Jochen Spengler: Insgesamt schrumpft die rechtsextremistische Szene, aber ihre Gewaltbereitschaft steigt und die Hetze gegen Flüchtlinge nimmt zu. Das sind Erkenntnisse von Hans-Georg Maaßen, dem Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes. 59 Prozent aller Deutschen machen die hohen Flüchtlingszahlen keine Angst. Allerdings haben prozentual mehr Menschen in Ostdeutschland Sorgen deswegen als im Westen. Das geht aus dem ARD-Deutschlandtrend hervor. Die Umfrage zeigt zugleich, dass es eine große Bereitschaft gibt, den Flüchtlingen zu helfen.
Am Telefon begrüße ich nun Professor Hajo Funke, einen Politikwissenschaftler in Berlin, der sich ausgiebig mit dem Rechtsextremismus befasst hat. Guten Tag, Herr Professor Funke.
Hajo Funke: Guten Tag!
Spengler: Wenn wir beide Berichte, die wir gerade gehört haben, einmal zusammenführen, die Einschätzung des Verfassungsschutzes, dass die Zahl der Rechtsextremisten schrumpft, und die Umfragen des Deutschlandtrends, wonach fast zwei Drittel der Deutschen keine Angst hat vor der hohen Zahl von Flüchtlingen, erleichtert Sie das?
Es hängt vom Gestaltungswillen der Politik ab
Funke: Ja natürlich, und das entspricht auch meinen Eindrücken aus den letzten Wochen. 80 Prozent sind dafür, dass Kriegsflüchtlinge kommen können. Das ist sogar noch die entscheidendere Zahl. Knapp 60 Prozent haben keine Angst vor dem, was gegenwärtig einströmt. Das ist historisch kaum da gewesen. Und die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, zu helfen zu Hunderttausenden, ist einmalig in der Geschichte seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten.
Spengler: Herr Funke, nun kommen einem trotzdem immer wieder die Bilder von Pegida in den Sinn. Widerspricht das nicht den Erkenntnissen?
Funke: Nein. Pegida hat seinen Zenit überschritten. Der schmale Rand, der tobt und die Mobilisierung des Mobs veranstaltet, den gibt es dennoch und der ist gefährlich und der kann nur eingedämmt werden, wenn die Polizei sich anders verhält als in Heidenau in Sachsen zum Beispiel, also sich professionell verhält und präsent ist, wenn die Politik so weitermacht und sagt, wir stehen an der Seite der Flüchtlinge, und wenn dies von den Medien und der Öffentlichkeit unterstützt wird. Dies geschieht in unterschiedlichem Maße. Da wo es weniger geschieht, wie in Teilen Sachsens, haben wir die Probleme. Da wo es besser geschieht, wie in Oranienburg, auch im Osten, haben wir entschieden weniger Probleme. Also, es hängt tatsächlich von dem Gestaltungswillen von Politik und der Unterstützung der Öffentlichkeit ab, dass die Polizei ihren Job macht, und dann ist das Problem auch der Brandstiftung eindämmbar.
Spengler: Hängt nicht vieles davon ab, wie man überhaupt den Begriff Rechtsextremismus, Rechtsextremist definiert? Wann wird denn jemand, der meinetwegen fremdenfeindlich denkt, von einem Rassisten zu einem Rechtsextremen? Wo ist da die Grenze?
Drei neonazistische Kleinstparteien koordinieren
Funke: Ich gehe umgekehrt vor, dass ich mir das anschaue, was wir an Eskalation und an Aufladung in rassistischer Richtung erleben. Das sind drei neonazistische Kleinstparteien, um die das gruppiert ist. Das ist die NPD insbesondere in Sachsen (übrigens schon seit zwei Jahren). Das ist bekannt gewesen. Ein Teil der Verfassungsschützer hat das übersehen, in Sachsen etwa. Das ist zum anderen der Dritte Weg, der zum Teil eine Abspaltung der NPD ist, aber radikal aufgeladen von dem Umfeld des NSU, also zum Beispiel dem Bruder eines Angeklagten in München. Ich habe darauf in meinem Buch "Staatsaffäre NSU" noch einmal hingewiesen. Und drittens der Partei Die Rechte, von Christian Worch initiiert und anderen, von dem SS Sigi in Dortmund unterstützt. Diese drei Parteien planen, haben eigene Masterpläne der Entwicklung von Gewaltakten gegen Flüchtlingsheime und Flüchtlinge und unterstützen so, sind insofern geistige Brandstifter eines neuen Terrors.
Spengler: Aber Sie würden nicht sagen, dass man dort Parteimitglied sein muss, um rechtsextrem zu sein?
Funke: Nein! Wir haben wie gesagt organisierende Zentren in diesen drei Kleinstparteien, zugleich aber Nachahme-Täter aus rechter Gesinnung, weniger aus nichtrechter Gesinnung, sondern weil man einfach als Wohlstands-Chauvinist sozusagen den Nachbarn nicht als einen Syrer begrüßen will. Insofern ist es eine Gemengelage von Koordination und Nachahme-Taten, diese vor allem aus rassistischer Gesinnung, aber ohne Parteizugehörigkeit.
Spengler: Warum, Herr Professor Funke, schrumpft dann die Zahl der Rechtsextremen?
Funke: Das ist ein Trend. Soweit ich das verstehe, ist das der Trend aus dem Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014. Ich glaube, dass dieser Trend anhält, was die große Zahl von um die 10.000 - so wird gezählt - gewaltorientierten Rechtsextremisten anlangt. Das ist ja auch eine sehr große Zahl. Was wir sehen, ist, dass die viel kleinere Zahl von gewaltbereiten oder anderswie aufgeladenen Demonstranten sich Heidenau-bereit machen. Die werden aktiviert, die werden mobilisiert. Aus dem Pool, wenn Sie so wollen, dieser 10.000 oder ähnlich gewaltorientierten oder gewaltbereiten treten die hervor und verändern sozusagen die öffentliche Präsentation dieses gewaltbereiten übrigens Neonazismus, also neonationalsozialistische Einstellungen, die sagen, wir müssen rückführen. Wir müssen nicht nur die Asylflüchtlinge rückführen, sondern wir müssen zehn Millionen Menschen rückführen, also diejenigen, die nicht ethnisch rein sind. Das ist so radikal wie im Grunde das Gründungsparteitagsprogramm der NSDAP, damals gegen Juden, heute gegen Migranten.
Wenn der Rechtsstaat funktioniert, gibt es Erfolge
Spengler: Und gegen die hilft nur die geballte Kraft, Macht des Rechtsstaats?
Funke: Genau, des Rechtsstaats. Da wo der Rechtsstaat gut funktioniert, nicht so schlecht wie in Heidenau jüngst, da gibt es auch bessere Erfolge der Eindämmung solcher Gewaltakte und solcher gewaltorientierten Demonstrationen. Nicht nur in Salzhemmendorf in Niedersachsen, auch in Orten wie Oranienburg beispielsweise.
Spengler: Was ja erfreulich ist, ist, dass Ihren Worten nach offenbar keine Gefahr droht, dass die Einstellung in der Bevölkerung gegenüber Fremden umschlägt. Womit erklären Sie sich denn, dass sie eigentlich so positiv ist gegenüber den Flüchtlingen?
Funke: Verflucht nun mal, sie sehen die Not! Dieser Ailan Kurdi, der durch die Welt geht als toter Junge am Strand - wer da nicht Empathie entwickelt, ist wirklich - wie soll ich sagen? - am Rande eines völlig ideologisierten Verstehens der Welt. Und diese Empathie hat sich durchgesetzt. Sie gibt es bei der übergroßen Mehrheit der deutschen Bevölkerung ohnehin, aber sie hat sich jetzt artikuliert in der Unterstützung von Flüchtlingen, die in München einströmen oder anderswo in Berlin und im Grunde an sehr, sehr vielen Orten. Deswegen sind es Hunderttausende. Und das hat es noch nicht gegeben, dieser Durchbruch der Empathie, und das ist auch die Chance für Europa. Wenn nicht, dann ist es der Beginn des Endes von Europa.
Wenn der politische Wille da ist, wird die Empathie bleiben
Spengler: Haben Sie die Hoffnung, dass diese Empathie in Deutschland dauerhaft bleibt, auch dann, wenn natürlich Probleme auftauchen bei der Unterbringung, beim Zusammenleben?
Funke: Wir haben ja längst Probleme. Wir haben seit zwei Jahren Probleme. Aber die Bedingungen sind schon so, dass man nicht nur die Freiwilligen-Unterstützung braucht, sondern auch ein kompetenteres Handeln der großen und der kommunalen Politik. Aber daran wird jetzt ja gebastelt, endlich! Vor wenigen Wochen gab es noch die Beobachtung, dass die Initiative "Moabit hilft" an einem Tag das schafft, was in vier Wochen nicht das zuständige Amt schafft. Diese Disproportion muss sich ein wenig im Sinne der Funktion der Ämter verbessern. Aber ich glaube, wenn man das will - und der politische Wille ist da, ist formuliert -, dann sieht man, dass es machbar ist, und wenn es machbar ist, wird die Empathie bleiben.
Spengler: Das war Professor Hajo Funke in Berlin. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor.
Funke: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.