"Es ist halt immer ein Abenteuer. Man weiß nie genau, was auf einen zukommt, Es ist alles sehr, sehr gefährlich."
Heinz-Jürgen Bunte fährt die Route Köln-Coventry und zurück zweimal die Woche. Auch heute hat der 55-Jährige sich hinter das Steuer seines 40-Tonners geschwungen, mit dem er Postpakete durch den Eurotunnel bringt. Ein guter Job, doch seitdem immer mehr Flüchtlinge versuchen, auch auf seinem Lkw nach Großbritannien zu kommen, liegen seine Nerven blank. Sobald er in Calais die Autobahn verlässt, achtet er auf jede Bewegung auch abseits der Straße. Schlafsack, Proviant - eine Extra-Ration Zigaretten und Salzgebäck im Gepäck. Für alle Fälle:
"Ich habe oft mit Immigranten gesprochen, die zu mir in den Lkw kamen und die fragten meisten nach was zu essen, nach was zu trinken, und wenn man mit denen redet, waren die eigentlich recht umgänglich."
Vorgesorgt hat er dennoch:
"So, das Schloss wird jetzt hier befestigt. Und jetzt ist es nicht mehr möglich, die Türe hinten zu öffnen."
Auf der Fahrt zeigt Hans-Jürgen Bunte Fotos, die er mit seinem Handy gemacht hat: Menschen, die auf der Autobahn herumirren und die auf Lkw klettern. Zehn Stunden später auf der E40. Noch 25 Kilometer bis zum Tunnel. Hans-Jürgen Bunte hat immer wieder davon gehört, dass gewaltbereite Gruppen unter den Migranten die Fahrbahn mit brennenden Reifen blockieren. Kollegen sollen mit Steinen beworfen und mit Messern bedroht worden sein, wenn sie das Einsteigen verhindern wollten.
"Es gibt immer vereinzelt irgendjemanden, der aus der Reihe tanzt."
Dabei stehen auch die Lkw-Fahrer im Visier der Behörden, erzählt der Kölner weiter. Wer es nicht schafft, illegale Mitfahrer aus dem Wagen rauszuholen, dem drohen am Zoll in England empfindliche Geldstrafen. Die Fahrer würden wie Schlepper behandelt: Bunte schüttelt den Kopf.
Die Stimmung der Fahrer ist schlecht
Wie viele seiner Kollegen fühlt auch er sich von der Politik und der Transport-Branche allein gelassen. Er habe eine Ausbildung zum Lkw-Fahrer, sei aber doch kein Polizist oder Ausländerbeauftragter, schimpft er. Die Vorstellung, für den Tod eines Menschen mitverantwortlich zu sein, macht ihm Angst:
"Wenn ich da vor dem Eurotunnel im Stau stehe, dass die Immigranten unter anderem auch versuchen, sich auf die Achsen zu legen, weil das sehr, sehr gefährlich ist. Dann fahren die mit mir durch den Eurotunnel und ich fahre aus dem Eurotunnel wieder raus, fahre ich danach dreieinhalb Stunden Autobahn. Das kannst du nicht überleben, das hältst du nicht aus, da fällst du runter, da erfrierst du, da stirbst du."
Auf den Achsen des Lasters. Ein Zeichen absoluter Verzweiflung, gerade hier Sicherheit zu finden. Noch 25 Kilometer bis Calais.
"Da laufen zwei Immigranten, die auf dem Weg sind zum Tunnel. Man sieht auch öfter mal Essenspakete, die die Polizei oder Organisationen an die Leitplanken hängen, damit die was zu essen bekommen. Was natürlich auch sehr gefährlich ist. Hier fahren wir natürlich Tag wie Nacht, im Regen, im Schnee. Dunkelhäutige Menschen in dunklen Anzügen, die sieht man nicht."
Noch gut sechs Kilometer bis zur Tunnel-Einfahrt: Vor Bunte stauen sich die Lastwagen. Nervös greift er zum Handy und ruft den Chef an. Der Betrieb hat wegen der langen Wartezeiten 70 Prozent Umsatzeinbuße im Monat. 17 Mitarbeiter fahren die Strecke Köln-Coventry. Die Stimmung der Fahrer ist schlecht.
"Hallo, ich wollte mal hören. Hast du irgendwelche Infos was den Tunnel betrifft? Mensch, Mensch. Dann weiß ich, dass ich mich darauf einstelle. Ich rufe morgen noch mal an."
Aussteigen vor dem Eurotunnel? Streng verboten vom Chef
Im Schritttempo geht es weiter. Hinter den Dünen ganz versteckt und nicht weit vom Flüchtlingscamp, wartet eine größere Gruppe Afrikaner auf die Chance, zu den Lkw zu laufen - wenn die patrouillierenden Polizisten auf Motorrädern vorbei sind. Einige Flüchtlinge klettern über die Zäune. Hans-Jürgen Bunte schaut angespannt durch die Windschutzscheibe:
"Hohe Zäune, Doppelzäune, mit Innenlaufflächen für Hunde, dass dort keine Immigranten mehr auf die Lkws zugreifen können. Aber das sind auch nur ein paar Kilometer."
Dann wird es unübersichtlich. - "Please don't touch the lorry!" - Ein Versuch auszusteigen, rächt sich sofort.
Hans-Jürgen Bunte schimpft: Aussteigen vor dem Eurotunnel? Streng verboten vom Chef. Dann muss er sich wieder konzentrieren: Am Hafen-Terminal müssen zahlreiche Zoll-Kontrollen passiert werden. Erst danach werden die Laster auf Frachtzügen durch den Tunnel transportiert. Mit CO2-Scannern und Herzschlagmonitoren wird der LKW von vorne bis hinten untersucht. Man will sicher gehen, dass kein Lebewesen darin steckt. Danach die Fahrerkontrolle, die Total-Durchsuchung und Neu-Verplombung des Frachtraums.
Die Solidarität der Fahrer untereinander ist groß. Irgendwie sitzen alle im selben Boot. Aber es gibt auch viele, die gegen die Flüchtlinge sind. Manche Fahrer weigern sich inzwischen, die Strecke noch länger zu fahren. Sie können nicht mehr kontrollieren, wer alles bei ihnen mitfährt. Anders ist es bei Hans-Jürgen Bunte. Er ist auf den Job angewiesen.
"Ich fahre tagtäglich nach England. Ich werde damit auch nächste Woche und weiterhin konfrontiert."
Wenn der Eurotunnel hinter ihm liegt, ist Hans-Jürgen Bunte erleichtert und geschafft zugleich. Kein blinder Passagier hat sich drangehangen. Dieses Mal nicht.