Das werde jedoch nicht geschehen, versicherte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im ZDF-Morgenmagazin. Es sei "selbstverständlich", dass die Menschen in Bayern registriert und auf die Aufnahmeeinrichtungen verteilt würden. Warum die ungarischen Behörden den in Budapest wartenden Migranten die Weiterreise auf einmal erlaubt hätten, wisse er nicht, sagte Herrmann. Dies werde man mit der ungarischen Regierung zu klären versuchen.
Inzwischen hat Bayern Hilfe von anderen Bundesländern gefordert. "Bayern kann das alleine nicht mehr schaffen", sagte die Sozialministerin des Landes, Emilia Müller. "Ich erwarte jetzt auch die Solidarität aller anderen Bundesländer in Deutschland. Sie müssen sich an der Registrierung und dann auch Unterbringung in Zukunft beteiligen und uns unterstützen."
Ungarn ließ Flüchtlinge ohne Kontrolle ausreisen
Nach der Dublin-III-Verordnung der EU muss das Mitgliedsland, in dem ein Asylbewerber erstmals EU-Boden betritt, dessen Asylantrag entgegennehmen und den Bewerber aufnehmen. Die ungarischen Behörden waren gestern jedoch überraschend dazu übergangen, die Flüchtlinge - ohne Kontrolle - nach Österreich weiterreisen zu lassen. Über Wien gelangten sie nach Salzburg, wo sie die Nacht auf dem Bahnhof verbrachten und von Hilfsorganisationen betreut wurden. Weniger als zehn der rund 3.600 Migranten beantragten laut Polizei Asyl in Österreich. Die anderen hätten Deutschland als Ziel angegeben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wies Vorwürfe aus Ungarn und Österreich zurück, wonach Deutschland eine Mitschuld an der Entwicklung trage, weil es es im Fall syrischer Flüchtlinge das Dublin-Verfahren aufgehoben habe. Die Kanzlerin sagte in Berlin, es sei lediglich darauf hingewiesen worden, dass Syrer in der Bundesrepublik mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt würden. Damit sei aber nicht das Dublin-System außer Kraft gesetzt worden.
Faymann: "Das ist doch keine Politik!"
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann äußerte sich empört über das Vorgehen Ungarns. Er forderte den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf, dafür zu sorgen, dass in Ungarn Gesetze eingehalten und die Flüchtlinge kontrolliert würden. "Dass die in Budapest einfach einsteigen [...] und man schaut, dass die zum Nachbarn fahren - das ist doch keine Politik", schimpfte Faymann im ORF-Fernsehen. Er appellierte an Orban, europäisches Recht zu wahren: "Wo ist denn der starke Regierungschef, der immer auffällt durch besonders undemokratische Maßnahmen?"
Auch die EU-Kommission hatte die ungarische Regierung bereits gemahnt, ankommende Flüchtlinge ordnungsgemäß zu registrieren. Die Aussetzung der Kontrollen hatte am Budapester Ostbahnhof zu einem Massenandrang auf die Züge geführt. Nach der Abreise tausender Flüchtlinge räumte die ungarische Polizei am Morgen dann den Bahnhof. In Lautsprecher-Durchsagen hieß es, bis auf weiteres würden von dort keine Züge mehr fahren. Als der Bahnhof zwei Stunden später wieder geöffnet wurde, kontrollierten die Behörden die Zugänge und ließen nur Fahrgäste mit Zugtickets, Ausweisen und EU-Visa zu den Gleisen.
Erstes Aufnahmezentren für Balkan-Flüchtlinge in Bayern
In Bayern hat heute das bundesweit erste Aufnahmezentrum speziell für Flüchtlinge vom Balkan eröffnet. In der ehemaligen Kaserne bei Ingolstadt sollen bis zu 500 Migranten aus Südosteuropa untergebracht werden, die in Deutschland nur geringe Chancen auf Asyl haben. Vertreter aller zuständigen Behörden sollen dort deshalb zusammenarbeiten, um die Verfahren schneller als bisher bearbeiten und die Flüchtlinge zügiger abschieben zu können. Zwei weitere Standorte dieser Art sind in Planung.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs, verlangte, die ankommenden Flüchtlinge schneller als bisher in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. In erster Linie seien dazu Sprachkurse nötig, sagte er im DLF. Darüberhinaus könnten die Menschen schon in den Aufnahmezentren von Mitarbeitern der Agentur für Arbeit beraten und ihre Qualifikationen "großzügig" überprüft werden. "Es macht keinen Sinn, dass sie ewig in den Lagern hocken." Das könne zu "ghettoartigen Zuständen" führen.
Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, plädierte dafür, die Flüchtlinge als Chance zu sehen. Im Fernsehsender "Phoenix" bekräftigte er zudem die Forderung seiner Partei nach einem Einwanderungsgesetz.
Der Ökonom und Migrationsforscher Thomas Straubhaar sprach sich dafür aus, die aktuelle Flüchtlingskrise stärker an ihren Wurzeln zu bekämpfen. Er sagte im DLF: "Die Migrationsthematik muss zusammen mit den Herkunftsregionen bewältigt werden und insbesondere die Flüchtlingsströme nach Europa müssen in den Herkunftsregionen eingedämmt werden. Man muss als europäische Politik dafür sorgen, dass sich nicht Diktatoren und feudale Herrscher ihrer innenpolitischen Probleme entledigen können, indem sie Flüchtlinge produzieren." Deshalb sei die Flüchtlingskrise vor allem eine Angelegenheit der EU-Außen- und Entwicklungshilfeminister - und nicht der Innenminister.
(kis/am/jcs)