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Flüchtlinge in Berlin
Daueraufenthalt in der Notunterkunft

In Berlin müssen viele geflüchtete Menschen weiter in Turnhallen leben. Oft verhindert aufwändige Bürokratie die Freigabe neuer Unterkünfte. Leidtragende sind nicht nur mehr als 3.000 Flüchtlinge, die keine Privatsphäre haben. Auch die Sportvereine spüren die Folgen, denn sie verlieren Mitglieder.

Von Wolf-Sören Treusch |
    Schuhe stehe vor dem Zimmer einer Flüchtlingsfamilie in der Malteser-Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Neukölln.
    In Berlin müssen mehr als 3.000 Flüchtlinge weiter in Notunterkünften in Turnhallen leben. (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Eine Sporthalle in Berlin-Wilmersdorf. 130 geflüchtete Menschen leben hier, die meisten kommen aus Syrien, aus dem Iran und dem Irak, aus Afghanistan. Familien sind dabei, vor allem aber junge Männer, 20 bis 30 Jahre alt. Im Vorraum spielen sie Karten oder lümmeln auf den Sofas herum und tippen auf ihre Smartphones.
    Aman, ein junger Kurde aus dem Irak, wartet seit Monaten auf eine Aufenthaltserlaubnis. Das Leben in der Turnhalle findet er "schwer, sehr schwer. Ja, weil: Es gibt Familie, es gibt Leute, die mögen das, es gibt Leute, die mögen das, kann man nicht zusammen leben so. Wenn ich möchte etwas, der möchte etwas, und diese Sache will ich nicht, dann muss ich mit ihm streiten wegen das."
    Neue Unterkunft ist seit Monaten fertig
    Dabei gehört die Halle zu den etwas komfortableren Notunterkünften in Berlin. Gute Luft, relativ ruhig, in den provisorischen, etwa drei mal vier Meter großen Kabinen mit den Doppelstockbetten liegt hier und da schon mal ein Teppich. Auch Yassir Elias und seine Freunde haben sich eingerichtet. Nur noch zu dritt teilen sie sich ihre Kabine, nicht mehr zu sechst wie im vergangenen Winter. Trotzdem will Yassir am liebsten raus.
    "Halle nicht gut. You know, I have school. Then I don’t sleep in the night, nicht schlaf, weißt du. In Nacht nicht schlafen gut."
    "Aber hier Ohrstöpsel. Wir haben doch Ohrstöpsel." Julia Tecklenborg vom Deutschen Roten Kreuz versucht zu helfen, wo sie kann. Ein Jahr lang hat sie die geflüchteten Menschen in der Sporthalle betreut, jetzt wird sie nicht mehr gebraucht. Hofft sie. "Wenn Heerstraße aufmacht, dann könnt ihr in die Heerstraße gehen."
    Doch genau damit hapert es: mit dem Umzug in die neue Unterkunft. Seit Monaten ist ein altes Bürogebäude bezugsfertig, doch ein für Berlin typisches Problem verhindert den Einzug der Flüchtlinge. Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten.
    Komplizierte Vergabeverfahren als Hindernis
    "Bis heute sind die abschließenden Gutachten zum Brandschutz noch nicht vorgelegt worden. Bevor das nicht abgeschlossen ist, kann man leider auch keine Vergabe machen. Das ist das Problem."
    Etliche weitere fast einzugsfertige Flüchtlingsunterkünfte in Berlin können ebenfalls noch nicht genutzt werden. Der Grund: die komplizierten Vergabeverfahren.
    "Das sind europaweite Ausschreibungen, jede Ausschreibung für jedes Objekt hat 80 bis 90 Seiten DIN A 4, das heißt Leistungsbeschreibung, Anhang, Sicherheitskonzepte et cetera. Und bei diesen 80, 90 Seiten, da kann immer mal ein Fehler drin sein."
    Und eben diese Fehler, so Langenbach, würden die unterlegenen Bewerber ausnutzen, um gegen die Vergabeverfahren juristisch vorzugehen.
    "Weil, man kann mit Flüchtlingsunterbringung Geld verdienen, und da versuchen auch Player, die in der Vergangenheit keine Rolle in der Flüchtlingsunterbringung gespielt haben in Berlin, einen Fuß in die Tür zu bekommen."
    Im Sommer zu viel versprochen
    Ergebnis: Kein Betreiber, also kein Betrieb. 3.200 Flüchtlinge werden für viele Monate weiter in 38 Berliner Turnhallen leben. Erste Forderungen nach Zwischenlösungen werden laut. Das Land Berlin solle für ein oder zwei Jahre den Betrieb der Heime in Eigenregie übernehmen. Der Präsident des Landessportbundes, Klaus Böger, ist richtig sauer. Wie kann man im Sommer versprechen, bis Jahresende die Hallen freizubekommen, wenn man doch weiß, wie kompliziert das Verfahren ist.
    "Und ich kann der Politik jetzt nach den Wahlen in Berlin nur dringlich raten, jetzt endlich auch tatsächlich zu handeln."
    "4, 3, 2, 1." Die Fensterscheiben abgeklebt, das Licht diffus, der Steinfußboden mit Matten ausgelegt: So richtig einladend wirkt er nicht, der ehemalige Drogeriemarkt im Karower Ortszentrum, ganz oben im Norden Berlins. Den fünf Frauen ist es egal, Step-Aerobic geht überall. Es waren aber schon mehr Teilnehmerinnen, sagt Kirsten Ulrich vom Vorstand der Karower Dachse. Viele kommen nicht mehr, eben weil der Verein seine Sportangebote an Orte wie diesen verlegt hat. Verlegen musste.
    "Wir sind in einem kirchlichen Begegnungszentrum, in einem Gemeindehaus, wir sind in einem Speisesaal von 'ner Grundschule, wir sind in einem Lichthof, in einem Barfußraum, und dann haben wir glücklicherweise noch drei, vier Ausgleichszeiten in anderen Hallen bekommen, aber natürlich verteilt auf Karow, Buch, Blankenburg."
    Sportvereine verlieren Mitglieder
    In ihrer eigentlichen Turnhalle in Karow ist seit einem Jahr nur noch Platz für Flüchtlinge. 75 Sportangebote musste der Verein ausquartieren oder gleich ganz streichen. 300 Personen verließen den Verein, ein Sechstel der Mitglieder. Kirsten Ulrich sagt, die Karower Dachse kämpfen um ihre Existenz.
    "Ja, muss man wirklich so sagen. Wir sind in unsere Rücklagen gegangen, haben Verluste in diesem Jahr geschrieben, es ist nicht so, dass wir jetzt in den nächsten zwei Monaten insolvent sind, sollte das aber, wie es jetzt aussieht, bis nächstes Jahr zum Sommer so gehen, wird es eng. Sehr eng."
    Für die Klagen des Berliner Sports hat Julia Tecklenborg vom Deutschen Roten Kreuz, das die Notunterkunft in der Wilmersdorfer Turnhalle betreibt, sehr wohl Verständnis. Aber sie sieht eben auch die Nöte ihrer Schützlinge. Monatelang auf engstem Raum mit fremden Menschen, keine eigene Küche, keine eigene Dusche, dazu wenig Abwechslung und viele Sorgen: Immer mehr Flüchtlinge greifen deshalb zu Drogen.
    "Wir haben das Glück, dass wir hier keine harten Drogen haben, aber es ist natürlich in Berlin sehr einfach, sich Gras oder Haschisch oder was auch immer zu kaufen, viele flüchten sich da auch so ein bisschen rein. Um halt irgendwie alles vielleicht zu vergessen, man kommt hier halt super schnell ran, auch an Alkohol."
    Eine neue Unterkunft wäre der erste Schritt hin zu einem besseren Leben. Bald jedoch werden viele Flüchtlinge zum zweiten Mal Weihnachten in einer Turnhalle verbringen.