Das Büro der palästinensischen Gemeinde in Athen. Khaled Khalil Jaber und Ahmad Hassan, beide 48 Jahre alt, haben auf zwei Klappstühlen platzgenommen und diskutieren. An der Wand hängen eine griechische und eine palästinensische Flagge. Ahmad Hassan ist der Sekretär der Gemeinde und schon seit dreißig Jahren in Griechenland. Khalil Jaber hingegen, ein schlanker Mann in rotem Polo-Shirt, ist erst vor einem Jahr aus dem Gazastreifen gekommen. Denn unter der radikal-islamistischen Hamas habe sich das Leben drastisch verändert, sagt er:
"Solange sich die israelischen Siedler im Gazastreifen befanden, hatten wir ein viel besseres Leben: Zwar waren die Israelis da, aber wir konnten uns frei bewegen, durften zum Beispiel nach Israel und dort arbeiten. Nach 2006 aber, als die Hamas an die Macht kam, haben sich die Dinge enorm verschlechtert. Wir leben heute isoliert von der Außenwelt, und die Hamas tut nichts für uns. Wir haben nicht einmal sauberes Wasser. Man will morgens nicht aufstehen, weil man weiß, man muss sein Gesicht mit schmutzigem Wasser waschen."
Die Hamas leidet am wenigsten
Khaled erzählt von fehlenden Lebensmitteln und Benzin, davon, dass es im Gazastreifen nur ein, zwei Stunden Strom am Tag gibt. Eigentlich sollte die von Israel und Ägypten verhängte Gaza-Blockade die islamistische Hamas unter Druck setzen, tatsächlich aber seien die Mitglieder der Hamas diejenigen, die am wenigsten unter der Blockade leiden, sagt Khaled.
"Ein Onkel meiner Frau gehört der Hamas an. Er sagte meiner Frau, ich solle der Organisation beitreten, dann könnte ich wieder arbeiten und würde finanzielle Privilegien genießen. Aber ich will das nicht. Ich bin zwar ein Moslem, mag aber den Fundamentalismus der Hamas nicht. Diesen Weg will ich nicht gehen."
Bevor die Hamas an die Macht kam, hat Khaled beim staatlichen Wasserwerk gearbeitet, konnte für sich, seine Frau und seine fünf Kinder sorgen. Die Hamas habe ihn aber – wie auch alle anderen Staatsbediensteten – entlassen, um ihre eigenen Leute einzustellen, erzählt er.
Überhaupt: So offen über die Hamas zu reden, sei im Gazastreifen nicht denkbar gewesen, sagt Khaled. Dort gebe es überall Spione, und schon mit der leisesten Kritik gegen die Regierung würde man im Gefängnis landen.
Flucht durch den Tunnel
Wie lange kann man denn so ein Leben aushalten, fragte sich der 48-jährige. Er jedenfalls hielt es nicht mehr aus und ergriff im letzten Jahr die Flucht:
"Ich bin aus dem Gazastreifen durch einen Tunnel geflohen, nach Ägypten; wir sind mit einem Motorrad, einer Vespa gefahren, dann sind wir in ein Auto umgestiegen. Der Schlepper hat mich bis zum nächstgelegenen ägyptischen Flughafen gebracht und von dort bin ich in die Türkei geflogen. 5.500 Dollar musste ich dafür zahlen."
Seine Familie musste er vorerst zurücklassen, sagt Khaled und zieht an seiner Zigarette. Ahmad Hassan, der Sekretär der palästinensischen Gemeinde in Athen, klopft ihm auf die Schulter. So wie Khaled versuchten viele Palästinenser den Gazastreifen durch einen der vielen Tunnel zu verlassen, sagt Hassan. Andere würden es über den offiziellen Grenzübergang zu Ägypten versuchen. Dass dieser wieder öfter aufmacht als in der Vergangenheit, sei für viele Palästinenser im Moment die Chance:
"Bei jeder Öffnung des Grenzübergangs schaffen es hundert bis zweihundert Menschen zu fliehen. Sie finden einen Vorwand, um Ägypten zu besuchen und können von da aus sehr leicht in die Türkei. Vor wenigen Tagen erst hat mich eine Frau angerufen, sie hatte gerade Griechenland erreicht. Sie sagte mir, in der Türkei warteten zurzeit tausende Palästinenser auf die Gelegenheit, nach Griechenland weiterzureisen."
Hoffen auf ein Leben in Deutschland
Die meisten hofften, es dann weiter nach Deutschland oder Belgien zu schaffen, sagt Hassan. Sie wollen sich dort ein neues Leben aufbauen, doch das geht nur illegal – am Umverteilungsprogramm der EU teilnehmen können Palästinenser aus dem Gazastreifen nicht.
Der 48-jährige Khaled jedenfalls hat schon längst einen Asylantrag in Griechenland gestellt und wartet auf den Bescheid. Sollte dieser positiv ausfallen, kann er im Rahmen des Familiennachzugs zumindest seine Frau und seine drei minderjährigen Kinder zu sich nach Athen holen. Die zwei Ältesten hingegen nicht. Sie sind schon volljährig und müssten es – so wie er – mit Hilfe von Schleppern versuchen.