Archiv

Flüchtlinge in Deutschland
Berliner Behördenchaos

Das Chaos ist groß in Berlin Moabit. Dort haben Flüchtlinge damit gedroht, aus dem Fenster zu springen. Seit Wochen warten sie auf einen Bescheid der Behörden - doch es herrschen chaotische Zustände. Was läuft schief in der Hauptstadt?

Von Anja Nehls | 25.09.2015
    Ehrenamtliche der Initiative Moabit hilft versorgen Flüchtlinge mit Essen in Berlin.
    Ehrenamtliche der Initiative "Moabit hilft" versorgen Flüchtlinge mit Essen. (picture-alliance / dpa/ Jörg Carstensen)
    An den Absperrgittern vor der Berliner Erstaufnahmeeinrichtung in der Moabiter Turmstraße drängeln sich die Flüchtlinge zu Hunderten. Ab und an leuchtet auf der großen digitalen Anzeigetafel, die im Freien an einem Mast hängt eine neue Wartenummer auf. Mitten in der Menge steht ein älterer Mann aus Syrien mit seinem Sohn. Seit zwei Wochen stehen die beiden hier jeden Tag zwölf Stunden.
    "Wir haben uns registriert, aber wir warten hier seit langem – vergeblich. Wir kommen hier um 8 Uhr an und warten bis 8 Uhr, dann gehen wir nach Hause. Also volles Programm, nur warten. Wir sind dem Tod tausendmal begegnet."
    Nun sind sie hier hinter dem Gitter, in Sicherheit, aber dicht gedrängt bei Regen und Kälte, Sonne und Hitze. Es gibt Essen zu festen Zeiten und medizinische Versorgung, aber kaum jemand traut sich hier weg, aus Angst, die eigene Wartenummer zu verpassen. Es geht langsam voran, zu langsam für die Flüchtlinge. Immer häufiger kommt es zu Randale. Flüchtlinge drohten damit, vom Dach zu springen, ein paar Tage später flogen Steine gegen Wachleute. Dabei seien die Flüchtlinge eigentlich friedlich sagt Victoria Baxter von der Initiative Moabit hilft:
    "Die Leute hier sind Bittsteller, die sind total freundlich, total höflich, die kommen nicht mit Wut her, auf dieses Gelände, die Securitys, die sagen immer: weg hier, weg hier, hau ab, geh weg, haben ich gesagt. Und dann schicken sie sie weg, aber gewaltsam und so entsteht Eskalation und die Leute werden aggressiv und so passiert es, dass die Leute hier ausrasten."
    Kritik an Arbeit der Wachschützer
    Dabei sollte der neue Flüchtlings-Koordinierungsstab eigentlich dafür sorgen, dass sich die Lage vor der Berliner Erstaufnahmeeinrichtung entspannt. Dieter Glietsch, Berlins ehemaliger Polizeipräsident wurde dafür extra aus dem Ruhestand geholt:
    "Ich muss da dran. Aber die Kollegen und Kolleginnen, die dafür verantwortlich sind, die sind auch schon da dran. Und die Lösung ist wegen der schwierigen organisatorischen Rahmenbedingungen, wegen der Räumlichkeiten, die zur Verfügung stehen, die ausgestattet werden müssen, ist nicht ganz kurzfristig und schnell zu erreichen."
    Dabei war vollmundig versprochen worden, dass die Zahl der Wachleute vor der Erstaufnahmeeinrichtung verdreifacht werden soll. Davon war heute noch nichts zu sehen, sagt Victoria Baxter, die schon die Arbeit, der jetzt hier tätigen Wachschützer äußerst kritisch sieht:
    "Die sind überlastet, die sind überfordert, das ist eine Privatinstitution. Entweder brauchen wir kompetente, vorurteilsfreie Leute oder wir brauchen die Bundeswehr am Ende, die dann ohne Vorurteile die Strukturen hier einhalten."
    Fülle von Maßnahmen soll Situation entspannen
    Auch das war eigentlich bereits am Dienstag vom Berliner Sozialsenator Mario Czaja (CDU) angekündigt worden. Seine Verwaltung habe – neben dem Bereitstellen von mehr Personal - bereits eine Fülle von Maßnahmen unternommen, um die Situation in der Moabiter Turmstraße zu entspannen:
    "Die zusätzliche Bearbeitungsstraße, die wir eingerichtet haben, hat uns geholfen, die Flüchtlinge, die aus Bayern kamen, dort zu registrieren und nicht in der Turmstraße 21 und wir haben die Bundeswehr um Unterstützung gebeten und die hat uns angeboten mit 50 Bundeswehrsoldaten die Bearbeitung in der Turmstraße und in der Kruppstraße zu ergänzen."
    Zumindest vor der Berliner Erstaufnahmeeinrichtung in der Turmstraße ist heute Vormittag kein Soldat – dafür jede Menge Freiwillige der Initiative Moabit hilft. Mit Getränken in den Pulk der Wartenden zu gehen ist den Helfern inzwischen untersagt worden – zu gefährlich. Victoria Baxter findet das lächerlich. Nun hilft sie an anderer Stelle. Auf einem etwas abgelegenen Wiesenstück hat sie ein Kinderzelt aufgebaut, mit Kuscheldecken und Freiwilligen, die mit den Flüchtlingskindern Deutsch lernen und spielen.
    "Wenn da Bambule losgeht, wenn da die Leute austicken, sind dann die Schwangeren, die Schwachen und die Kinder die Notleidenden."
    Deshalb gibt es jetzt diese kleine Oase inmitten des Chaos, organisiert von Ehrenamtlichen. 32.000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr schon angekommen. Seit drei Monaten ist die Lage in Moabit inakzeptabel, für Flüchtlinge und Mitarbeiter. Offenbar ist kurzfristig niemand in der Lage wenigstens für ein menschenwürdiges, stressfreies und geordnetes Warten zu sorgen.