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Flüchtlinge
Dubiose Geschäfte mit der Not

Findige Geschäftemacher nutzen die Notlage vieler Gemeinden aus, die sich um die Unterbringung der Flüchtlinge kümmern müssen. So werden auch Wohnungen angeboten, die zweckentfremdet wurden, und horrende Tagessätze abgerechnet. In Berlin soll damit aber bald Schluss sein.

Von Anja Nehls |
    Flüchtlinge warten am 04.01.2016 in Berlin bei frostigen Temperaturen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo).
    Flüchtlinge warten in Berlin bei frostigen Temperaturen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Ein schmaler Hauseingang in der Großen Hamburger Straße, mitten in Berlin. Der Hackesche Markt ist gleich um die Ecke, S-Bahn, Alexanderplatz, Geschäfte, Restaurants. "Sixties Apartments" steht an einem Schild an der Tür, davor steht ein Wachmann, unangemeldet kommt hier niemand rein. Seit Dezember wohnen in den Apartments nicht mehr Touristen aus Spanien, USA oder Japan, sondern jugendliche Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea und dem Irak, in Vollpension.
    "150 Euro pro Tag, pro Person, dreimal am Tag bekommen die hier im Lokal Essen, Getränke und dafür noch 25 Euro, also insgesamt 75 Euro", sagt Derek Radowski von Sixties Apartments. Gut 80 Jugendliche teilen sich zwölf Appartements, macht Einnahmen von 180.000 Euro, pro Monat. Anstandslos bezahlt von der Jugendverwaltung des Berliner Senats, die für die Unterbringung von jugendlichen unbegleiteten Flüchtlingen zuständig ist: "Das ist im Rahmen der Unterbringung von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen völlig im Rahmen. Sonst hätten wir diese Räumlichkeiten auch nicht genutzt und wir haben die Plätze, weil wir momentan viele Betreuungsplätze brauchen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, es sind im letzten Jahr vier Mal mehr gekommen, als im Jahr davor, da haben wir diese 86 Plätze sehr gerne in unser System reingenommen."
    Die exorbitanten, aber offenbar ganz normalen Kosten sind dabei nur eine Seite der Medaille. Noch schlimmer ist für den zuständigen Bezirksstadtrat Stephan von Dassel, dass diese Wohnungen allesamt dem Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz unterliegen: Das besagt, dass ungenehmigte Ferienwohnungen spätestens ab 1. Mai wieder dem regulären Berliner Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen müssen, um die Wohnungsknappheit in Berlin zu bekämpfen. Allein in Mitte lässt Dassel bereits 84 Ferienwohnungen prüfen. Für die Wohnungen in der Großen Hamburger sei niemals eine Umwidmung beantragt und genehmigt worden, so von Dassel: "Das ist natürlich sehr ärgerlich, wenn wir gegen den Eigentümer schon seit langem vorgehen und dann auf der anderen Seite er einen Riesenreibach macht, weil die öffentliche Hand bezahlt. Und was uns irritiert ist, dass alle diese Beherbergungen ja nicht möglich wären, wenn wir als öffentliche Hand in Berlin sie nicht finanzieren würden."
    Öffentliches Interesse an der Unterbringung von Flüchtlingen
    Das sieht man der Jugendverwaltung ein, aber nun ist guter Rat im wahrsten Sinne des Wortes teuer: "Der von uns beauftragte Träger hat die Räumlichkeiten im Dezember angemietet im guten Glauben, dass das alles so in Ordnung ist. In dem Moment als uns der Bezirk darüber informiert hat, dass die Räumlichkeiten eben nicht in Ordnung sind, haben wir unverzüglich einen Belegungsstopp verhängt. Und wir sind auch gerade dabei zu prüfen, wie wir aus dem Vertragsverhältnis rauskommen."
    Unter Umständen gar nicht, denn der Vermieter wehrt sich nun vor Gericht, argumentiert mit Bestandsschutz einer seit Jahren bestehenden Appartementvermietung und einem hohen öffentlichen Interesse an der Unterbringung von Flüchtlingen. Ein Totschlagsargument.
    Ortswechsel: ein in die Jahre gekommenes graues Mietshaus mit gelben Fensterrahmen in Berlin Pankow. Bis von wenigen Wochen wohnten hier hauptsächlich Berliner mit geringen und durchschnittlichen Einkommen. Jetzt ist das anders, in 20 bis 30 Wohnungen leben jetzt Flüchtlinge, sagt dieser Mieter: "Also, zum Beispiel die Gebäude werden hier hauptsächlich an Flüchtlinge vermietet, also man kriegt 50 Euro pro Tag, pro Nacht."
    Statt zum Beispiel 800 Euro ortsübliche Vergleichsmiete für eine Dreizimmerwohnung werden jetzt bei einer Belegung mit sechs Flüchtlingen 9.000 Euro pro Monat erzielt – im öffentlichen Interesse behauptet ein Mitarbeiter der Hausverwaltung, der seine Stimme nicht im Radio hören will: "Es gibt auch Flüchtlinge hier, ja. Es wird normal abgerechnet, ja. Das Gesetz wird falsch angewendet, das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Wir haben Anträge gestellt, die abgelehnt worden sind - ohne berechtigten Grund, denn das Gesetz lässt diese Möglichkeit ausdrücklich zu. Wir hatten von vornherein den Antrag nur für die Wintermonate gestellt. Und da sehen wir auf jeden Fall, dass da ein vorrangiges öffentliches Interesse besteht an der Unterbringung von Flüchtlingen."
    Vermieter mit Fantasieadressen
    Und solange auch das Verwaltungsgericht solche Fälle nicht entschieden hat, besteht vorläufiger Rechtsschutz und es wird munter weiter vermietet. Gegen eine dauerhafte Vermietung der Wohnungen an Flüchtlinge hat Stadtrat Stephan von Dassel auch nichts einzuwenden, aber dann zu regulären Mieten und nicht zu überhöhten Tagessätzen. Das Lageso, die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Berlin, sei da einfach zu lax: "Und unser Problem ist, dass das Lageso in Unkenntnis, dass das zweckentfremdete Wohnungen sind, Kostenübernahmen dafür ausstellt, einfach sagt, das ist Hostel Wollankstraße und nicht geprüft wird, ob die überhaupt die notwendigen Genehmigungen haben."
    Sogar Vermieter mit ausgedachten Fantasieadressen haben bereits Kostenübernahmebescheinigungen für Flüchtlinge vom Lageso bekommen. Bei der zuständigen Berliner Sozialverwaltung gibt man sich einsichtig. Bei 80.000 Flüchtlingen, die das Land Berlin unterzubringen hatte, sei man allerdings für jedes Angebot dankbar gewesen, so Sascha Langenbach. "Geprüft worden sind die, aber wir haben einfach aufgrund dieser Notlage den Preis von 50 Euro pro Person und Tag tatsächlich auch akzeptiert und auch abgerechnet. Es ist so, dass wir mitgeteilt haben, dass ab 1. März 2016 diese Beträge nicht mehr bezahlt werden."
    Damit dubiose Geschäftemacher es in Berlin künftig schwerer haben, will Mittes Bezirksstadtrat Stefan von Dassel jetzt zusammen mit seinen Kollegen der anderen Berliner Bezirke eine sogenannte Weiße Liste erstellen. Darauf sollen alle Betreiber von Hostels und Ferienwohnungen vermerkt werden, die die nötigen Genehmigungen haben. Alle anderen seien dann einfach mal raus, so von Dassel: "Und vor dem Hintergrund müsste das Lageso dann da nur noch draufschauen und dann bin sicher, wenn wir so eine Liste haben und wenn das läuft, dass der Spuk innerhalb weniger Wochen vorbei ist."