Archiv

Flüchtlinge im Saarland
Zu wenig Platz - vor allem für Frauen

Auch im Saarland kommen derzeit tausende Flüchtlinge an. In der einzigen Erstaufnahmestelle des Bundeslandes wird es deswegen eng. Vor allem für Frauen stellt die Situation ein Problem dar, beklagt die Diakonie. Denn viele von ihnen wollen nicht ohne ihre Männer untergebracht werden.

Von Tonia Koch | 08.10.2015
    Zelte in der Flüchtlings-Erstaufnahmestelle im saarländischen Lebach.
    Aus Platzmangel müssen die Flüchtlinge in Lebach in Zelten schlafen. (imago/stock&people/Eibner)
    An der Straße, die an dem einzigen saarländischen Erstaufnahmelager für Flüchtlinge vorbeiführt, ist immer Betrieb. Gegenüber liegen die Schulen der Stadt Lebach, eine Kindertagesstätte, ein Sportplatz. Und heute ist noch mehr Gewusel, die Bundeswehr hat Nylon-Pavillons aufgebaut. Hier werden Gepäckstücke beschriftet, jede Zahl steht für ein Dorf oder eine Stadt.
    Später wird das Gepäck auf Lastwagen verladen. Sie fahren den Bussen hinterher, die wieder hunderte Flüchtlinge in saarländische Städte und Dörfer bringen. Die Soldaten kontrollieren Namen und Fotos, damit jeder in den richtigen Bus steigt.
    Die Zuweisung der Flüchtlinge in die Kommunen entlastet die Situation in der Aufnahmestelle, denn sie ist heillos überfüllt. In diesem Jahr kamen bis jetzt etwa 7.200 Menschen nach Lebach, allein im September 2.000. Ausgelegt ist die Landesaufnahmestelle jedoch lediglich für etwa 1.300 Menschen. Die Enge bereite vor allem den Frauen Schwierigkeiten, sagt die Leiterin der Beratungsstelle der Diakonie, Maike Lüdeke-Braun:
    "Durch diese dichte Belegung oder Dichtestbelegung sowohl in den Zelten als auch in den Häusern ist die Privatsphäre nicht mehr gegeben."
    In den Großraumzelten können bis zu 500 Menschen schlafen, hier stehen die Betten dicht an dicht. Das ist für alle eine Herausforderung - nicht nur für die Frauen - doch für diese besonders.
    "Das war schon so, da waren ja nicht nur Syrer im Zelt, sondern verschiedene Leute aus ganz unterschiedlichen Ländern, wir kannten die anderen nicht, wir hatten Angst."
    Geschützte Aufenthaltszonen für Frauen?
    Dania Lalmadani, eine junge Frau aus Syrien, steht unter dem Schutz ihres Bruders. Sie sei deshalb mit der ungewohnten Situation zurechtgekommen. Aber für ihre Mutter habe das Zelt enormen Stress bedeutet, sie habe mit niemanden gesprochen. Die Problematik in der Aufnahmestelle ist dem Direktor des zuständigen Landesverwaltungsamtes, Christoph Hoffmann, bewusst:
    "Wir sehen das. Aber die ganze Zeit und das gilt auch nach wie vor, ist die Gesamtsituation dadurch gekennzeichnet, dass sehr viele gleichzeitig kommen und wir die Hauptpriorität darauf setzen, ein Bett und ein Dach über dem Kopf etwas zu essen, was zu trinken, medizinische Versorgung um die lebensnotwendigen Bedürfnisse abzudecken und dann machen wir alles andere, was möglich ist."
    Das Innenministerium ist grundsätzlich bereit, geschützte Aufenthaltszonen für Frauen zu schaffen. Aber es ist fraglich, ob Frauen dieses Angebot tatsächliche wahrnehmen. Denn es hat bereits im Sommer einen entsprechenden Versuch gegeben. Ohne Erfolg, sagt Aras Marouf, Mitarbeiterin im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie:
    "Manchen Frauen wollen nicht alleine ohne ihre Männer untergebracht werden. Wir versuchen sie in Frauenwohnungen unterzubringen aber sie möchten gerne bei ihren Männern in den Zelten bleiben. Was wollen sie machen, das müssen sie hinnehmen. Das heißt, wir sind nicht frei bei unseren Regeln, die wir aufstellen. Natürlich haben die Frauen ihre kulturellen und emotionalen Beweggründe, dass sie mit ihren Männern bleiben, da können sie wenig machen."
    Auch in den Häusern geht es mitunter äußerst eng zu. Sina ist Irakerin und möchte ihren richtigen Namen nicht nennen. Sie lebt seit 10 Monaten hier:
    "Ein Zimmer, mit meinem Sohn und der Tochter."
    Der Junge, der Nacht für Nacht seine Kriegerlebnisse verarbeite, finde nur mithilfe von Schlafmitteln Ruhe, sagt sie. Und kürzlich ist noch eine junge Frau aus Syrien hinzugekommen, jetzt sind sie zu viert. Das alles sei zu ertragen, wenn es für sie und die Kinder eine Perspektive gäbe, fasst Nivin, die Übersetzerin, zusammen:
    "Das Problem ist, viele Leute, die mit ihr gekommen sind, sind alle von hier weg, weg von Lebach und sie weiß nicht warum und das ist es, was sie kaputt gemacht hat, die Zeit. Weil sie sieht, dass jeder kommt und geht, wir haben das Gleiche erlebt, warum werden wir nicht so behandelt wie die anderen, sie hat Angst, dass sie vergessen worden ist."
    Alleinreisende Frauen unter besonders hohem Druck
    Die Behörde verneint: Zehn Monate seien für ein Asylverfahren keine lange Zeit und es sei auch nicht so, dass sich Flüchtlinge aus anderen Ländern sozusagen hinter den Syrer anstellen müssten. Christoph Hoffmann:
    "Ganz und gar nicht, die Menschen werden innerhalb der Verwaltung an die Reihe genommen, so wie sie hier ankommen. Aber das Problem ist, dass eben so viele gleichzeitig ankommen."
    Für Frauen wie Sina, die sich mit oder ohne Kinder allein auf den Weg gemacht haben, fordert die Diakonie Unterbringungsmöglichkeiten außerhalb der Landesaufnahmestelle, in einer anderen Stadt. Maike Lüdeke-Braun:
    "Wir erleben immer wieder, dass Frauen, die keinen Schutz der Familie haben, die alleine reisen mit und ohne Kinder einem besonders hohen Druck ausgesetzt sind. Sie haben auch wenig Unterstützung ihrer Ethnie, ihrer Nachbarn von daher wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, wenn diese Frauen gesondert betreut würden."
    Dass gerade die Frauen in einer von Männern dominierten Flüchtlingsgruppe einer permanenten sozialen Kontrolle ausgesetzt sind, weiß auch der saarländische Innenminister, Klaus Bouillon. Aber er sieht keine Möglichkeit, eine räumliche Trennung für allein reisende Frauen herbeizuführen.
    "Wir haben ja, was kaum eine Aufnahmestelle hat, drei Arztpraxen, einen Kinderarzt, einen gynäkologischen Stuhl. Wir haben Hebammen, 24 Stunden einen Offizier vom Dienst, eine Ärztin der Bundeswehr, Rettungssanitäter. Wir haben einen Stab von täglich über 350 Menschen. Und ich kann doch Menschen nicht einfach irgendwo hinstellen und sich alleine überlassen. Die Infrastruktur mehrfach aufzubauen, ist sehr, sehr schwierig."
    Immerhin hatte der Appell des Diakonischen Werkes auch etwas Gutes, er hat bei den Verantwortlichen die Sinne geschärft für die Probleme der Frauen unter den Flüchtlingen.