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Flüchtlinge in der Ausbildung
„Ich versuche so viel zu helfen, wie man mir geholfen hat“

Noch vor dem Mauerfall floh Thilo Lindner aus Thüringen in den Westen. Heute ist er Ausbildungsleiter in Baden-Württemberg. Er sei damals zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, so Lindner. Und möchte seinen geflüchteten Auszubildenden denselben Neustart ermöglichen.

Von Uschi Götz |
    Der Ausbilder für Metallbearbeitung, Waldemar Balakin (2nd r), unterhält sich am am 25.08.2016 im Bildungszentrum vom Internationalen Bund (IB) in Jena (Thüringen) mit jungen Flüchtlingen aus Afghanistan.
    65 Auszubildende werden derzeit bei Lapp am Stammsitz Stuttgart ausgebildet, elf von ihnen haben eine Fluchtgeschichte. Im Bild: Flüchtlinge in Thüringen (Jens-Ulrich Koch, dpa-Zentralbild, dpa picture-alliance)
    Zwei Frauen und fünf Männer stehen an einer langen Werkbank im Ausbildungszentrum des Kabelherstellers Lapp. Im September haben diese jungen Menschen eine duale Ausbildung als Maschinenanlagerführer mit Fachrichtung Metall- und Kunststofftechnik begonnen. "Wir gehen jetzt mal zum nächsten Bauteil" leitet Ausbildungsleiter Thilo Lindner an und hält einen Baustahlklotz in die Höhe. Jeder Auszubildende bearbeitet kurz darauf ein solches Werkstück. Zunächst wird gesägt.
    "Das ist eine große Herausforderung, zum ersten Mal in so einen Block da reinzusägen", erklärt Lindner. "Wird es gerade? Die beiden Stücke, die übrig sind, müssen sie rechteckig feilen."
    Unter den Auszubildenden sind ein junger Mann aus Eritrea und drei Syrer. Vor vier Jahren kam Yesan Maky, 24 Jahre alt, aus Damaskus nach Deutschland: "Türkei, dann durch das Meer, Griechenland, Mazedonien, dann Deutschland", erzählt er.
    Ausbildungsleiter Lindner kennt die Fluchtgeschichten, die Auszubildenden kennen auch seine Geschichte. Es gibt ein paar Parallelen. 1989 lebt Lindner im thüringischen Rudolstadt. In diesem Herbst verlassen immer mehr Menschen die DDR. Anfang Oktober beschließen er und einige Freunde: Wir gehen auch. Zu siebt brechen sie auf, jeder fährt ein Motorrad, und so kommen sie bis in den Westen.
    "Wir haben von den politischen Verhältnissen in jungen Jahren gar nicht so viel mitbekommen. Aber wir haben das im Fernsehen gesehen und haben gedacht, wenn jetzt alle gehen, dann gehen wir auch. Wir wussten wirklich nicht, was kommt danach, uns war gar nicht bewusst, dass wir vielleicht nie wieder hätten zurückkommen können. Wir wussten ja nicht, dass die Grenze aufgeht."
    Am Morgen des 10. Oktober, mittlerweile sind die jungen Männer in Köln gelandet, erfährt Thilo Lindner: Die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland ist Geschichte. Zunächst muss der damals 21-jährige in ein Aufnahmelager:
    "Man hat Ängste, ist froh, dass man erst mal da ist, man darf jetzt hier erst einmal bleiben. Aber dann wieder aus dem Heim herauszukommen und der Schritt dann in die eigene Wohnung, das dauert ja alles. Und wenn ich hier erlebe, die hier ankommen, die auf Wohnungssuche sind, dann versuche ich so viel wie möglich zu helfen, wie man mir geholfen hat. 15, 20 Leute, irgendwo in so einem riesengroßen Raum zu wohnen, das ist unerträglich."
    Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und viel Unterstützung
    Als gelernter Industriemechaniker findet er schnell einen Job, sein Meister nimmt ihn kurze Zeit später sogar bei sich zu Hause auf. Lindner qualifiziert sich weiter, wird Industriemeister und studiert nach weiteren Stationen Arbeitsorganisationspsychologie. 2011 kommt er in den Südwesten zu Lapp, einem der weltweit größten Kabelhersteller. Am Stammsitz des Unternehmens in Stuttgart baut er ein Ausbildungszentrum mit auf:
    "Ich denke, dass ich auch sehr viel Glück hatte, auch zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, Menschen da waren, mich unterstützt haben."
    65 Auszubildende werden derzeit bei Lapp am Stammsitz Stuttgart ausgebildet. Elf von ihnen haben eine Fluchtgeschichte, vier weitere absolvieren gerade eine Einstiegsqualifizierung. Yesan Maky aus Syrien ist sicher: Thilo Lindner ist für ihn und alle anderen Geflüchteten ein Glücksfall: "Herr Lindner ist sehr wichtig und er macht wirklich viel."
    "Das sind unsere Fachkräfte von morgen"
    Drei Tage sind sie die Auszubildenden im Betrieb, einen Tag in der Berufsschule. An einem weiteren Tag bekommen sie bei Lapp zusätzlichen Unterricht, etwa in Gemeinschafts- und Sozialkunde. Ausbildungsleiter Lindner hat ein bewährtes Konzept, was die jungen Leute lernen sollen. Pflichtprogramm für jeden Ausbildungsjahrgang ist beispielsweise ein Besuch im Landtag. Es gehe darum, demokratische Prozesse aufzuzeigen, sagt der heute 50-jährige Lindner:
    "Unsere Landesregierung, wie entstehen Landesgesetze, auch bis Berlin hoch, das müssen sie alles kennen, das wird alles hinterfragt in Sozialkunde."
    Die Werkstücke sind mittlerweile gesägt und geschliffen, die Auszubildenden gehen in die Mittagspause. Lindner schaut ihnen hinterher und sagt: "Das sind unsere Fachkräfte von morgen." Yesan Maky aus Syrien lebt bei einer Stuttgarter Familie und zeigt sich mit Blick auf seine Zukunft schwäbisch - realistisch:
    "Es gibt auch Meister und Techniker und es gibt so viele Möglichkeiten. Doch erst muss man die Ausbildung machen."