Es ist fast ein fröhlicher Anblick: In der malerischen Landschaft der Bekaa-Ebene im Libanon stehen winzige quietschbunte Häuschen. Es sind Hütten von Kriegsflüchtlingen aus Syrien – Holzgestelle verkleidet mit riesigen Reklameflächen aus Kunststoff, die früher mal an Hausfassaden hingen, wo sie für Schokoriegel oder teure Kosmetika warben. In den Hütten hinter der bunten Warenwelt herrscht Elend: Kaum Möbel, selten Feldbetten, oft nur ein Schlaflager auf dem Boden.
Die Häuser stehen an einer Straße, die zum Dorf Mansoura führt. Dort lebt die elfköpfige Familie von Shehada Illawi – in einer ähnlich einfachen Hütte, nur ohne Reklamebotschaft.
Die Grenze zu Syrien ist nah. Manchmal kann man hören, dass hinter der Grenze geschossen wird. Im Libanon lebt die Familie also wenigstens in Sicherheit.
120 Euro im Monat für eine elfköpfige Familie
Die Libanesen seien wirklich gute Menschen, sagt Shehada Illawi. Er betont dies so, als sei es die Höflichkeit ist, die ihm dieses Urteil diktiert. Die Familie ist ja praktisch zu Gast im Libanon. Dann sagt er plötzlich: "Aber niemand hilft uns. Wir haben im Winter nicht mal die Bezugskarte für Heizöl bekommen, die es normalerweise gibt. Niemand hat uns geholfen."
Von der Flüchtlingshilfe der UN erhält die Familie umgerechnet 120 Euro im Monat. Das reicht gerade so, um nicht zu verhungern.
Sie hätten jüngst mehrmals vergeblich versucht, für eine ihrer Töchter ein Krankenhaus zu finden, das sie behandelt, klagt die Frau von Shehada Illawi.
"Einen Arztbesuch können wir uns nicht leisten", sagt ihr Mann. "Unser Geld reicht im Notfall gerade mal für einen Hustensaft aus der Apotheke."
So gut wie keine medizinische Versorgung
Manchmal kommt ein Wagen vom Flüchtlingshilfswerk ins Lager und verteilt Tabletten. Nur selten gibt es auch Karten, die zu einer ärztlichen Behandlung berechtigen.
Etwas Taschengeld, das kaum zum Überleben reicht, ein Arztbesuch nur in Ausnahmefällen – das sei Alltag für viele Syrer im Libanon, sagt Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut.
"Was aber für viele Flüchtlinge noch entscheidender ist, ist, dass hier keine Rechtssicherheit besteht. Der Libanon erkennt sie nicht als Flüchtlinge an, und viele Dinge des täglichen Lebens sind hier außerordentlich schwierig, und da wird – egal wie viele Zahlungen geleistet werden – auch keine Verbesserung geschaffen."
Die Papiere der Familie seien längst ungültig, beklagt Shehada Illawi. Deshalb dürften sie sich auch nicht frei bewegen. Um die Dokumente in Syrien erneuern zu lassen, müsste der Familienvater dort umgerechnet 1300 Euro Strafe zahlen.
Überzogene Preise für Stellplätze
Doch wo soll er das Geld hernehmen, wo es doch kaum für die 350 Euro reicht, die der libanesische Landbesitzer pro Jahr für den Stellplatz ihrer Hütte haben will, ein völlig überzogener Preis.
Auf einer Brachfläche in Beirut lebt der syrische Flüchtling Muhammad Osman mit seiner Frau und drei Kindern in einem Verschlag aus Pappe. Strom und Brauchwasser überlässt ihnen ein Nachbar aus dem Haus nebenan – umsonst. Die 90 Euro, die die Familie pro Monat von den Vereinten Nationen erhalten, reichen gerade für die allernötigsten Lebensmittel.
"In Europa respektiert man die Menschen, anders als bei den Arabern. Wenn in Europa jemand arm ist, wird ihm geholfen, er bekommt Unterstützung."
Das weiß Muhammad von seinem Bruder, der es bis nach Deutschland geschafft hat.
Traum vom Leben in Deutschland
Er lebe dort wie ein Millionär, sagt er, und er meint gar nicht mal das Geld. "Mein Bruder hat dort ein tolles Leben. Die Kinder gehen zur Schule. Und sein Sohn wurde sogar drei Mal an der Nase operiert. Drei Mal!"
Ein Leben in Deutschland wäre für Muhammad die Erfüllung eines Traums, aber er kann die Schlepper nicht bezahlen.
"Vielleicht wäre es besser, nach Syrien zurückzugehen, um dort schnell zu sterben. Hier im Libanon sterben wir langsam und ohne Würde."
Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung überrascht es nicht, dass viele Syrer im Libanon an ihrem Plan festhalten, weiter nach Europa zu fliehen.
"Sie gehen nicht, weil es so verlockend ist, in Europa zu sein. Und sie gehen nicht, weil sie denken, es sei leicht dorthin zu kommen. Sondern sie gehen vor lauter Verzweiflung, weil sie für sich keine Perspektive mehr sehen und oft wirklich um ihr Leben fürchten. Sonst würden sie, glaube ich, diesen riskanten Weg gar nicht erst einschlagen."