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Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan
Lieber Haft in Israel als zurück nach Afrika

Der 27 Jahre alte Haben stammt aus Eritrea und lebt in Tel Aviv. Die israelische Regierung stellt ihn und rund 40.000 andere Migranten vor die Wahl: Entweder sie verlassen Israel freiwillig oder sie werden verhaftet und möglicherweise in andere afrikanische Länder abgeschoben. Doch Haben will bleiben.

Von Benjamin Hammer |
    Der Eritreer Haben sitzt vor einem Restaurant in Tel Aviv
    Haben stammt aus Eritrea und lebt und arbeitet in Tel Aviv. Die israelische Regierung möchte, dass Migranten wie er das Land wieder verlassen. (Deutschlandradio/ Benjamin Hammer)
    Ein hippes Restaurant im Süden von Tel Aviv. In einer offenen Küche hinter dem Tresen steht ein junger Mann und kocht. Haben ist 27 Jahre alt und stammt aus Eritrea. Ein Land, das Menschenrechtsorganisationen als eines der repressivsten Regime der Welt bezeichnen. Eine Militärdiktatur, die ihre Bürger zu jahrzehntelangem Wehrdienst verpflichten kann.
    "Hier im Restaurant kann ich das Schreckliche vergessen. Ich habe hier viele israelische Freunde, ich bin glücklich, dass ich hier sein kann."
    Vor sechs Jahren floh Haben aus seinem Heimatland. Im Sudan, so erzählt es der junge Koch, nahmen ihn Menschenhändler gefangen. Sie verkauften ihn an Beduinen auf der Sinai-Halbinsel in Ägypten. Drei Monate lang wurde er gefoltert, berichtet Haben, unter anderem mit brennendem Plastik auf seiner Haut. Erst als die Familie des Eritreers über 30.000 Dollar Lösegeld zahlte, wurde er freigelassen. Seine Peiniger brachten ihn zur Grenze nach Israel.
    "Ich vertraue niemandem mehr. Das habe ich nach all meinen Erfahrungen beschlossen. Das ist auch der Grund, warum ich alleine lebe. Manchmal habe ich noch Albträume, aber es wird langsam besser."
    Netanjahu nennt Flüchtlinge "Eindringlinge"
    Geht es nach den Plänen der israelischen Regierung, dann muss Haben Israel bis Ende März verlassen. Etwa 40.000 Migranten, die meisten aus Eritrea und aus dem Sudan, sollen vor eine Wahl gestellt werden: Wer Israel freiwillig verlässt, erhält umgerechnet 2.800 Euro und bekommt den Flug bezahlt. Wer das Angebot nicht annimmt, soll verhaftet werden. Frauen und Kinder sind von der Regel zunächst nicht betroffen.
    "Jedes Land muss seine Grenzen schützen", sagte Anfang des Monats Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. "Die Eindringlinge haben eine klare Wahl: Sie können mit uns kooperieren und freiwillig gehen. Respektvoll, menschlich und legal. Oder wir müssen andere Schritte unternehmen, auch diese natürlich nach unseren Gesetzen."
    Für Netanjahu sind die Migranten aus den Ländern Eritrea und Sudan also Eindringlinge, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Israel gekommen sind, und keine Flüchtlinge. Doch auch die rechtsnationale Regierung will die Migranten nicht in ihre von Krisen geprägten Heimatländer abschieben.
    Der Plan: Andere afrikanische Staaten sollen sie aufnehmen. Welche das sind, das hat die israelische Regierung nie veröffentlicht. Laut israelischen Medienberichten handelt es sich um Ruanda und Uganda. Die sollen angeblich 5.000 US-Dollar für jeden Migranten bekommen, den sie aufnehmen.
    Vertreter von israelischen Menschenrechtsorganisationen sind entsetzt:
    "Das wäre ein abscheulicher Schritt", sagt Tamar Newman von der Hilfs- und Beratungsorganisation "Hotline für Flüchtlinge und Migranten". "Diese Menschen leben hier seit fünf bis zehn Jahren. Wir reden von 38.000 Menschen. Israel hätte kein Problem, sie zu versorgen und aufzunehmen. Es gibt im Moment 60 Millionen Flüchtlinge auf der ganzen Welt. Wenn Israel seine Flüchtlinge nun wieder nach Afrika schickt, das wäre entsetzlich."
    Anwohner im Süden Tel Avivs sind gegen die Migranten
    Zwei Kinder, etwa fünf Jahre alt, spielen Fußball – mitten auf einem Bürgersteig im Süden von Tel Aviv. Die beiden Kinder sprechen miteinander auf Hebräisch. Ihre Eltern stammen aus Eritrea. Der Süden von Tel Aviv gehörte schon immer zu den ärmeren Teilen der Stadt. In den vergangenen Jahren hat er sich stark verändert. Die meisten Bewohner stammen aus Afrika. Die Israelin Scheffie Paz lebt seit über 20 Jahren in der Gegend. Sie fordert, dass die Migranten ihr Land verlassen. Auch die Kinder, die in ihrer Nachbarschaft Fußball spielen:
    "Die Kriminalität ist gestiegen. Wenn hier ein Smartphone geklaut wird, dann gehen wir schon gar nicht mehr zur Polizei. Die unternimmt doch eh nichts. Ich fühle mich hier als Minderheit in meinem eigenen Land. Ich dachte immer, dass ich in Israel lebe. Und plötzlich befinde ich mich in Afrika."
    Sheffi Paz wohnt im Süden Tel Avivs, wo inzwischen auch viele afrikanische Flüchtlinge leben. Die Israelin fordert, dass die Migranten ihr Land wieder verlassen.
    Sheffi Paz wohnt im Süden Tel Avivs, wo inzwischen auch viele afrikanische Flüchtlinge leben. Die Israelin fordert, dass die Migranten ihr Land wieder verlassen. (AFP/ Menahem Kahana)
    Natürlich, sagt Scheffie Paz, könne man die Migranten in Israel besser verteilen. Das will sie aber nicht. Israel sei ein jüdischer Staat. Und als solcher müsse er seine Ressourcen für jüdische Flüchtlinge aufbewahren. Für Juden aus aller Welt, die vor dem Antisemitismus fliehen. Die Israelin gründete eine Bürgerinitiative. Im vergangenen Jahr arrangierte sie einen Besuch von Premierminister Netanjahu im Süden von Tel Aviv:
    "Unsere Aufgabe ist es, Süd-Tel Aviv an die Bürger Israels zurückzugeben."
    Auch Scheffie Paz applaudierte. Bei den Wählern seiner Likud-Partei, das weiß auch Netanjahu, kommen die Ankündigungen der Regierung gut an. Auch, wenn noch gar nicht klar ist, ob sie überhaupt umgesetzt werden.
    Haben will sich weigern, Israel zu verlassen
    Haben, der junge Koch aus Eritrea, der im Süden von Tel Aviv arbeitet, muss vorerst keine Abschiebung befürchten. Denn obwohl ihm Israel eine Dreimonatsfrist gesetzt hat, sind noch viele Fragen ungeklärt. So erklärten Uganda und Ruanda vor Kurzem: Es gebe noch gar kein Abkommen mit Israel, das die Aufnahme von Migranten vorsieht.
    So oder so: Der Eritreer Haben will sich weigern, Israel zu verlassen und das angebotene Geld ausschlagen. Niemals werde er in ein fremdes Land in Afrika reisen. Lieber will er in ein israelisches Gefängnis gehen.