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Flüchtlinge in der EU
Kaum Aussichten auf verpflichtende Quote

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs heute Nachmittag mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigen, dann geht es vor allem um drei Aspekte: die engere Kooperation mit den Herkunftsländern, die Rückführung von Nicht-Schutzbedürftigen und die Verteilung von Schutzbedürftigen in der EU. Doch gerade mit Blick auf eine Quote ist von Solidarität wenig zu spüren.

Von Annette Riedel |
    Flüchtlinge stehen in einem Gang in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge am 17.04.2015 in Schneeberg (Sachsen)
    Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Sachsen (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    Gleich in ihrer ersten Arbeitssitzung am späten Nachmittag werden sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem alles andere als konfliktfreien Thema Flüchtlinge beschäftigen.
    "Wir haben in diesem Bereich noch sehr, sehr viel zu tun."
    Das hatte Bundeskanzlerin Merkel nach dem Flüchtlings-Sondergipfel im April gesagt, bei dem man sich auf eine Aufstockung der Mittel für die Seenotrettung verständigt hatte.
    "Vor allem geht es darum, Menschenleben zu retten."
    Von den drei Aspekten des Themas, denen sich der Gipfel heute widmen will – die engere Kooperation mit den Herkunftsländern, die Rückführung von Nicht- Schutzbedürftigen und die Verteilung von Schutzbedürftigen in der EU – dürfte letzteres den größten Zündstoff bergen.
    Wenige Wochen nach jenem Flüchtlings-Sondergipfel hatte die EU-Kommission im Mai Pläne vorgelegt, wie sie sich die Verteilung von 40.000 Schutzbedürftigen solidarisch auf alle EU-Länder vorstellt, für die nach geltendem EU-Asylrecht Italien und Griechenland zuständig sind. Dass man Italien und Griechenland unterstützen will, in der aktuellen Notfall-Situation, dass seit Monaten ungewöhnlich viele Flüchtlinge über das Mittelmeer kommen - da ist man sich einig. Ob es dazu eine verpflichtende Quote geben sollte, nach der, nach bestimmten Kriterien, alle EU-Länder anteilig zusätzlich Flüchtlinge aufnehmen sollen – da ist man sich überhaupt nicht einig. Allen Appellen, wie von Ratspräsident Tusk, zum trotz.
    "Es geht um die Bereitschaft, einige nationale Interessen für die Allgemeinheit zu opfern. Das ist immer die schwierigste aller unserer Diskussionen."
    Verpflichtende Quote kaum durchsetzbar
    Die Bereitschaft dazu hält sich in Grenzen. Das ist in den vergangenen Wochen schon klar geworden. Ein rundes Dutzend der EU-Länder hat sich gegen eine verpflichtende Quote positioniert. In einer Erklärung der Regierungen Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns, die gestern bekannt wurde, sprechen sich diese gegen jedwede Forderung nach festen Quoten aus. Sie bestehen auf dem Prinzip der freiwilligen Aufnahme, von dem die meisten Abgeordneten im Europäischen Parlament wenig halten, weil sie im Endeffekt zu ungerecht verteilten Belastungen führe. Der sozialdemokratische Präsident des Europäischen Parlaments, sagt es so:
    "Wir haben 28 Mitglieder in der Europäischen Union. Und wenn 500.000 Leute – ich nehme mal diese Zahl – unter 507 Millionen verteilt werden, dann geht das. Wenn man die konzentriert auf wenige Länder, geht das nicht."
    Es scheint praktisch ausgeschlossen, dass sich der Gipfel auf einen verpflichtenden Verteilungsschlüssel einigt, für jene 40.000 Menschen, die umverteilt werden sollen und jene 20.000, denen zusätzlich von außerhalb der EU ein sicherer Weg nach Europa ermöglicht werden soll, um dort einen Asylantrag stellen zu können. Gut möglich, dass die Frage, ob freiwillige Quote oder verpflichtende Quote oder gar keine Quote, vorerst vertagt wird. Erste Entwürfe der Gipfel-Abschlusserklärung lassen darauf schließen.
    Neue EU-Sicherheitsstrategie soll vorbereitet werden
    Wenn nicht Griechenlandkrise und Flüchtlingskrise zuletzt alles dominiert hätten, dann wäre dieser Gipfel ganz im Zeichen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU gestanden.
    "The June European Council will be focusing mainly on security and defense", hatte die EU-Außenbeauftragte Mogherini geglaubt. In der Tat ist Nato-Generalsekretär Stoltenberg zum Gipfel geladen.
    "Eine gute Gelegenheit, unsere Zusammenarbeit zu entwickeln, um unsere kollektive Selbstverteidigung zu stärken."
    Die EU-Außenbeauftragte wird wohl aus dem Gipfel den Auftrag mitnehmen, bis Juni nächsten Jahres eine neue EU-Sicherheitsstrategie vorzubereiten, die die jetzige aus dem Jahre 2002 ablösen soll. Die engere Kooperation mit der Nato wird darin genauso eine Rolle spielen wie eine systematischere verteidigungspolitische Zusammenarbeit der EU-Länder. Eine gemeinsame Europäische Armee, wie sie zuletzt EU-Kommissionspräsident Juncker ins Spiel brachte, dürfte dabei nicht das Ziel sein.