Wer mit einem Finger auf Athen zeige, weise mit dem Rest der Hand auf die Europäische Union, sagte Harms im Deutschlandfunk. Griechenland sei das Land, in dem die meisten Flüchtlinge ankämen. Das Land habe eine sehr komplizierte Außengrenze. Die griechische Regierung wisse, dass ein ordentliches, rechtsbasiertes Management der Grenzen notwendig sei.
Harms äußerte sich skeptisch zu den Plänen, die europäische Frontex-Grenzschutzagentur mit mehr Personal und Rechten gegen den Willen der betroffenen Ländern auszustatten.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Die vielen Flüchtlinge in speziellen Zentren in Italien und in Griechenland zu registrieren, 160.000 von ihnen unter den EU-Staaten zu verteilen, mehr Personal für die Grenzschutzagentur Frontex abzustellen und zu schicken, all das ist schon beschlossen, läuft aber insgesamt nur schleppend an. Mehr Tempo wird deshalb EU-Ratspräsident Donald Tusk wohl am Beginn des heutigen EU-Gipfels einfordern. Danach wird es dann vor allem um den Vorstoß der EU-Kommission gehen, zum Schutz der Außengrenzen mehr Beamte von Frontex einzusetzen, und zwar im Notfall auch gegen den Willen der betroffenen Staaten. Mitgehört hat Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen.
Rebecca Harms: Guten Morgen.
Barenberg: Wie dringend ist es denn, die Außengrenzen der EU besser zu sichern aus Ihrer Sicht?
Harms: Das ist eines der Probleme oder eine der Aufgaben, die die Europäische Union lange verdrängt hat. In den letzten Wochen, eigentlich seit die Flüchtlinge bis Budapest gewandert waren, bis weit in die Türkei hinein gewandert waren, ist die Debatte darüber entbrannt. Die offenen Grenzen im Schengen-Raum, die sind inzwischen zum Teil dicht, und das hat auch damit zu tun, dass die Außengrenzen nicht ordentlich gemanagt werden. Wer Schengen will, wer die Offenheit nach innen im Schengen-Raum will, der muss dafür eintreten, dass wir ein rechtsstaatliches, gutes europäisches Management der Außengrenzen machen.
"Probleme, die man lange verdrängt hat, werden sichtbar"
Barenberg: Athen hat sich ja lange gegen die Hilfe der europäischen Partner gesperrt. Das hat unsere Korrespondentin gerade noch mal gesagt. Griechenland arbeitet mehr schlecht als recht mit den Beamten von Frontex vor Ort zusammen. Und man hat oft den Eindruck, dass es Athen ganz recht ist, dass die Flüchtlinge einfach durchgereicht werden und dann in anderen Ländern die Schwierigkeiten erzeugen. Ist die massive Kritik am griechischen Management des Problems gerechtfertigt?
Harms: Es gibt eine jahrelange Auseinandersetzung darum, wie Griechenland mit den Flüchtlingen umgeht. Das gab es auch schon mit Italien, das gab es auch mit Spanien. Griechenland gehört bis heute zu den Ländern oder ist heute sogar das Land, das die meisten Flüchtlinge zunächst mal aufnimmt. Da kommen im Moment die meisten Flüchtlinge an. Griechenland ist gleichzeitig das Land mit einer sehr komplizierten Außengrenze über Land und insbesondere über diese vielen Inseln hinweg, und da hat sich jetzt, glaube ich, einiges vermischt in den letzten Tagen. Die harte Auseinandersetzung um Griechenland und die Funktionstüchtigkeit seiner Institutionen im Rahmen der Eurokrise und dann jetzt die Forderung, ein besseres Grenzmanagement zu machen, da hat man erst mal wieder auf Abwehr gestellt und auf Souveränitätsrechte gepocht. Aber ich glaube, die meisten Griechen und auch die Kollegen in der griechischen Regierung wissen, dass ein ordentliches, auch rechtsbasiertes Management der Grenzen notwendig ist.
Barenberg: Aber Sie würden nicht sagen, Athen muss sich da erhebliche Versäumnisse anlasten lassen? Sie haben einfach zu spät reagiert?
Harms: Das ist dann ein Versäumnis, wo man mit dem einen Finger auf Athen zeigen kann, aber mit dem Rest der Hand auf die Europäische Union. Schengen ist wunderbar, das ist ein Fundament der Europäischen Union und des guten Funktionierens der Europäischen Union, aber dass dann ein gutes Grenzmanagement da sein muss, das wussten wir alle vorher auch. Es ist leider so, dass in Krisensituationen Probleme und Aufgaben, die man lange gemeinsam verdrängt hat, immer gleichzeitig sichtbar werden.
Durchsetzung gegen den Willen der Mitgliedsstaaten schwierig
Barenberg: Jetzt liegt ja eine mögliche Antwort gewissermaßen auf dem Tisch. Darüber soll heute in Brüssel auch verhandelt werden. Mehr Personal für Frontex erst mal, auch so etwas wie eigenes Personal für die Grenzschutzagentur und auch mehr Rechte im Zweifel gegen die betroffenen Staaten. Ist das die richtige Antwort auf die ungeregelte Zuwanderung, die wir im Moment erleben?
Harms: Was man gegen "betroffene Staaten" durchsetzen kann, das ist eine spannende Frage. Wir haben ja schon vor einigen Wochen im Konflikt die Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union beschlossen über alle Staaten mit eigentlich fairen Quoten. Das funktioniert bisher überhaupt nicht, diese Entscheidung, die mit Mehrheit getroffen worden war. Deswegen bleibe ich skeptisch, wenn es jetzt darum geht, gegen den Willen von Mitgliedsstaaten etwas durchzusetzen. Ich glaube, dass das etwas ist, wo man eigentlich eine gemeinsame Überzeugung finden müsste in dieser Aufgabe, Umgang mit den gemeinsamen europäischen Grenzen.
Barenberg: Sehen Sie denn gemeinsame Überzeugungen, was Frontex angeht? Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche.
Harms: Genau! Sie können Gedanken lesen. - Es kommt erschwerend dazu, dass über die Aufgaben und die Orientierung, die Schwerpunkte von Frontex immer wieder gestritten worden ist. Wenn das eine Aufgabe ist, die wieder alleine der Abwehr dient, der Abwehr von Flüchtlingen dient, wenn man den Eindruck hat, dass das verbunden ist mit einer Art Militarisierung an den Außengrenzen, dann wird es wahrscheinlich schwer sein, sich zu einigen, auch gerade mit der Regierung Griechenlands. Aber wenn man es schafft, daraus eine gemeinsame Aufgabe zu machen, die in die Richtung geht, dass die Europäische Union da gemeinsam auch einen staatlichen Auftrag erledigt, weil das gehört dazu, um Sicherheit zu garantieren,...
"Die Flüchtlinge könnten ganz anders zu uns kommen"
Barenberg: Vielleicht können wir es ja ganz konkret machen. Sehen Sie in Frontex eher eine Agentur, die abwehrt, oder sehen Sie in Frontex eine Agentur, die gewissermaßen die Fährverbindung über die Ägäis in die Europäische Union hinein sicherstellt?
Harms: Frontex wird keine Fährverbindung sein. Die Aufgabe des Managements der Außengrenzen, die ist ja verbunden auch mit anderen Aufgaben, nämlich einer zwar geregelten Einreise. Aber keineswegs wird es so sein, dass jeder, egal woher er kommt, mit welchem Ziel, in die Europäische Union einreisen kann. Wir haben ja auch Visa-Vereinbarungen. Es gibt viele Dinge, die an den Außengrenzen zu managen sind. Für Flüchtlinge treten auch wir dafür ein, dass es entlang der Außengrenzen auf europäischem Territorium Empfangszentren geben muss, von wo aus Flüchtlinge dann auch gut verteilt werden können. Die Schwierigkeit jetzt in dieser Debatte um einen europäischen Grenzschutz liegt ja auch wieder gerade darin, dass so viele Aufgaben in einer sehr schwierigen Situation gleichzeitig angegangen werden müssten, aber die Ungleichzeitigkeit eigentlich schon über uns hereingebrochen ist.
Barenberg: Wenn Sie von Management sprechen, dann meinen Sie in erster Linie Flüchtlinge identifizieren, registrieren und gerecht verteilen. Welche Flüchtlinge sollten Ihrer Meinung nach denn von Beamten von Frontex künftig abgewiesen werden, zurückgeschickt werden?
Harms: Das ist dann in diesen Empfangszentren zu klären. Ich bin ja der Auffassung, dass viele der Flüchtlinge, die heute zu uns kommen, weil sie sich durchschlagen, entweder über das Mittelmeer oder über die Türkei und die Balkan-Route, dass die auch ganz anders zu uns kommen könnten - eine der Aufgaben, die auch zu lange verdrängt worden sind. Meiner Meinung nach muss es im Rahmen der UNO viel größere Anstrengungen geben für die Verwirklichung dieser Resettlement-Programme, der Definition der Flüchtlinge, die in großen Flüchtlingslagern heute schon leben und die da nicht gut überleben können, die dann aber geordnet in die Europäische Union, aber auch in andere große und wohlhabendere Staaten gebracht werden wie USA, Kanada. Alle Staaten der Welt müssten sich eigentlich mehr verantwortlich fühlen. Auch dazu gibt es ja eine große Diskussion. Insgesamt, glaube ich, muss man in Deutschland im Moment daran denken, dass wir, nachdem wir drei Monate jetzt ungefähr uns mit mehr Flüchtlingen auseinandersetzen, ein bisschen mehr Zeit brauchen, um eine neue Ordnung in die internationale Aufgabe des Flüchtlingsschutzes zu bringen.
Barenberg: Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Harms.
Harms: Auf Wiederhören!
Barenberg: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.