisse hat.
Engels: Dann kommen wir noch auf ein anderes Thema zu sprechen. Frau Lindholz, Sie hatten im vergangenen Jahr ein Vorhaben von Ihrem Parteifreund, Bundesinnenminister Seehofer, kritisiert. Der verfolgte damals den Plan, per gemeinsamem Vorgehen williger EU-Staaten jeden vierten Bootsflüchtling im Rahmen der Seenotrettung in Deutschland aufzunehmen. Das wurde dann auch so umgesetzt. Nun gibt es ja die Diskussion, ein ähnliches Verfahren anzuwenden, um Flüchtlingskinder aus überfüllten Lagern aus griechischen Inseln zu holen. Was sagen Sie dazu?
Lindholz: Horst Seehofer vertritt zurecht schon seit langem die Auffassung, dass er sagt, wenn es eine Gemeinschaft der Willigen gibt, die unter klaren Voraussetzungen bereit ist, einem bestimmten Personenkreis zu helfen – und das sind insbesondere die Minderjährigen -, und wenn das eingebunden ist in eine europäische Lösung, dann ist Deutschland bereit, einen solchen Weg mitzugehen. Was wir nicht wollen und was auch Horst Seehofer nicht will ist, dass wir einen deutschen Alleingang vornehmen. Auch das halte ich für richtig.
Es kann nur eingebunden werden in eine gemeinsame Lösung. Das heißt jetzt nicht, dass alle Mitgliedsstaaten exakt den gleichen Beitrag leisten müssen. Das haben wir auch am Malta-Abkommen gesehen, das sich bezogen hat auf die Personen, die mit Schiffen an Land gekommen sind in Italien, um den Italienern zu helfen.
Wenn man bei Minderjährigen ein Konzept wählt – das sind ja wirklich mit die Ärmsten und die Betroffensten in der Situation -, indem man zum einen schaut, wie kann man in Griechenland für die Minderjährigen noch eine Hilfe und Unterstützung leisten, und wo kann man möglicherweise dann auch den einen oder anderen verteilen, und das ist eingebunden in ein Gesamtkonzept, kann niemand ernsthaft etwas dagegen haben.
Engels: Aber wie viele EU-Staaten müssen sich mindestens beteiligen, damit Sie zustimmen? Bis jetzt ist Luxemburg im Boot, aber das genügt Ihnen wahrscheinlich nicht.
Lindholz: Nein. Ich lege mich da jetzt auch nicht auf eine konkrete Zahl fest. Wir haben das beim Malta-Abkommen gesehen. Das ist auch eine größere Zahl an Staaten. Die einen sagen offiziell, wir sind dabei, die anderen sind im Hintergrund dabei. Da bin ich ganz zuversichtlich, wenn das die europäischen Länder wollen, dass sie das hier in gleicher Weise schaffen werden. Da mache ich mich jetzt nicht an einzelnen Zahlen fest. Das hat an der einen Stelle geklappt und dann kann es auch an der anderen Stelle funktionieren.
"Kein Signal aussenden, dass wir vorneweg gehen"
Engels: Einige deutsche Bundesländer und viele Kommunen haben sich unabhängig von der Frage, wie viele EU-Länder sich beteiligen, schon längst bereit erklärt, Kinder und Jugendliche aus den überfüllten Lagern aufzunehmen. Sollte Bundesinnenminister Seehofer ihnen das erlauben?
Lindholz: Schauen Sie, das ist ein ehrenwertes Anliegen und das ist ein Zeichen der Städte und Kommunen, dass sie grundsätzlich bereit sind. Das sehe ich erst mal positiv. Es kann aber nicht sein, dass wir innerhalb Deutschlands unterschiedliche Regeln haben, die einen machen es, die anderen machen es nicht.
Zum zweiten, was viel wichtiger ist: Auch hier dürfen wir kein Signal aussenden, dass wir vorneweg gehen, dass wir eigene Regelungen schaffen und dann innerhalb Deutschlands noch mal unterschiedliche Regelungen. Dafür bin ich nicht. Es muss eine europäische Lösung geben, an der sich Deutschland insgesamt beteiligt, daran wiederum sämtliche Bundesländer, wenn es soweit kommt. Solche isolierten Regeln helfen uns nicht. Im Gegenteil! Sie senden falsche Signale auch ins Ausland. Kinder werden oft als Anker genommen. Sie werden von ihren Eltern losgeschickt, um es mal so ganz deutlich zu formulieren. Die Minderjährigen werden alleine auf die Reise geschickt, weil die Eltern hoffen, dass die Familie dann nachziehen kann. Das sind die sogenannten Ankerkinder und da müssen wir auch sehr aufpassen und ich halte von diesen isolierten Lösungen nichts, wobei ich natürlich sage, dass das Kernanliegen, zu sagen, wir sind offen für eine Aufnahme, natürlich etwas Positives ist.
Engels: Bundesinnenminister Seehofer hatte Anfang der Woche angedeutet, dass im Falle der Zuspitzung des derzeitigen Migrationsdrucks aus Richtung Süden auch deutsche Außengrenzen geschlossen werden könnten. Stimmen Sie solchen Gedankenspielen zu?
Lindholz: Wir haben das für uns auch ganz klar definiert. Wenn der Außengrenzenschutz nicht gesichert werden kann – danach sieht es ja aktuell nicht aus -, sind wir aber auch im Notfall bereit, den Grenzschutz bei uns zu intensivieren, lageangepasst und flexibel, das was wir teilweise auch schon machen, und auch wieder Zurückweisungen an der Grenze vorzunehmen. Wir werden und wollen einen solch unkontrollierten Zustrom weder nach Europa, noch nach Deutschland noch mal akzeptieren.
Alle in der Politik sagen, eine Situation wie 2015 darf sich nicht wiederholen, und wenn alle das ernst meinen, oder diejenigen, die das meinen, es ernst meinen, dann muss auch diese Maßnahme als letztes Mittel möglich sein und angewendet werden, auch wenn das niemand will, weil das gefährdet den Schengen-Raum und das kann auch ernsthaft niemand wollen, und trotzdem ist es das letzte Mittel, das wir wählen müssten.
Engels: Das heißt, mittlerweile eine komplette Abkehr der Politik im Vergleich zu 2015 von Bundeskanzlerin Merkel?
Lindholz: Wir haben klar gesagt, eine solche Situation wie 2015 soll sich nicht wiederholen. 2015 war eine Ausnahmesituation, in der sie gehandelt hat. Wir sind jetzt fünf Jahre später da mit ganz klaren Aussagen und an denen werden wir uns auch halten, und das ist teilweise, ja, eine Abkehr der Politik von 2015.
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