Jasper Barenberg: "Unsere bisherigen Maßnahmen sind unzureichend." Das soll Innenminister Thomas de Maizière in einem Brief an die EU-Kommission beklagt haben. Darüber hat unter anderem "Die Welt" berichtet. Und gemeint sind die Anstrengungen, die Flucht von Hunderttausenden aus Afrika über Libyen und das Mittelmeer nach Europa zu verringern oder gar ganz zu unterbinden. Gemeinsam mit Italien und unterstützt auch von Österreich liegt jetzt offenbar der Vorschlag auf dem Tisch, eine EU-Grenzschutzmission an die Südgrenze von Libyen zu entsenden. Auch darüber wollen die Innenminister der EU wohl heute reden, wenn sie sich an diesem Mittag in Brüssel treffen.
Eine Grenzschutz-Mission der EU, nicht nur im Norden, sondern diesmal an der Südgrenze von Libyen – was halten Sie davon? Das habe ich kurz vor dieser Sendung Michael Gahler gefragt, CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss dort.
"Erst mal Fact Finding und dann schauen wir, was machbar ist"
Michael Gahler: Ich bin nicht überrascht, dass es ein deutsch-italienischer Vorstoß ist. Italien ist das erste Zielland und Deutschland dann die endgültige Zielrichtung unter Umständen. Von daher ist es nicht überraschend und ich halte es auch für einen guten Vorstoß, den Vorschlag zu machen, dass man letztlich dann gemeinsam als Europäische Union schaut, wo man in Libyen, diesem Haupt-Problemland, die Möglichkeiten schafft, dass der illegale Migrationsstrom gestoppt wird.
Barenberg: Herr Gahler, ist es sinnvoll, dass EU-Grenzschutzbeamte Flüchtlinge stoppen, bevor sie Libyen erreichen?
Gahler: Bevor wir da hinkommen, muss man erst mal eruieren vor Ort, wie überhaupt die Situation ist. Das Problem ist doch, dass der libysche Staat den größten Teil seines Staatsgebietes nicht kontrolliert. Und selbst wenn an der libysch-nigrischen Grenze da ein Grenzposten ist, der von der Regierung kontrolliert wird, ist die Grenze tausende Kilometer lang und kann auch umgangen werden. Deswegen haben die beiden Minister in ihrem Vorschlag oder in ihrer Aufforderung an die Kommission auch richtig geschrieben, man sollte zunächst mal eine Fact Finding Mission, eine Erkundungsmission machen, was überhaupt vor Ort geht. Die Ziele, die sie verfolgen, Unterstützung der lokalen Gemeinschaften, Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, das sind Sachen, die sind längerfristig angelegt. Auch das Kurzfristige, Bekämpfung irregulärer Migration und Unterstützung dieser libyschen Stellen und Ausbildung des Personals zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität, das ist in der Sache richtig.
Aber wenn wir das tatsächlich mit eigenen Experten vor Ort machen, dann müssen wir gewärtig sein, dass natürlich diese hochkriminellen Strukturen, die das ja perfekt organisieren, aus dem Inneren Afrikas über die Grenzen hinweg in Kooperation oder Kollaboration mit oftmals auch den unterbezahlten Grenzbeamten dort, dass die sich wehren werden. Das heißt, es würde nicht reichen, wenn wir da Grenzbeamte hinschicken. Wir müssten da im Grunde auch einen Schutz dazugesellen, damit die überhaupt ihre Tätigkeit machen. Das sind alles Dinge, die wirklich erst mal zu überprüfen sind, wie das durchführbar ist vor Ort. Von daher haben wir in der richtigen Reihenfolge vorgeschlagen, erst mal Fact Finding und dann schauen wir, was tatsächlich machbar ist.
Ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wäre gut
Barenberg: Nun unterstützt Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka einen EU-Einsatz an der Südgrenze Libyens. Das würde für all das sprechen, was Sie gerade nur vage in die Zukunft gedacht haben. Können Sie sich denn am Ende vorstellen, dass es darauf hinauslaufen könnte, dass am Ende EU-Grenzschutzbeamte und meinetwegen eine militärische Sicherung in irgendeiner Form dort vor Ort an der Grenze zwischen Niger und Libyen stationiert ist?
Gahler: Wir haben ja bereits zwölf Meilen vor der libyschen Küste unsere Marinemission Sophia liegen, die vom Ansatz her auch den letzten Schritt bis an die Küste tun könnte. Das ist aber nicht politisch beschlossen. Das heißt, im Augenblick konzentrieren die sich vor allem auf Flüchtlingsrettung. Aber vom Ansatz her ist diese Mission Sophia auch potenziell darauf angelegt, an die Küste zu gehen, um dort entweder die Schleuser oder El-Kaida oder IS, die mit denen dort kollaborieren, zu bekämpfen. Aber das würde voraussetzen zunächst mal eine Einladung oder Unterstützung der libyschen Regierung. Die liegt nicht vor.
Es würde gut sein, wenn wir dann ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen für so was hätten. Auch das liegt nicht vor. Das heißt, es bestehen durchaus Optionen auf der einen Seite, die man durchaus vollführen kann, aber die politische Realität ist noch nicht so, dass man das, was wir vor Ort bereits haben, in dieses Stadium überführen kann.
Wie gesagt, wir konzentrieren uns an der Nordgrenze auf dem Wasser auf Flüchtlingsrettung und dann wäre der Schritt, direkt an die Südgrenze zu gehen, natürlich einer, der Sinn machen würde, weil der dann oben entlasten würde, weil dann weniger abfahren würden. Aber wir müssen uns auch klar sein: Die Sahara ist lang und breit und wenn an der libysch-nigrischen Grenze etwas dann installiert wird, dann ist dann eins weiter westlich in Mali oder in Burkina Faso, dann ist da immer noch nichts geschehen, und dort gibt es auch Stammesaktivitäten, die dort sehr an dem Geschäft mit den armen Menschen interessiert sind. Das heißt, da hängt vieles mit vielem zusammen.
Barenberg: Das stimmt, und da gehört der Sudan noch mit ins Bild und der Tschad. Deswegen noch mal zurück auf den Kern meiner Frage, weil ich das noch nicht so ganz verstanden habe. Viele würden das ja prinzipiell ausschließen, dass bewaffnete Beamte aus Europa irgendwo in Afrika eine Grenze schützen. Aber Sie halten das nicht für prinzipiell ausgeschlossen, sondern sagen, vorausgesetzt UN-Mandat, vorausgesetzt Einladung Libyens, vorausgesetzt die Bedingungen stimmen, können Sie sich so was jedenfalls vorstellen. Da habe ich Sie richtig verstanden?
Wichtig sind die politischen Rahmenbedingungen
Gahler: Dann kann ich mir das, wenn alle politischen Rahmenbedingungen und auch innerhalb der EU ein gleichgerichteter politischer Wille besteht, dann kann ich mir das vorstellen, weil wir als Alternative nur dann hätten, dass wir die Menschen erst auf dem Wasser auffischen und damit das Geschäft der Schleuser weiter ungestört geschehen lassen. Und ich finde, wir müssen nach kreativen Wegen suchen, um das Geschäft der Schleuser und auch deren Kooperation mit IS und anderen kriminellen Banden im Zaum zu halten oder sogar zu beenden.
Barenberg: Und Sie könnten sich auch vorstellen, dass es Beamte aus Europa sein würden, die irgendwo in der Sahara in der Nähe einer Grenze, sagen wir zwischen Niger und Libyen, entscheiden müssen, ob jemand auf dem Weg nach Europa ist und aufzuhalten sein könnte, oder ob er aus anderen Gründen unterwegs ist? Da zeichnen sich doch Schwierigkeiten ab, die man sich gar nicht vorstellen kann.
Gahler: Zunächst mal besteht für uns keine Verpflichtung, wenn wir libyschen Grenzschutz unterstützen bei der Kontrolle ihrer eigenen Grenze. Dann ist damit nicht unmittelbar verbunden, dass wir dann ein Verfahren in der Wüste einleiten, ob die zu uns kommen dürfen. Ich sage Ihnen, gerade aus Afrika kommen die Menschen im gegenwärtigen Zeitpunkt vor allen Dingen aus bitterer Armut und nicht, weil dort in weiten Teilen etwa Krieg herrschen würde. Und selbst in einem Land wie Nigeria, wo Boko Haram im Nordosten des Landes wütet, im Augenblick etwas zurückgedrängt ist, gibt es auch innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten. Ich bin nicht bereit zu sagen, jeder der einem Konflikt in Afrika ausgesetzt ist, der muss unbedingt nach Europa kommen. Das können wir nicht leisten. Und in Ländern wie Nigeria, wo es Schwierigkeiten gibt, gibt es innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten. Wir haben da nicht die Rolle zu spielen, dass wir über eine Unterstützung libyscher Behörden hinaus dann automatisch die Menschen weiterleiten. Das soll ja gerade gestoppt werden.
Libyen muss seine Interessen abwägen
Barenberg: Aber wenn das die Behörden in Libyen selbst entscheiden sollten, nehmen wir dieses Beispiel, was heißt das dann für diesen anderen schwierigen Punkt, den Sie auch angesprochen haben, nämlich dass die Zusammenarbeit mit Libyen selber ja bisher eine sehr schwierige ist? Die Frage wäre, ist der jetzt schon gescheitert oder zum Scheitern verurteilt? Das haben Sie ja auch beschrieben.
Gahler: Libyen muss natürlich ein eigenes Interesse haben und offiziell haben die eine Regierung der nationalen Einheit inzwischen in Tripolis, auch wenn die nur einen kleineren Teil des Landes kontrolliert. Die müssen ihre Interessen abwägen und ich rate, in der Abwägung die Kooperation mit der Europäischen Union zu suchen. Und wenn sie nur ihre eigenen Bürger zurücknehmen von denen, die aufs Wasser gehen – das sind nicht so viele -, und sich weigern, andere aufzunehmen, dann ist die logische Folge eigentlich, dass sie bereit sein sollten, dort wo sie ihre eigene Südgrenze kontrollieren, Hilfe von uns in Anspruch zu nehmen, damit sie nicht als Transit zu einem Problem für uns werden.
Es ist im Interesse Libyens, die Europäische Union und die einzelnen Mitgliedsstaaten als befreundete Kräfte zu haben, und sie haben hier die Aufgabe, ihren Beitrag zu leisten, uns nicht zusätzlich Schwierigkeiten zu machen. Dafür sind wir bereit, sage ich mal, sollten wir politisch bereit sein, auch etwas weiter vorgelagert Ausbildung zu betreiben, ihnen zu helfen, ihre eigene Grenze unter Kontrolle zu bringen.
Barenberg: … sagt der CDU-Europaparlamentarier Michael Gahler hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Gahler: Bitte sehr!
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