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Flüchtlinge in der Ägäis
Griechenland will weniger Camps

Ein Feuer vernichtete im September das völlig überfüllte Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. Auch das provisorische Übergangslager ist inzwischen zweimal von Regenfällen überflutet worden. Trotz der Probleme dort will Athen zwei andere Camps auf Lesbos auflösen.

Von Rodothea Seralidou |
Eine Frau sitzt vor dem geöffneten Eingang eines UNHCR-Hilfszeltes im Flüchtlingscamp Kara Tepe
Nicht wetterfest, fehlende Infrastruktur: noch mangelt es im neuen Flüchtlingslager auf Lesbos an vielem (imago images/ANE Edition/Panagiotis Balaskas)
Im städtischen Flüchtlingscamp von Kara Tepe auf Lesbos: Trotz des starken Regens warten einige Kinder auf den Schulbus. Sie tragen farbenfrohe Regenmäntel, lachen und spielen. Hier ist Platz für etwa 1300 Geflüchtete, vor allem schutzbedürftige Familien. Seit der Gründung des Lagers im Jahr 2015 wird es vom UN-Flüchtlingshilfswerk geleitet. Einer der Bewohner ist der 18-jährige Bismillah aus Afghanistan:
"Wir haben hier ein Café, eine Teestube, verschiedene Freizeitaktivitäten. Alle sind sehr nett zu uns. Ich lebe hier mit meiner Mutter, wir haben einen eigenen Wohncontainer, jeder von uns hat ein eigenes Bett. Wir haben wirklich alles hier. Es ist ein guter Platz für uns, wir fühlen uns sicher."
Trotzdem will die konservative griechische Regierung das städtische Familien-Camp schließen. Auch ein weiteres Vorzeigecamp, das ausschließlich von ehrenamtlichen Helfern betriebene Pikpa-Camp in der Nähe des Flughafens der Insel, soll dicht gemacht werden. Die Geflüchteten sollen ins staatliche Lager gebracht werden. Erst ins provisorische Flüchtlingslager, das nun vorübergehend das abgebrannte Camp Moria ersetzt; und bis Mitte 2021 in ein neues geschlossenes Camp, das die Regierung bis dahin bauen will.
Zugeständnisse an griechische Bevölkerung
Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis sagte dazu am Dienstag im griechischen Parlament:
"Wir können und wollen nicht mehrere Unterkünfte parallel aufrecht erhalten. Wir haben uns auch gegenüber der lokalen Bevölkerung verpflichtet, nur noch ein Camp auf jeder Insel zu behalten. Ein Lager ist viel einfacher zu verwalten, es ist besser für eine effiziente medizinische Versorgung, für die Essensversorgung, für die Sicherheit im Lager."
Argumente, die aber im Fall der zwei Vorzeigecamps, die Mitarakis auf Lesbos schließen will, ins Leere laufen, findet Efi Latsoudi vom Pikpa-Team: "Im Pikpa leben behinderte Menschen, Menschen mit psychischen Problemen, alleinerziehende Mütter mit Neugeborenen und Personen, die Überlebende von Folter sind. Im neuen provisorischen Camp erwarten sie keine menschenwürdigen Bedingungen, es gibt nicht genug Wasser, die Leute dort waschen sich im Meer, nun hat der starke Regen die Zelte erneut überflutet, ganz zu schweigen von der hohen Gefahr, sich dort mit dem Corona-Virus anzustecken."
Latsoudi, die für ihr Engagement im Pikpa-Camp 2016 mit dem Nansen-Flüchtlingspreis der Vereinten Nationen ausgezeichnet wurde, hofft, dass Mitarakis einen Rückzieher macht und das selbstverwaltete Camp doch noch gerettet wird. Mit dem Hashtag "Save Pikpa" wird diese Tage international gegen die Schließung der Flüchtlingsunterkunft protestiert. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen zeigt sich über die Pläne des Migrationsministers besorgt.
Bedenken des UN-Flüchtlingshilfswerks
Die Organisation unterstützt zwar die griechische Regierung beim Ausbau der nötigen Infrastruktur des provisorischen Lagers, dieses könne aber die anderen Camps auf keinen Fall ersetzen, sagt UNHCR-Sprecherin Stella Nanou.
"Diese Unterkünfte geben seit Jahren hunderten Menschen die Möglichkeit, unter humanen und würdigen Bedingungen zu leben. Sie füllen eine wichtige Lücke in der Versorgung gerade der besonders verletzlichen Geflüchteten. Solange es keine andere zufriedenstellende Versorgung der Flüchtlinge auf Lesbos gibt, müssen sie deshalb aufrecht erhalten bleiben."
Anders sieht es der konservative Bürgermeister von Mytilini, der Hauptstadt der Insel, Efstratios Kytelis. Er wurde 2019 mit dem Versprechen gewählt, überhaupt keine Lager mehr auf Lesbos zu dulden. Der Bürgermeister sieht es schon als Kompromiss, ein Lager auf seiner Insel zu erlauben, vorausgesetzt es liegt weit weg von bewohnten Gegenden. Alle anderen Flüchtlingsunterkünfte müssten so schnell wie möglich schließen, sagte er vor kurzem und pflichtete somit seinem Parteikollegen Mitarakis bei. Bedenken darüber, dass dies auch das städtische Vorzeigecamp von Kara Tepe treffen würde, scheint der konservative Bürgermeister nicht zu haben. Er hat es ohnehin von seinem Vorgänger übernommen.