Archiv

Flüchtlinge in Deutschland
"Wir haben nicht Reichtum gesucht, sondern Sicherheit"

Nur rumsitzen - das wollen viele der Flüchtlinge nicht, die in deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen darauf warten, auf die Kommunen verteilt zu werden. Arbeit oder eine Ausbildung könnten eine Alternative sein. Doch gerade in puncto Arbeitsintegration von Flüchtlingen ist Deutschland noch ganz am Anfang des notwendigen Engagements.

Von Katharina Hamberger |
    Asylbewerber laufen über die Flure der neuen Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) in Ingelheim (Rheinland-Pfalz).
    Fast die Hälfte der Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ingelheim kommt aus Syrien. Der Rest vor allem aus Albanien. Eigentlich gibt es nur rund 550 Plätze - doch momentan sind 800 Asylbewerber in Ingelheim. (picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
    Ein Kinderspielplatz in Ingelheim, Rheinland-Pfalz. Schaukeln, eine Karussell, viel Sand. Ein Spielplatz also, wie jeder andere. Fast. Er ist mitten in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge.
    "Wie viele sind denn jetzt hier?"
    "Heute früh 8 Uhr, 800 Personen hier in der Einrichtung", erklärt der Leiter der Einrichtung, Stefan Mollner der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Aydan Özoğuz, SPD, während er sie und rund ein Dutzend Journalisten durch die Einrichtung führt. Özoğuz ist auf Sommerreise, schaut sich Beispiele an, wie Flüchtling-Engagement in Deutschland aussehen kann.
    Flüchtlingsbeauftragte Özoğuz (SPD) besucht Erstaufnahmeeinrichtungen
    Eigentlich gibt es hier in Ingelheim nur rund 500 Plätze. Aber man behilft sich. Kleine Kinder schlafen bei den Eltern im Bett, Männer, die alleine reisen, werden in Gruppenzimmern untergebracht. Der 20-jährige Adnan hat mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern ein Vierer-Zimmer bekommen. Vor zwei Monaten haben sie ihre Reise von Syrien nach Deutschland begonnen. Über die Türkei, dann mit dem Boot nach Griechenland und dann weiter dreieinhalb Tage ohne Versorgung mit dem Lastwagen:
    "And from Turkey we came to Greek by a boat and from Greek to here we came by a truck. It's a disgusting Truck first of all and it took about three days and a half without eating, without drinking, without anything."
    Sagt Adnan, der gerade Deutsch lernt, und hier sein Studium als Maschinenbauingenieur beenden will. Fast die Hälfte der Flüchtlinge in Ingelheim kommt aus Syrien. Der Rest vor allem aus Albanien. Unfreundlich sieht es hier nicht aus.
    "Selten muss man Arbeiter suchen - sie wollen arbeiten"
    Die Gebäude – kleine Einheiten – sind aus hellem Klinker. Schon in der 80er-Jahren war es ein Flüchtlingsheim. Über Bauzäunen hängt frisch gewaschene Wäsche, aus den Zimmern schauen viele Bewohner neugierig, wer sie da besucht. Wer hier ist, wartet eigentlich darauf, auf die Kommunen verteilt zu werden. Aber nur rumsitzen – das wollen hier viele nicht. Sie übernehmen gemeinnützige Arbeiten wie Übersetzer oder das Leeren der Mülltonnen. Der Stundenlohn entspricht dem eines Ein-Euro-Jobs.
    "Selten muss man Arbeiter suchen. Die melden sich freiwillig. Sie wollen arbeiten, sie wollen extra Geld verdienen. Wenn wir dringend jemanden brauchen, mit bestimmter Sprachbegabung, was uns fehlt, machen wir einen Aushang, aber das passiert selten. Die suchen uns, die wissen schon, dass wir sie brauchen."
    Sagt Jamie Kreuzberg-Lauterbach, Leiterin des Sozialdienstes in Ingelheim. Insgesamt kann man die Unterbringung wohl eher als Vorzeigeeinrichtung bezeichnen. Kein Vergleich mit zum Beispiel der Zeltstadt in Dresden. Im Gegensatz zu vielen anderen Flüchtlingsunterbringungen ist in Ingelheim auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das BAMF nicht weit weg.
    Zu viel undurchschaubare Bürokratie
    Nur 13 Kilometer sind es dort hin. Das erleichtert es, die Anträge schneller zu bearbeiten. Das BAMF kann ab 500 Flüchtlingen eine Außenstelle in der Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung eröffnen. Darum muss sich aber das Land kümmern. Rheinland-Pfalz forciert das auch für andere geplante Einrichtungen.
    Die Flüchtlingsbeauftragte Özoğuz schaut sich auf ihrer Reise viele solcher positiven Beispiele an. Aber immer wieder bekommt sie auch mit auf den Weg, was der Bund anders machen könnte. So auch im Psychosozialen Zentrum in Mayen. Hier werden traumatisierte Flüchtlinge betreut. Oft gibt es zu viel und zu undurchschaubare Bürokratie, oft nicht nachvollziehbare Grenzen, an die man stößt, wie die Eröffnung eines Kontos oder, wie im psychosozialen Zentrum in Mayen, die Frage, ob und in welchem Umfang zum Beispiel die Anfahrt zur Therapie bezahlt wird.
    "Ich glaube man sollte lieber Geld transferieren als Menschen."
    Sagt Ruth Fischer von der Caritas in Mayen, einen Satz, den sie mehrfach wiederholt. In Mayen bekommt auch Hassan Hilfe. Er ist aus Syrien geflohen und in Deutschland im Moment im Kirchenasyl – eine Situation, die belastend ist. Aber schwerer wiegt die Vergangenheit. Ein Übersetzer gibt seine Worte wieder. Hassans Deutsch ist noch nicht perfekt:
    "Wir sind nicht geflüchtet, weil wir ein besseres Leben suchen wollten, wir sind geflüchtet, weil wir flüchten mussten. Und wir haben nicht Reichtum oder Sonstiges gesucht, wir haben einfach Sicherheit gesucht und haben das in Deutschland gefunden."
    Zu lange Prüfung von Anträgen
    Hassan hat ein Studium in Syrien abgeschlossen und will hier arbeiten. Das oder eine Ausbildung ist eine Perspektive für viele Flüchtlinge. Aber es ist nicht immer leicht, auch wirklich etwas zu bekommen. Im Jobcenter in Köln wird eine Initiative vorgestellt, die Flüchtlinge dabei unterstützen will. Chance Plus nennt sie sich. Auch hier zeigt sich wieder: Hürden gibt es genug.
    Sprachkurse, zu lange Prüfung von Anträgen, wenn jemand ein Jobangebot hat, usw. Aber es gibt auch hier positive Beispiele. Asghar Djafari zum Beispiel hat vor einem Jahr eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer bei einem Hersteller von Selbstklebebändern in Köln begonnen:
    "Er ist der erste, der einen wirklichen Flüchtlingshintergrund hat."
    Sagt Boris von Wisotzky, Vertiebsleiter der Firma. Er ist der Überzeugung, Deutschland braucht die jungen Menschen, die zu uns kommen. Der demografische Wandel ist nicht aufzuhalten. Und schlechte Erfahrungen hat er nicht damit gemacht, einen jungen Flüchtling auszubilden. Das begann schon bei der Bewerbung:
    "Er war vorbereitet, er wusste, was wir machen, er hatte sich vorab informiert."
    Asghar Djafari ist 22 Jahre alt. Er ist in Afghanistan geboren, danach ist seine Familie in den Iran geflohen. Eine Perspektive gab es auch dort für ihn nicht. 2010 kam er in Köln als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling an. Er hat hier den Realschulabschluss gemacht und hat sich nach längerem Überlegen dann doch für eine Ausbildung entschlossen. Reibungslos lief das auch nicht. Nach einem Vorstellungsgespräch sagte man ihm:
    "Ich denke, es wäre besser, wenn Sie bei McDonalds oder Burgerking anfangen zu arbeiten. Nach diesem Gespräch war ich voll deprimiert."
    "Wenn du ein Asylant bist, kriegst du keine Wohnung"
    Er weiß auch, dass nicht jeder in Deutschland ihm so vorbehaltlos gegenüber steht, wie sein Chef:
    "Es gibt einen Gedanken im Kopf von vielen Leuten und Arbeitgebern – dass die Asylanten sich nicht für eine Ausbildung oder einen Job interessieren, sich nicht weiterbilden wollen und auch, wenn man eine Wohnung mieten will, wenn merken, dass du ein Asylant bist, kriegst du keine Wohnung. Das hab ich auch erfahren."
    Das aber tut dem keinen Abbruch, dass Asghar Djafari sich in Deutschland willkommen fühlt. Gibt es doch mehr Menschen, die Flüchtlinge unterstützen:
    "Die haben den Weg frei gemacht, dass ich mich weiterbilde. Und das liegt jetzt in meiner Hand, ob ich mich weiterbilden lasse oder stehen bleiben will. Man kann doch nicht mehr erwarten von einem Land, auch von einem fremden Land, das nicht dein Vaterland ist, dass es mehr für dich tut."