Die Telefone von Sieglinde Duderstadt und ihren Kolleginnen klingeln fast ohne Pause. Seit die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge steigt, häufen sich die Anfragen beim Suchdienst des Roten Kreuzes in Hamburg. Sieglinde Duderstadt zeigt den geflohenen Menschen Wege auf, wie sie auch ihre Familienangehörigen nach Deutschland holen können. Besonders schwierig ist das bei Flüchtlingen aus Afrika:
"Das ist eine schwierige Beratung! Weil da in Afrika alles schwierig ist. Die Antragstellung ist schwierig, weil die meistens keine Pässe haben oder diese Pässe nicht anerkannt werden von den Botschaften. Da muss man immer sehen, was die Leute besorgen können und was nicht."
Bürokratische Hürden
Denn ein gut organisiertes Meldewesen gibt es in vielen Ländern Afrikas nicht. Die Suche nach Angehörigen übernimmt die Münchener DRK-Dependance, die Hamburger kümmern sich um den Familiennachzug. - Die Voraussetzungen dafür sind klar geregelt: Nur wer als Flüchtling anerkannt ist, darf Mitglieder der sogenannten "Kernfamilie" nachholen. Und zwar nur die Minderjährigen. Gelingt also einem Vater die Flucht und wird er als Flüchtling anerkannt, dürfen auch seine Frau und die Kinder einreisen. Ist eines davon aber über 18 Jahre alt, kann auch Sieglinde Duderstadt nicht helfen.
"Viele wollen natürlich ihre Eltern nachholen. Die ja oft alt und krank sind. Gerade in Syrien ist das jetzt der Fall. Und die dürfen nicht nachziehen, die haben keinen Nachzugsanspruch. Das ist dann für diese Leute schon sehr, sehr schwer. Das können die zum Teil wirklich nicht verstehen. Und da muss man wirklich sehr einfühlsam sein. Das man denen das auch so rüberbringt, dass sie nicht weinen. Gut, geweint haben auch Männer hier schon. Weil man gesagt hat: 'Wir können ihre Mutter nicht holen, auch das Rote Kreuz kann da nichts gegen tun. Auch wir sind an die Gesetze gebunden.' Wir können nicht unseren kleinen Hubschrauber starten und da hinfliegen und die rausholen. Das tut uns wahnsinnig leid!"
Einen Antrag auf Familienzusammenführung können auch die sogenannten minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge stellen. Sie dürfen ihre Eltern nach Deutschland holen, aber nicht ihre Geschwister. 600 Familienzusammenführungen hat der DRK-Suchdienst schon in diesem Jahr auf den Weg gebracht. So viel wie im gesamten Jahr 2014. Dazu kommen noch die telefonischen Beratungen, erzählt Kathrin Blankenburg vom DRK-Suchdienst:
"Von 2013 zu 2014 gab es einen Zuwachs von 37 Prozent. Und 2014 zum ersten Halbjahr 2015 ist es Zuwachs von 246 Prozent."
Und trotz der gestiegenen Fallzahlen, so Kathrin Blankenburg, fehlen dem Suchdienst die Mittel, um neue Mitarbeiter einzustellen. Der Geldgeber des Suchdienstes, das Bundesinnenministerium, lehnt eine Neubesetzung frei werdender Stellen bislang ab.
Gestiegene Fallzahlen
Gegründet wurde der Suchdienst nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals ging es darum, auf der Flucht auseinandergerissene Familien wieder zusammen zu bringen, Kontakt herzustellen mit den Kriegsgefangenenlagern. Nicht nur per Telefon, sondern auch in Einzelgesprächen klären Sieglinde Duderstadt und ihre Kolleginnen, welche Schritte für den Nachzug der Familien getan werden müssen. Zusammen mit Mahmoud al Coussa sitzt sie an einem kleinen Tisch im Warteraum, vor sich ausgebreitet die Dokumente des Palästinensers, neben ihm sein Dolmetscher:
"Where is his Bescheid? – I need the name of your wife and children"
Mahmoud al Coussa ist aus Syrien über den Sudan und Libyen nach Italien geflüchtet. Ein schmaler, kleiner Mann, fünfzig Jahre alt. Seine Frau und die drei Kinder hat er in Syrien zurückgelassen, zu groß war die Angst vor der Passage über das Mittelmeer, davor, die ganze Familie in Gefahr zu bringen. Mahmoud al Coussa, so schätzt es Sieglinde Duderstadt ein, hat gute Chancen, seine Frau und eine seiner Töchter nach Deutschland zu holen. Aber zwei seiner Kinder sind schon volljährig. Sie werden in Syrien bleiben müssen. Ihr Nachzug ist auf legalem Weg nicht möglich. Der Palästinenser weiß das. Weiß, das am Ende nicht der Suchdienst über den Antrag entscheidet, sondern die Hamburger Ausländerbehörde. Wie geht er damit um, dass seine erwachsenen Kinder keine Chance auf Einreise haben?
"Natürlich wünsche ich mir, dass es doch irgendwie klappt. Erstmal versuche ich, sie auf dem legalen Weg nach Deutschland zu holen. Und wenn das nicht funktioniert, werden die beiden so wie ich flüchten müssen. Das Geld dafür werde ich schon irgendwie aufbringen."
Er hofft darauf, dass die Europäische Union doch wieder ein neues Programm für den Nachzug aller Familienmitglieder auflegt. Geplant ist das. Aber noch längst nicht beschlossen. Bislang bleibt al Coussas erwachsenen Kindern nur eine Wahl: in Syrien bleiben, mitten im Krieg oder die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer. Sie werden sich für die Flucht entscheiden, sagt ihr Vater. Voller Hoffnung und Sorge zugleich.